„Das Beispiel Charité zeigt schon jetzt: Streiken lohnt sich“

Die Beschäftigten des Charité Krankenhauses in Berlin, dem größten Krankenhaus Europas, streikten mehrere Wochen für eine bessere Betreuungsquote und gegen Überlastung. Es war der erste Streik für mehr Personal in Krankenhäusern in Deutschland überhaupt. Dabei haben sich neue Arten der demokratischen Mitbestimmung der Gewerkschaftsbasis etabliert, die überall in Deutschland auf Nachahmung stoßen sollten. Wir sprachen mit Daniel Morteza über den Streik, den er als Studierender in einem Solidaritätskomitee begleitete und unterstütze.

Die Freiheitsliebe: Was passiert gerade am Berliner Charité Krankenhaus? Welche Bedeutung hat der Streik?

Daniel Morteza: An der Charité wurde erstmals in einem deutschen Krankenhaus für mehr Personal gestreikt. Seit einer Woche ist dieser Streik ausgesetzt. Die Arbeitgeber haben nach elf Streiktagen einem Eckpunktepapier zugestimmt, das wesentliche Forderungen von ver.di enthält. Es soll künftig verbindliche Instrumente zur Personalbemessung geben, die sich sich nicht mehr nur am Budget, sondern am tatsächlichen Arbeitsaufwand orientieren. Das würde auf jeder Station spürbare Verbesserungen bringen. Im Intensivbereich soll es eine feste Quote von 1:2 geben. Falls das Personal auf einer Station nicht ausreicht, muss es Konsequenzen geben, die von Leistungseinschränkungen bis hin zu Bettensperrungen reichen. Jetzt muss aus diesen Punkten ein Tarifvertrag entstehen. Sollten die Arbeitgeber tricksen oder einen Rückzug machen, sind die Beschäftigten sofort zu neuen Streiks bereit.

Wieso unterstützt ihr als Studi-AktivistInnen den Streik?

Zunächst braucht es keine besondere Rechtfertigung für Solidarität, das ist doch selbstverständlich. Wir dürfen als Studierende nie in die elitäre Falle tappen und uns nicht für Kämpfe außerhalb der Uni interessieren. Aber es gibt weitere Gründe. Der Charité-Streik hat eine herausragende Bedeutung. Es geht um nicht weniger als die Zukunft des Gesundheitswesens. Der Kampf für mehr Krankenhauspersonal richtet sich gegen neoliberale Sparmaßnahmen, Kommerzialisierung und Profitinteressen. Und nicht zuletzt ist der Kampf an der Charité, wie auch der Kita-Streik, ein feministischer Kampf: „Klassische Frauenberufe“ sind traditionell schlecht bezahlt. Unter den Beschäftigten wächst das Bewusstsein, dass eine Frau in sozialen Berufen sich nicht alles bieten lassen muss, sondern eine gesellschaftlich wichtige Arbeit verrichtet, die entsprechende Bezahlung verdient.

Du hast davon gesprochen, welche Bedeutung der Charité-Streik hat. Wird es in Zukunft mehr solcher Streiks geben, auch an anderen Krankenhäusern?

Die Tarifbewegung an der Charité ist eine Pilotauseinandersetzung. Ver.di kämpft seit Jahren für eine gesetzliche Regelung zur Personalbemessung. Dabei können wir uns nicht auf die herrschende Politik verlassen, sondern brauchen den Kampf der Beschäftigten. An der Charité wurde nun erstmals dafür gestreikt. Es gab Soli-Erklärungen von Pflegekräften aus ganz Deutschland, die alle auf die Charité schauen. Sollte es dort einen erfolgreichen Tarifabschluss geben, werden andere sicherlich nachziehen. Allerdings ist der Anteil der gewerkschaftlich organisierten Pflegekräfte gering. Man kann allen Pflegerinnen und Pflegern nur raten: rein in die Gewerkschaft. Das Beispiel Charité zeigt schon jetzt: Streiken lohnt sich!

Daniel Morteza ist Mitglied im Bundesvorstand des SDS.
Daniel Morteza ist Mitglied im Bundesvorstand des SDS.

Bahn, Kitas, Post und Charité: Haben die Deutschen das Streiken wieder entdeckt?

Es gibt eine neue Streikkultur in Deutschland. Den Beschäftigten wurde die letzten Jahre gesagt: Niedrigere Löhne und Zurückhaltung sind gut für die Wirtschaft und am Ende profitieren alle. Das Gegenteil ist der Fall: In Deutschland, Hauptexportland der EU, werden die Löhne nach unten gedrückt, Befristung, Leiharbeit und Werkverträge werden ausgeweitet. Die Folgen sind für Beschäftigte in Deutschland wie Südeuropa gleichermaßen verheerend: Die Wirtschaft Südeuropas wird kaputtexportiert, während in Deutschland der Lohn kaum mehr für ein würdiges Leben reicht. Die Beschäftigten und GewerkschafterInnen lassen sich die Lohndrückerei nicht mehr gefallen und streiken. Ebenfalls wichtig: Innerhalb der Streiks entstehen neue demokratische Strukturen: Über den Schlichterspruch beim Kita-Streik entschied nicht irgendein Vorstand oder Gremium von Hauptamtlichen, sondern eine Versammlung von 300 Basisdelegierten – die den Kompromiss in der Luft zerrissen und einen Mitgliederentscheid erzwungen haben. Auch im Charité-Streik sind solche Strukturen entstanden. Die Entscheidungen der Tarifkommission fanden im Austausch mit sog. Tarifberatern von der Basis statt. Dadurch greifen viel mehr Beschäftigte in die Auseinandersetzung ein und haben direkten Einfluss auf das Ergebnis. Solche Beispiele sind der Beginn einer demokratischen Erneuerung der Gewerkschaften von unten. Hoffentlich finden diese Konzepte viele Nachahmer.

Welche Rolle spielen dein Studierendenverband und die Linke dabei oder welche Rolle sollten sie spielen?

Erstens ist wichtig, dass wir Streik-Soli nicht als Stellvertreterpolitik begreifen, sondern als Unterstützung. Die Beschäftigten brauchen keine Belehrung, die wissen selbst am besten, wie der Hase läuft. Wir müssen sagen: Wir wollen, dass ihr eure Streiks gewinnt! Und wenn wir euch dabei unterstützen können, dann tun wir das. Zweitens können wir im Rahmen von Streiksolidarität auf allgemeine politische Fragen antworten. Die Bundesregierung hat Milliarden parat für Bankenrettung und Krieg, aber nicht für eine Personalbemessung und angemessene Bezahlung. Außerdem hält sie an der Schuldenbremse fest, die die gesamte öffentliche Daseinsvorsorge ruiniert. Drittens geht es um Vertrauen. Betrieb und Gewerkschaft sind die zentralen Kampffelder der Gesellschaft und müssen für die Linke der Kern ihrer Politik sein. Wir müssen zu den GewerkschaftsaktivistInnen vertrauensvolle Verhältnisse aufbauen. Besuch beim Streikposten, Info-Veranstaltungen und der Aufbau von lokalen Soli-Komitees sind erste Schritte. Wenn man uns als ehrlichen, verlässlichen Partner wahrnimmt, haben wir auch das Recht, unfaire Abschlüsse und faule Kompromisse zu kritisieren. Aber dann müssen wir es auch machen.

Daniel Morteza studiert Soziale Arbeit in Berlin. Für Die Linke.SDS ist er aktiv in Berlin und im Bundesvorstand.

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