Foto: Pedram Shahyar

„Wir brauchen zivilen Ungehorsam gegen die Militärmaschine“ – im Gespräch mit Pedram Shahyar

Dieses Wochenende finden bundesweit die traditionellen Ostermärsche statt – Für Frieden und gegen Krieg, Aufrüstung und Waffenexporte. Doch die traditionelle Friedensbewegung ist seit geraumer Zeit in der Krise. Mit dem Friedenswinter sollte ein Schulterschluss zwischen alter und neuer Friedensbewegung entstehen. Über die Vorwürfe gegen MahnwachenteilnehmerInnen, den Friedenswinter und die Herausforderungen der Friedensbewegungen sprachen wir mit Pedram Shahyar, ehemaliges Mitglied im Koordinierungskreis von attac und aktiv in der Mahnwachenbewegung und dem Friedenswinter.

Die Freiheitsliebe: Am kommenden Wochenende finden die traditionellen Ostermärsche statt, erhoffst du dir von diesen etwas?

Pedram Shahyar: Die Ostermärsche sind der Aktionstag der traditionellen Friedensbewegung. Jede Aktion für den Frieden ist wichtig in der aktuellen politischen Phase, wo der Militarismus immer stärker wird. Allerdings sind die alten Strukturen der Friedensbewegung als bundesweite Kraft nicht mehr groß mobilisierungsfähig. Das wird sich durch die Ostermärsche leider nicht verändern. Da sind grundlegende Veränderungen der Arbeitsweise und der Zusammensetzung angesagt.

Die Freiheitsliebe: Wäre es möglich gewesen mit dem Friedenswinter die Ostermärsche zu verbreitern?

Der Friedenswinter ist der Versuch, die neue Generation der Friedensbewegung, die sich in den Mahnwachen für Frieden politisiert und aktiviert hat, mit den Akteuren der traditionellen Friedensbewegung zusammen zu bringen. Fast alle aktive des Projekts Friedenswinter sind auch bei den Ostermärschen dabei. Dort wo die Zusammenarbeit der verschiedenen Szenen und Generationen besser klappt, werden die Ostermärsche auch neue Leute anziehen.

Die Freiheitsliebe: Du gehörst seit Beginn des Friedenswinters seinen Befürwortern, wo siehst du die Stärken und die die größten Kritikpunkte?

Wir erleben eine neue oppositionelle Stimmung, und auch eine größere Bereitschaft auf die Straße zu gehen. Dabei gibt es auch ein allgemein beschriebene „Krise der Repräsentation“, die Menschen fühlen sich nicht mehr repräsentiert, auch nicht von denen, die für den Protest „zuständig“ sind. Das ist ein globaler Trend, der auch hier langsam ankommt. Die neue Bereitschaft auf die Straße zu gehen war in Blockupy gut sichtbar,  die Krise der Repräsentation besonders bei den Mahnwachen. Ich war begeistert als ich gesehen habe, wie Tausende Menschen auf den Mahnwachen aktiv werden und sich rasant politisieren. Ich konnte ihnen viel von meiner Erfahrung weiter geben, habe aber auch unglaublich viel in dieser Zeit dazu gelernt. Es war einer der seltenen Momente einer wirklich spontanen Bewegung in Deutschland. Ich ging aber davon aus, wenn diese Szene langfristig aktiv bleiben will, braucht sie eine Verbindung zu der Erfahrung der traditionellen Friedensbewegung. Die alten Strukturen der Friedensbewegung sind nicht besonders auf Höhe der Zeit, also ging es darum mit den offenen Teilen der neuen und der alten Bewegung ein gemeinsames Projekt zu entwickeln. So entstand der Friedenswinter. Unser Hauptziel war von Anfang an die lokale Vernetzung, und da ist viel zusammen gekommen. Es ist ein Fundament entstanden für eine dynamische Friedensbewegung für die kommenden Jahre. Die Mobilisierung von 4.000 Leute vor dem Schloss Bellevue, war im Dezember letzten Jahres entsprechend unserer Erwartungen und hat diesen Formierungsprozess gestärkt. Allerdings sind wir noch weit von einer großen gesellschaftlichen Mobilisierung entfernt.

Die Freiheitsliebe: Du wirst häufig mit dem Vorwurf der Querfront konfrontiert. Findest du, dass die Mahnwachen Bewegung oder der Friedenswinter links ist?

Das ist eine schräge Frage: meint ihr alles was nicht links ist, ist irgendwie rechts? Sorry, das ist ein altlinkes Schubladen-Denken, hat aber mit Verständnis von sozialen Bewegungen nichts zu tun. Große gesellschaftliche soziale Bewegungen haben sich nie in der links-rechts-achse eingeordnet. Friedensbewegung hat immer starke Teile aus den konservativen Strömungen gehabt. Indignados und Podemos in Spanien haben sogar bewusst die links-rechts Einordnung abgelehnt. Problem ist, wenn antihumanistische Positionen sich in Bewegungen ausbreiten oder wenn Bewegungen für antihumanistische Positionen entstehen, so wie bei Pegida.

