Während ein großer Teil der Gewerkschaften sich heute mit der neoliberalen Ordnung mehr oder weniger abgefunden zu haben scheint, hatte die IG Metall in den 70er Jahren noch verschiedene Ideen, wie Stellenabbau und Privatisierungen verhindert und gleichzeitig der Einfluss der Arbeitnehmer ausgebaut werden könnte.
Als die Heuschrecken über das Land fielen, Arbeitsplätze vernichteten und selbst rentable und entsprechend dem gesellschaftlichen Bedarf produzierende Unternehmen ausschlachteten, da entfachte wieder die Diskussion über Mitarbeiterbeteiligungen. Die Hoffnung, damit das Kapital in die Schranken zu verweisen, mag ihre Berechtigung haben und doch wirft sie eine ganze Reihe von Fragen und Problemen auf.
Ich erinnere mich an die Diskussion in den 1960er und 1970er Jahren über die Möglichkeiten der Gesellschaftsveränderung durch Arbeitnehmerbeteiligung am Eigentum an den Produktionsmitteln. Einen Höhepunkt erlebte diese Diskussion 1972/73 sowohl in den Gewerkschaften als auch in der SPD im Vorfeld des Hannoveraner Parteitags 1973. Ich will hier mehr auf die gewerkschaftliche Diskussion eingehen, auch wenn der SPD-Parteitag durchaus einige aus heutiger Sicht bemerkenswerte Facetten hatte. So warnte laut Spiegel vom 26. März 1973 schon vor dem Parteitag der Göttinger Jungsozialist Gerhard Schröder bei einem Juso-Kongress vor der »Gefahr, dass der reformistische Teil der Partei kommt und einen Teil der Jusos einfängt«. Das mal so ohne Kommentar.
Im Mittelpunkt der gewerkschaftlichen Diskussion stand damals weniger die Frage des Erhalts der Arbeitsplätze. Den Befürwortern einer Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand ging es primär um Verteilungsgerechtigkeit. Insbesondere der durch die Eigenfinanzierung erzielte Vermögenszuwachs in den Großunternehmen, der unmittelbar durch die Arbeitsleistung der Beschäftigten entstand, sollte zu einem bestimmten Anteil in gewerkschaftlich kontrollierte Sozialfonds fließen. Die Arbeitnehmer sollten Fondsanteile erhalten, die nur bei Einhaltung bestimmter Bedingungen verkäuflich sein sollten. Auf diese Weise erhoffte sich zumindest ein Teil der Befürworter dieses Modells eine Art »schleichende« Veränderung der Eigentumsverhältnisse, um der Vermögenskonzentration und den damit verbundenen einseitigen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Machtpositionen entgegenzutreten. So sollte der Kern des Kapitalismus – das Privateigentum an den Produktionsmitteln – ausgehöhlt werden.
