Sie arbeiten in der Finanzindustrie, in der Werbung und im Rechtswesen: Millionen Arbeitnehmer schaffen keinen eigenen Wert – nicht mal fürs Kapital. Das zeigt Stephan Krüger in seiner beeindruckenden Studie über den deutschen Kapitalismus auf. Von Thomas Walter
Stephan Krüger hat als marxistischer Ökonom schon viel zum deutschen Kapitalismus veröffentlicht. Sein neuestes Buch ist eine statistische Beschreibung des Kapitalismus in der Bundesrepublik Deutschland (BRD). Krüger stützt sich dabei auf die sogenannten Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen des Statistischen Bundesamtes und auf Statistiken der Bundesbank. Diese rechnet er wenn nötig auf marxistische Begriffe um. Während jahrzehntelanger Arbeit hat er eine Datenbank erarbeitet, die bis in das Jahr 1950 zurückreicht. Das Buch veranschaulicht mit diesen Daten wichtige Bestandteile der marxschen Ökonomie.
Von Prosperität zu Austerität
Krügers wichtigste Ergebnisse sind, dass die BRD, ähnlich wie die Weltwirtschaft, sich inzwischen im elften Konjunkturzyklus befindet. In einer ersten „Prosperitätsphase“ herrschte das „Wirtschaftswunder“: Die Ökonomie wuchs, Beschäftigung und Löhne stiegen, die Gewerkschaften erkämpften den Ausbau des Sozialstaats. Doch gerade in dieser Phase ging, (bis 1982) die Profitrate kräftig zurück. Damit kündigte sich die „Überakkumulationsphase“ an. Die Wirtschaft leidet jetzt unter Überkapazitäten. Die Wirtschaftszyklen führen zu keiner stärkeren Erholung mehr. Der Neoliberalismus versucht, zu Lasten der Arbeiter den Kapitalismus über die Runden zu retten.
Arbeit ohne Mehrwert
Einige Befunde von Krüger sind besonders interessant. Die für das Kapital „produktiven“ Arbeiterinnen und Arbeiter verortet Krüger hauptsächlich in der Industrie und industrienahen Dienstleistungen. Demnach sind derzeit von den insgesamt 35 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern etwa 15 Millionen produktiv. Sie, die Produktiven, schaffen den Mehrwert. Die „Unproduktiven«“in Handel und Finanzen, in der Werbung, im Rechtswesen oder in der Bürokratie mögen für das Kapital notwendig sein, sie schaffen aber keinen eigenen Wert. Sie müssen aus dem Mehrwert der Produktiven bezahlt werden. Hierher gehören auch von den Arbeitern erkämpfte soziale Dienstleistungen, die für die Kapitalisten „unproduktiv“ sind.
Notwendig, aber unproduktiv
Krüger berechnet, dass von acht Stunden Arbeit drei Stunden der Produktion von Gütern für die Arbeiterklasse dienen. Fünf Stunden schaffen den Kapitalisten den Mehrwert. Davon gehen aber drei Stunden ab nur für „Zirkulationskosten“, also notwendige, aber unproduktive Arbeit. Dem Kapitalisten verbleiben also von acht Stunden Arbeit nur zwei Stunden für die Akkumulation von Kapital. Entsprechend niedrig ist inzwischen die Akkumulationsrate, die Wachstumsrate des Kapitals. Nach Krüger wäre ohne die unproduktive Arbeit die Arbeitslosigkeit noch höher.
Prinzipielle Alternative zum Kapitalismus
Er zeigt, dass kapitalistische Politik bestimmte ungünstige Entwicklungen anhalten konnte, ohne aber die Profitrate nachhaltig steigern zu können. Dabei ist die Mehrwertrate durchaus gestiegen. Zu einem immer größeren Teil produzieren die Arbeiterinnen und Arbeiter für das Kapital, nicht für ihre eigenen Bedürfnisse. Aber der Kapitaleinsatz steigt ebenfalls, so dass die Profitrate sich nicht erholt.
Krüger „dokumentiert die Ausweglosigkeit der neoliberalen Umverteilungspolitik von unten nach oben.“ Er billigt der keynesianischen Wirtschaftspolitik – die auf mehr staatlicher Nachfrage und Steuerung basiert – zu, dass sie besser mit der Stagnation des Kapitalismus umgehen könnte. Insbesondere der Vorschlag von Keynes zu einer „einigermaßen umfassenden Sozialisierung der Investitionen“ hat es ihm angetan. Letztlich braucht es aber eine „prinzipielle Alternative“. Inwieweit sein neuestes Buch „Wirtschaftspolitik und Sozialismus“ dazu beiträgt, muss die weitere kritische Diskussion zeigen.
Das Buch: Stephan Krüger: Entwicklung des deutschen Kapitalismus 1950-2013. Beschäftigung, Zyklus, Mehrwert, Profitrate, Kredit, Weltmarkt; VSA-Verlag, Hamburg 2015, 140 Seiten, 12 Euro
Der Beitrag erschien zuerst bei marx21