Bei den Mahnwachen versuchten, wie übrigens an jede spontane Mobilisierung wie auch bei den Anti Hartz4 Protesten vor 10 Jahren, rechtsradikale Kreise Anschluss zu finden. Der Großteil der Teilnehmer tendierte eher nach links, wie eine Studie der TU Dresden belegte, und in den Orga Strukturen konnten rechtsradikale Kreise nie einen größeren Fuß fassen.

Der Querfront-Vorwurf war eine Konstruktion, die zum Ziel hatte, gesellschaftliches Engagement an sich zu delegitimieren und die Friedensbewegung zu zerstören. Sie kam, wie wir es auch aus den vergangenen friedenspolitischen Mobilisierung kennen, aus der Ecke der Antideutschen, den antifaschistisch lackierten Fußtruppen des westlichen Imperialismus, deren Hauptziel die Zerstörung jede antiimperiale und antikapitalistische Mobilisierung ist, indem man sie als rechtsradikal brandmarkt. Unterstützt wurde dieser Angriff auf die Friedensbewegung von den rechten Teilen der Linkspartei, die sich personell inzwischen stark mit antideutschen Kreisen überschneiden. Deren Devise ist klar: die Atlantiker in der Linkspartei wie z.B. Stefan Liebig wollen systematisch den friedenspolitischen Profil der Partei zerstören um die Regierungsbeteiligung vorzubereiten. Dazu kamen einige wenige gescheitere Existenzen der alten Friedensbewegung, die hier als Kronzeugen mit Lügen die Hetzkampagne gegen die neuen Aktivisten fütterten. Hier in der Freiheitsliebe z.B. behauptet einer, dass wir beim Friedenswinter mit dem Rassisten Elsässer kooperieren würden. Jeder der sich die Mahnwachen ernsthaft angeschaut hat weiß, dass Elsässer nach 3 Auftritten von der aktiven Kern der Mahnwache ausgeschlossen wurde. Im Friedenswinter hat nie irgendwas Rechtsradikales auch im Ansatz eine Fuß drin gehabt. Die ganze Kritik an Mahnwachen war pauschal und die gegen Friedenswinter auf Lügen aufgebaut. Die etablierte Presse, insbesondere die TAZ und der Tagesspiegel in Berlin haben dies sehr gepuscht. Wir haben gerade wichtigeres zu tun, aber irgendwann gilt es auch den kriminellen Charakter dieser Kampagne ausführlich aufzuarbeiten. Besonders tragisch war, dass die linke „Junge Welt“ diese Kampagne teilweise mit unterstützt hat. Hier sind Steinzeitlinke am Werk, die alles verteufeln, was nicht unter ihrer Kontrolle und unter ihre ideologische Fahne stattfindet. So wie die Kommunistische Partei in Griechenland die Aufständigen auf dem Syntagma Platz zum Feind erklärte, weil sie spontan und außerhalb ihrer Kontrolle waren, deklarieren einige Altlinke die Aktivisten der Mahnwache zum Gegner, weil sie außerhalb ihrer Familie sind.

Die Freiheitsliebe: Wie hoch ist der Einfluss von sogenannten Verschwörungstheorikern und politisch Rechten in der Friedensbewegung, Mahnwache oder Friedenswinter?

Was meint ihr mit Verschwörungstheoretiker? Das ist ein kontingenter Begriff, der zu Denunziation kritische Aktivisten und Journalisten benutzt wird. Wenn ihr Leute meint, die uns von Reptilien beherrscht und überall aus den Flugzeugen Gift auf uns regnen sehen, oder uns von einer GMBH verwaltet sehen mit persönlichen Karteikarten von jeden, dann waren das keine 10%. Wenn ihr Leute meint, die auf geheimen Netzwerken von Geheimdiensten und Medien und Thinkthanks hinweisen, die Putschs organisieren, Bürgerkriege forcieren, Nazistrukturen finanzieren etc. und die offizielle Storys über Terroranschläge nicht immer sofort abkaufen und anzweifeln, dann gehöre ich auch dazu.

Die Freiheitsliebe: Wäre es nicht möglich gewesen die Mahnwachen durch Interventionen linker Kräfte zu verändern?

Linke sind besonders da gefragt, wo das Feld offen ist, wo sich was spontan bildet, wo Unbehagen ausbricht. Wirkliche interventionistische Linken sind die, die vor 10 Jahren bei den Montagsdemos gegen Hartz4 aktiv dabei waren, das sind die, die in Betrieben mit Kollegen aller Couleur für soziale Rechte kämpfen, dass sind die, die sich der Widersprüchlichkeit der Flüchtlingsprotesten aussetzen, oder in der Nachbarschaft gegen Mieterhöhungen streiten. Die Linke in Deutschland ist in den letzten 10 Jahren sehr gewachsen, und dadurch aber auch durch die Partei Die Linke stark institutionalisiert worden. Das führt auch zum Konformismus, und Bürokratismus, der interventionistische Charakter der Linken ist sehr zurückgegangen.