Unabhängig davon, wie realistisch diese Vorstellung war – das Vermögensbildungsgesetz hat dann eine ganz andere Entwicklung genommen – warf sie doch schon damals eine ganze Reihe prinzipieller Fragen auf, die man auch heute nicht gänzlich ausklammern darf. Innerhalb der Gewerkschaften war die Diskussion höchst strittig. Der Bundesausschuss des DGB sprach sich am 4. April 1973 mit 55:52 Stimmen für einen überbetrieblichen Vermögensbildungsfonds in Arbeitnehmerhand aus. Er folgte damit mit äußerst knapper Mehrheit der Konzeption der IG Bau-Steine-Erden (IG BSE), die insbesondere von Herbert Ehrenberg, dem späteren Arbeitsminister, vertreten wurde. Dabei griff die IG BSE in ihrer vermögenspolitischen Argumentation ausdrücklich auch auf die katholische Soziallehre und die Sozialenzyklika des Papstes »Mater et Magistra« zurück: »Es genügt nicht, den natürlichen Charakter des Rechts auf Privateigentum auch an Produktivgütern zu behaupten, man muss zugleich nachdrücklich auf seine wirksame Streuung unter allen sozialen Schichten drängen.«
Der Beschluss des DGB-Bundesausschusses erfolgte gegen die ausdrückliche Position der IG Metall, deren Vorstand in seinen Leitsätzen zur Vermögenspolitik noch am 17. Oktober 1972 unter anderem ausgeführt hatte: »Die Verknüpfung der vermögenspolitischen Diskussion mit dem Problem der Kontrolle privater wirtschaftlicher Macht ist nach Auffassung der IG Metall sachlich nicht haltbar und kann zu gesellschaftspolitischen Fehlentwicklungen führen. Die IG Metall wendet sich gegen die Konzentration des Produktivkapitals in wenigen Händen und unterstützt alle rechtlichen und wirtschaftspolitischen Maßnahmen, dieser Konzentrationstendenz entgegenzuwirken. Eine breitere Streuung des Produktivvermögens lässt die private Verfügungsgewalt über Produktionsmittel aber im Prinzip unangetastet.«
Die IG Metall stellte dem Beteiligungskonzept die gewerkschaftliche Forderung nach einer gerechten Einkommens- und Steuerlastverteilung sowie nach qualifizierter Mitbestimmung entgegen. Aktive Lohnpolitik, soziale Steuerreform und die Erweiterung der Mitwirkungs- und Mitgestaltungsrechte der Beschäftigten seien der richtige Weg. Der damalige IG-Metall-Vorsitzende Eugen Loderer hielt auch nach dem Beschluss des DGB-Bundesausschusses an dieser Position fest. In einer umfangreichen Einführung zu dem von Karl H. Pitz herausgegebenen Buch »Nein zur Vermögenspolitik« (1975) erklärte er unter Bezugnahme auf die immer größeren Vermögen der Besitzenden: »Es kann also gar nicht darum gehen, auch mit ein paar Mark dabei zu sein. So lösen wir das Problem nicht. Da würden wir einen aussichtslosen Wettlauf beginnen und am Ziel doch immer nur hören: ›Ich bin schon da.‹ Vornehmlich muss die Diskussion heute um die Demokratisierung der Verfügungsmacht gehen.«
Letztlich ging es damals auch um die Frage, ob demokratische Mitwirkungs- und Mitgestaltungsrechte der Beschäftigten über den Titel Eigentum zu erlangen sind oder sich schon allein aus dem Titel der Arbeit ergeben müssen. Nur Letzteres würde den Beschäftigten einen autonomen Subjektstatus verleihen und sie nicht auf die Verpflichtung zur Gewinnmaximierung reduzieren. Der Versuch, die Beschäftigten in die Kapitaleignergruppe einzubringen, würde diesem Ziel zuwiderlaufen, die Herrschaft des Kapitals über die Produktionsmittel zementieren und damit letztlich nichts zur Auflösung des Widerspruchs zwischen Kapital und Arbeit beitragen. Weder lasse sich der Missbrauch wirtschaftlicher Macht so verhindern noch eine demokratische Kontrolle wirtschaftlicher Verfügungsmacht herbeiführen. Nur die unmittelbare Erweiterung der Arbeiterrechte im Betrieb und Unternehmen sei der richtige Weg, die Machtverhältnisse zu verändern.
Ich teilte damals diese Auffassung. In der Reform-Ära unter Willy Brandt erschien unter dem Stichwort »Mehr Demokratie wagen« eine Demokratisierung auch der Unternehmensverfassungen möglich. Die Demokratie sollte nicht vor der Wirtschaftsmacht kapitulieren, die im Eigentum verkörpert ist. Es begann der Kampf um die Mitbestimmung als ersten Schritt zu einer demokratischen Unternehmensverfassung, wobei es klar war, dass Mitbestimmung nur dann wirklich eine ist, wenn sie auch im Konfliktfall paritätisch ist. Was unter Willy Brandt noch als möglich erschien, endete 1976 nach hinhaltender Obstruktion der wieder erstarkten FDP mit einem Mitbestimmungsgesetz, das zwar in den Großunternehmen eine formal zahlenmäßige Parität in den Aufsichtsräten herstellte, durch die Regelungen der §§ 27 Abs. 2 und 29 Abs. 2 dem im Konfliktfall durch die Kapitaleigner gestellten Aufsichtsratsvorsitzenden aber zwei Stimmen zubilligte, so dass letztlich die Kapitaleigner stets die Sieger blieben.
