Bei den letzten Wahlen kam es zu einem Regierungswechsel in Portugal. Das Konservative Bündnis verlor 13 Prozent der Stimmen und verpasste damit die absolute Mehrheit. Obwohl sie die stärkste Partei blieb, regiert stattdessen die Sozialistische Partei. Dies ist möglich, weil der Linksblock und die Kommunisten die Minderheitsregierung tolerieren. Fabian Figueiredo ist Mitglied des Parteivorstandes des Linksblocks (Bloco de Esquerda). Ein Gespräch mit ihm über die politische Entwicklung des Landes, die neue Regierung und welche Rolle seine Partei innerhalb des politischen Gefüges hat.
Matices: Trotz der Entscheidung des Ex-Präsidenten Cavaco Silva, dem konservativen Bündnis PaF die Regierung zu überlassen, entstand eine Mitte-Links-Regierung. Wie kam es dazu?
Fabian Figuerido: Präsident Cavaco Silva, unterstützt von der portugiesischen Bourgeoisie, sowie von Deutschland und der EU hat alles versucht, um Passos Coelho und Paulo Portas zum Weiterregieren zu befähigen. Die beiden haben das Programm der Troika ohne mit der Wimper zu zucken durchgezogen; es gab keine signifikanten Unterschiede zwischen der Vorstellung der Troika und der konservativen Regierung bezüglich der Austeritätspolitik, der Lohn- und Rentenkürzungen, der Entlassungen und Privatisierungen. Bei der Wahl verlor die Regierungspartei Sitze und somit die Mehrheit im Parlament. Schon am Wahlabend sagten die Kommunisten und der Linksblock, dass sie gegen das Programm der rechten Regierung stimmen würden, da sie Passo Coehlos nicht unterstützen wollten, um den Wählerwillen nicht zu missachten.
Diese Entscheidung setze einen Verhandlungsprozess in Gang, der es ermöglichte, der konservative Regierung die Macht zu nehmen und eine linke Regierung mit einer relativen Mehrheit für die Sozialistische Partei zu schaffen. Für die Zusammenarbeit mit den Sozialisten stellten der Linksblock und die Kommunisten Forderungen: Keinerlei weitere Liberalisierung der Arbeitsbedingungen (wie verminderter Kündigungsschutz), sowie keine weiteren Rentenkürzungen und Steuervergünstigungen für große Unternehmen. Zudem forderten sie, die Lohn- und Rentenkürzungen aus der Troikazeit zu annullieren, einen Mindestlohn einzuführen (dieser liegt 2016 bei 530 Euro monatlich und steigert sich bis 2019 auf 600 Euro), und die Sozialhilfe zu erhöhen. Weiterhin gab es die Forderung nach der Wiedereinführung der 35-Stunden-Woche im öffentlichen Dienst und weitere Forderungen, die einen Prozess initiieren sollten, der die Austeritätspolitik der Troika rückgängig macht. Die Verhandlungen endeten positiv und der Präsident forderte schließlich António Costa (aktueller Premierminister) auf, eine Regierung zu bilden.
Matices: Welche Rolle spielt Bloco de Esquerda innerhalb dieses Bündnisses?
Fabian Figuerido: Bloco de Esquerda ist eine der vier Parteien, die diese politische Lösung unterstützt; die anderen sind die Sozialistische Partei, die Kommunisten und die Grünen. Wir werden dieses Bündnis solange unterstützen, bis wir erreicht haben, dass die Einkommensverhältnisse verbessert werden, der Faktor Arbeit wieder wertgeschätzt wird, und der öffentliche Dienst für die portugiesische Bevölkerung erhalten bleibt. Unser Regierungsprogramm unterscheidet sich allerdings von dem der Sozialistischen Partei. Aus diesem Grund haben wir uns entschieden, der Regierung nicht beizutreten, um unsere politische Autonomie zu erhalten.
Matices: Die Regierung agiert schon seit mehr als einem halben Jahr in dieser Form. Wo sind Verbesserungen erreicht worden?
Fabian Figuerido: Gehen wir sie der Reihe nach durch: Zunächst besitzt Portugal nun eine eigene Stimme bei den europäischen Institutionen. Die Regierung ist jetzt nicht mehr bloß ein Statthalter der Troika. Das ist keine einfache Sache. Konkret erreicht haben wir, dass die Lohnkürzungen im öffentlichen Sektor und die Rentenkürzungen annulliert wurden. Renten und Pensionen sind nicht mehr eingefroren, die 35-Stunden-Woche im öffentlichen Sektor ist zurück, es ist wieder möglich, Tarifverhandlungen zu führen, und die Privatisierung der öffentlichen Verkehrsmittel wurde verhindert. Auch die vier Feiertage, die die Troika gestrichen hatte, sind wieder eingeführt. Der Mindestlohn, die Familienbeihilfe, praktisch alle soziale Hilfen wurden erhöht. Gleichgeschlechtliche Paare bekamen das Recht auf Adoption zugesprochen. Es gab schon viele Veränderungen, aber das reicht noch nicht. Wir müssen viel weiter kommen. Unser vorrangiges Ziel ist es, die Auswirkungen der Austeritätspolitik umzukehren – in der Wirtschaft und im Leben der Menschen.