Bei den Mahnwachen kam man deutlich sehen, wo sich erfahrene Linke eingebracht haben, davon haben beide Seite sehr profitiert, und rechtsradikale konnten dort nie einen Fuß fassen. Wo die Antideutschen stark waren und links getarnt die neupolitisierten als rechte beschimpft haben, haben sie auch Menschen in die Arme der rechten getrieben.

Die Freiheitsliebe: Welche Perspektiven siehst du für die Friedensbewegung?

Die Friedensbewegung steht vor gigantischen Aufgaben weil sich die Politik in Deutschland und Europa dramatisch militarisieren wird. Der neue Ostkonflikt trägt unvorhersehbare Eskalationsdynamiken mit sich, und der Kampf um Rohstoffe und Märkte wird global härter ausgefochten werden. Die Friedensbewegung muss raus aus der geschlossenen linken Szene und zu einer gesellschaftlichen Bewegung werden. Demos sind wichtig, aber wir brauchen mehr: 1. eine Debatte über eine friedlichen Kultur, die unseren Alltag bestimmt. Eine gelebte Kultur der Kooperation und Harmonie 2. eine wirklich friedlichen Kultur der Kooperation und Harmonie passt nicht zur kapitalistischen Logik. Wir brauchen eine globale Alternative zum herrschenden System, eine Alternative Wirtschafts- und Sozialordnung, die es entlang der globalen Erfahrungen zu verdichten gilt 3. Wir brauchen zivilen Ungehorsam gegen die Militärmaschine. Die Nato Basen sollten zum Hauptziel der Friedensbewegung werden.

Die Freiheitsliebe: An welchen Fragestellungen könnten künftig größere Bewegungen entstehen und die aktuelle Militarisierung gestoppt werden?

Man kann Bewegungen nie voraussagen. Dynamiken kommen und gehen. Was bleibt sind die aktivistischen Netzwerke. An denen gilt es immer zu arbeiten, um die nächste Welle größer und länger zumachen.

Die Freiheitsliebe: Danke für das Gespräch.

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4 Antworten

  1. Danke für das interessante Interview!
    Kleine Anmerkung: Es sind einige Rechtschreibfehler in dem Text, die einen immer wieder aus dem Lesefluss bringen. Das ist mir bei euren Artikeln schon öfter aufgefallen. Ich denke ein oder zweimal korrekturlesen ist nicht zu aufwendig.
    Ansonsten, weiter so! :-)

    1. Hi ABC, das ist unser größtes Problem: Wir schaffen es kaum die Zeit aufzuwenden, unsere Artikel zu schreiben und häufig sind sie ungelesen Online. Wir hätten gerne mehr Zeit für die Freiheitsliebe und Balkan21, dafür bräuchten wir eine breite finanzielle Unterstützung. Beste Grüße!

  2. Ich bin ja neu hier auf dem Blog und möchte Euch mal schreiben, was mir nach dem Lesen zweier Artikel, den hier und den mit O.Steinbicker aufgefallen ist. Ich glaube, es besteht Einigkeit darüber, dass die USA, auch Israel, alles daran setzt, den Ukraine-Krieg auf Russland und die EU auszuweiten. Wenn dem so ist, sollten wir nicht unsere Zeit darauf verschwenden, kleinkariert die Friedensbewegten in Rechte und Linke unterteilen. Das machen die Eliten schon. Wir sollten dagegen steuern, denn es gibt wirklich nur einen Krieg, Reich (300 bis 1000 Familien) gegen den Rest der Welt. Solange es denen gelingt, uns über Religionskriege oder Rechts und Links zu spalten, haben wir nicht die geringste Chance, diesen Wahnsinn zu beenden.
    Das einzige Ausschlusskriterium bei Demos oder Mahnwachen sollte Gewaltanwendung sein. Die gewalttätig werden, gehören dann den „Diensten“ an. Das müsste über Flugblätter verbreitet werden. Würde der Konsens gelingen, würden auch die verängstigten 99% mit machen.
    Was haltet Ihr davon?

  3. Neuerscheinung ab 19. April im Buchhandel (jetzt schon vorbestellen):

    „Kriege im 21. Jahrhundert. Neue Herausforderungen der Friedensbewegung“,
    herausgegeben von Rudolph Bauer,
    mit Beiträgen von der Antikriegskonferenz Berlin2014
    Annweiler am Trifels: Sonnenberg Verlag 2015 (= Friedenspolitische Reihe: Bd. 01)
    ISBN 978-3-933264-77-0
    374 Seiten, Euro 19.80

    info@sonnenbergverlag.de

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