Große gesellschaftliche Veränderungen hat das Gesetz mithin nicht herbeigeführt. Auch ist es in der breiten Öffentlichkeit nicht sehr populär geworden. Das ist weniger darauf zurückzuführen, dass in Einzelfällen Arbeitnehmervertreter der Versuchung nicht widerstanden, sich persönliche Vorteile durch ihre Funktion im Unternehmen zu verschaffen. Viel schlimmer ist neben der fehlenden Parität die organschaftliche Einbindung der Aufsichtsratsmitglieder nach deutschem Gesellschaftsrecht. Die Verschwiegenheitspflicht des § 116 Aktiengesetz macht jede demokratische Kontrolle auch des Wirkens der Arbeitnehmervertreter unmöglich. Ohne Transparenz gibt es keine Demokratie. Die Möglichkeit einer großen Mobilisierung zur Erweiterung der Mitbestimmung, die ja gesetzlich erfolgen müsste, erscheint mir deshalb gegenwärtig als eher unwahrscheinlich. Das bedeutet nicht, dass der Kampf um Wirtschaftsdemokratie von der Tagesordnung genommen werden könnte.
Jetzt hat die Variante »Belegschaftsbeteiligung« eine gewisse Priorität im öffentlichen Diskurs erlangt, wobei darunter ganz unterschiedliche Modelle verstanden werden. Soweit damit die Beteiligung der Belegschaft am »eigenen« Unternehmen gemeint ist, so wurde diese Art der Arbeitnehmer-Kapitalbeteiligung seinerzeit nahezu einhellig abgelehnt, weil sie die Abhängigkeit der Beschäftigten vom Unternehmen verfestigt und damit ihre persönliche Mobilität und Lebensgestaltung beeinträchtigt. In Anbetracht der heutigen Massenarbeitslosigkeit und Arbeitsplatzgefährdung mag da die Gewichtung dieses Arguments deutlich geringer sein. In einer Gesellschaft, in der es dennoch – bei einer an den Lebensbedürfnissen der Menschen orientierten Politik – hinreichend gesellschaftlich sinnvolle Arbeit für alle gibt, stellt sich trotzdem die Frage, ob das Argument der Erhaltung eines konkreten Arbeitsplatzes zum alleinigen Kriterium einer sozialistischen Politik gemacht werden kann und alle früheren Abwägungen hinsichtlich einer Kapitalbeteiligung der Arbeitnehmer über Bord werfen darf. Ich denke, dass die Wirtschaftskrise immer wieder Situationen schaffen wird, in denen der Staat dem Kapital stützend unter die Arme greift. In allen diesen Fällen wird es die Aufgabe der LINKEN sein, den Vorgang zu problematisieren und zu analysieren, hieraus Forderungen für eine öffentliche Beteiligung mit Verfügungsmacht sowie Demokratisierung der Wirtschaft herzuleiten und ausgehend von dem jeweiligen Fall die Mobilisierung der Öffentlichkeit für eine Wirtschaftsordnung zu betreiben, in der es gilt: Menschen vor Profite und Arbeit vor Kapital.
Ein Beitrag von Manfred Coppik, er war von 1972 bis 1983 Bundestagsabgeordneter – bis 1982 für die SPD. Dann verließ er die Partei und gründete die Demokratischen Sozialisten. Der Artikel wurde zuerst bei Marx21 veröffentlicht.