Matices: Kam es schon zu Entscheidungen, die nicht vom kompletten Bündnis getragen worden sind?
Fabian Figuerido: Ja. Noch im letzten Jahr haben wir gegen die Kapitalinjektion in die Bank Banif, welche direkt danach der Santander Totta-Bank übergeben wurde, gestimmt. Auch waren wir gegen dieses beschämende Flüchtlingsabkommen zwischen der EU und der Türkei. Wir wollen nicht zu Komplizen der Austeritätsmaßnahmen werden, die sich gegen die Würde der Menschen richten. Wir haben einige Divergenzen mit der Regierung, zum Beispiel glauben wir, dass das Land unbedingt seine Schulden neu verhandeln sollte.
Matices: Dieses Jahr waren auch Präsidentschaftswahlen. Gewonnen hat der Konservative Marcelo Rebelo de Sousa. Wie steht er zur diesem Bündnis?
Fabian Figuerido: Marcelo Rebelo de Sousa mischt sich sehr energisch in Angelegenheiten ein, die nur die Regierung und das Parlament betreffen und überschreitet damit seine Kompetenzen deutlich. Er ist der interventionistischste Präsident, den wir je hatten. Wir erinnern ihn häufig daran, dass in Portugal die Regierung regiert und die Gesetze vom Parlament verabschiedet werden.
Matices: Den iberischen Ländern Portugal und Spanien drohen Strafen, weil sie die in den „Maastrichter Kriterien“ festgelegte Grenze von drei Prozent Haushaltsdefizit überschritten haben. Der deutsche Chef des Europäischen Rettungsschirms (ESM), Klaus Regling meinte kürzlich: „Das einzige Land, das mir Sorge macht, ist Portugal“. Finanzminister Wolfgang Schäuble bestärkt diese Sicht. Wird Portugal erneut den Weg der Austeritätspolitik einschlagen? Wie positioniert sich Bloco de Esquerda dazu?
Fabian Figuerido: Die europäischen Institutionen und die deutsche Regierung sind mit der derzeitigen politischen Lösung unzufrieden. Sie wollen eine Regierung, die die Austeritätspolitik weiterführt. Portugals neue Regierung ist daher permanent politischer Erpressung ausgesetzt, aber mit uns gibt es keine Rückkehr zur Austerität. Es ist notwendig, den Wünschen Brüssels und Berlins entgegenzuwirken. Portugal ist eine Demokratie, keine Kolonie, die ihre Bevölkerung verarmen lässt. Das Bündnis wird nur Bestand haben, wenn es verfügbar und gefestigt bleibt und Widerstand übt.
Matices: Der Brexit hat in der EU für Unruhe gesorgt. Welche Konsequenzen hat der Austritt Großbritanniens für Portugal? Auch hier gibt es Stimmen, die einen Austritt aus dem Euro oder gar der EU fordern. Wie steht Bloco de Esquerda dazu?
Fabian Figuerido: Der Brexit zeigt, dass sich die Desintegration der Europäischen Union beschleunigt hat. Die europäischen Institutionen scheinen daraus keine Lehren ziehen zu wollen. Trotz des Brexits wurden Sanktionen gegen Portugal und Spanien erwogen. Die Bevölkerung der südlichen Regionen hat in den letzten Jahren extrem gelitten. Wie weit will die Troika die Verarmung und Erniedrigung noch treiben? Wie weit sollen Renten und Löhne noch gekürzt werden?
Ist es unter solchen Bedingungen nicht normal, dass sich die Bevölkerung gegen die europäischen Institutionen stellt? Wir akzeptieren diese europäischen Zwänge nicht länger und sind entschlossen, konsequent dagegen anzugehen.
Matices: Welche Ziele und Herausforderungen hat Bloco de Esquerda generell? Was will die Partei innerhalb dieser Regierung noch erreichen?
Fabian Figuerido: Es ist unser Ziel, zur größten linken Kraft in Portugal werden. Wir wollen eine sozialistische Regierung führen, die nicht den Zwängen der derzeitigen Regierung ausgesetzt ist. Eine Regierung, die für eine Neuverhandlung der Schulden kämpft, die die wichtigen ökonomischen Sektoren renationalisiert und die Vollbeschäftigung fördert. Im Moment ist es jedoch unser aktuelles Ziel, alle Maßnahmen der Austeritätspolitik der Troika rückgängig zu machen.
Das Interview führte André Araújo Soares für das Magazin Matices.