Gustavo Petro könnte der erste linke Präsident Kolumbiens werden. Die Eliten des Landes versuchen, dies mit allen Mitteln zu verhindern
Der kommende Sonntag dürfte ein historischer Tag für Kolumbien werden. Denn aus der zweiten Runde der Präsidentschaftswahl wird ein Sieger hervorgehen, der nicht direkt die seit Jahrzehnten das Land beherrschenden Eliten repräsentiert. Die beiden stärksten Kandidaten aus der ersten Wahlrunde, Gustavo Petro auf der Linken und Rodolfo Hernández auf der Rechten, haben sich im Wahlkampf klar gegen den Status quo positioniert.
Zwar ist diese Rolle bei dem millionenschweren Bauunternehmer Hernández wenig glaubhaft. Doch schafft er es offenbar, im Stile Donald Trumps einen Teil der Unzufriedenheit mit den bisherigen Regierungen aufzufangen. Petro hingegen könnte für einen historischen Wandel in Kolumbien stehen. Mit seinem klar links geprägten Bündnis „Pacto Histórico“ (Historischer Pakt) tritt er für ein Ende des neoliberalen Systems ein und will beispielsweise das privatisierte Bildungssystem wieder in öffentliche Hand bringen. Auch symbolisch steht er mit seiner afrokolumbianischen Vize-Kandidatin Francia Márquez gegen den Rassismus und die Ausgrenzung der überwiegend weißen Eliten des Landes.
Die Umfragen sehen beide Kandidaten Kopf an Kopf. Es ist wenig verwunderlich, dass im „Establishment“ die Angst umgeht. Mit einem „kolumbianischen Trump“ kann man sich durchaus arrangieren. Mit Petro dürfte das schwieriger werden. So scheint es nur folgerichtig, dass – metaphorisch gesprochen – aus allen Rohren auf Petro geschossen wird. Dies begann schon im Wahlkampf, der von Gewalt und Einschüchterungsversuchen geprägt war. Wegen Attentatsplänen musste Petro mehrere Veranstaltungen absagen und ein „bewaffneter Streik“ des Drogenkartells „Golf-Clan“ legte 178 Gemeinden in insgesamt elf Departamentos von Kolumbien lahm. Mindestens 24 Menschen wurden getötet. Zugleich setzten sich die Morde an sozialen Aktivistinnen und Aktivisten fort: Allein seit Jahresanfang waren es mindestens 76.
Auch Militär und Justiz mischten sich in den Wahlkampf ein. Der Oberbefehlshaber der Streitkräfte, General Eduardo Enrique Zapateiro beschuldigte Gustavo Petro ohne Belege, illegales Geld angenommen zu haben. Obwohl er laut Verfassung zu Neutralität verpflichtet ist, hatte der Eingriff keine juristischen Konsequenzen, wie auch die Wahlbeobachtungsmission der Europäischen Union (EU) bemängelte.
Mitten im Wahlkampf setzte die Generalstaatsanwaltschaft ohne Gerichtsverfahren vier Bürgermeister ab, darunter der Bürgermeister von Medellín, der dem Linksbündnis von Petro angehört. Der absurde Vorwurf: Daniel Quintero soll durch eine Kurznachricht auf Twitter den Wahlkampf Petros unterstützt haben.
Auch international gab es Schützenhilfe: Kurz nach dem ersten Wahlgang ließ ein Gericht in Spanien eine Klage gegen Petro zu, weil er 1981 angeblich an der Entführung des bekannten TV-Journalisten Fernando González Pacheco beteiligt war. Die Vorwürfe klingen nicht nur konstruiert, auch der Zeitpunkt der Eröffnung des Verfahrens deutet auf die Instrumentalisierung der Justiz zu politischen Zwecken hin.
Den vorläufigen Höhepunkt der Kampagne gegen Petro bilden Videos, die eine Woche vor der Wahl durch die große Zeitung Semana veröffentlicht wurden. Dabei handelt es sich um stundenlange Aufnahmen aus dem Innern der Wahlkampagne von Petro, teils Videokonferenzen, teils physische Treffen. Dass dieses Material illegal durch Geheimdienste erhoben und an die Presse gegeben wurde, liegt nahe.
Der Vorwurf, der ganz offensichtlich das Ansehen Petros beschädigen soll: Teil der Wahlkampstrategie sei es gewesen, durch eine Schmutzkampagne die anderen Kandidaten in ein schlechtes Licht zu rücken. Diese Mittel sind in lateinamerikanischen Wahlkämpfen genauso normal, wie sie zu verurteilen sind. Dass die Enthüllungen just eine Woche vor der entscheidenden Wahl zu einem angeblichen „schmutzigen Krieg“ hochgeschrieben werden, zeugt jedoch weniger von moralischer Empörung als von Kampagnenjournalismus.
Ob die Strategie aufgeht, zeigt sich am Sonntag. Rein rechnerisch standen nach dem ersten Wahlgang die Chancen Petros eher schlecht. Zwar konnte er über 40 Prozent der Stimmen auf sich vereinen. Die Stimmen der anderen, mehr oder weniger rechten Kandidaten übertreffen diese Zahl jedoch. Es ist aber offensichtlich, dass in Kolumbien Wechselstimmung herrscht. Auch der rechte Hernández dürfte von vielen als Ausdruck dieses Wunsches gewählt worden sein. Es ist sehr fraglich, ob sie das angesichts der jetzigen Unterstützung für Hernández durch die traditionellen Eliten weiterhin tun werden.
Komme es, wie es wolle: Auch ohne einen Sieg Petros stellen die Wahlergebnisse einen historischen Wandel in Kolumbien dar. Das Land, das über Jahrzehnte fest im Griff wirtschaftlicher Eliten mit engen Beziehungen zu den Drogenkartellen gewesen ist, ist in weiten Teilen konservativ geprägt. Dass unter diesen Bedingungen über acht Millionen Menschen für ein linkes Bündnis stimmen, dürfte auch über den Wahltag hinaus seine Spuren in der Gesellschaft hinterlassen.
Anmerkung: Andrej Hunko war bei der ersten Runde der Präsidentschaftswahl als Wahlbeobachter in Kolumbien. Sein Bericht über diese Reise findet ihr hier auf Andrejs Website.