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Wie sich Diskriminierung von Muslimas im Alltag auswirkt

Der Alltag von Muslimas ist vor allem durch ihren Wiedererkennungswert gekennzeichnet. Die Religiosität vieler Menschen wird anhand von Äußerlichkeiten gemessen. Durch diese Reduzierung entstehen pauschal zweierlei Bilder: die „religiösen“ und die „nicht religiösen“ Muslimas. Während eine bedeckte Muslima als konservativ, altmodisch oder radikal gilt, wird gleichzeitig eine offene/unverschleierte Muslima nicht nur als liberal, fortschrittlich und modern, sondern darüber hinaus auch als unreligiös assoziiert. So irrsinnig diese Einstufung klingen mag, ist sie nicht nur Realität unserer gesellschaftlichen Wahrnehmung, sondern beeinflusst den Alltag vieler Muslimas.

Demnach würde man vorerst annehmen, dass das Leben einer offenen/unverschleierten Muslima reibungslos verläuft, da sie mit ihrer Erscheinung größtenteils von der Gesellschaft akzeptiert zu sein scheint. Dies lässt sich so jedoch keineswegs pauschalisieren. Denn sobald sich ihre Religiosität anhand von anderen Merkmalen bemerkbar machen lässt, haben sie Ablehnungen oder Verachtung zu fürchten. Deshalb neigt man dazu, das Thema Religion in Unterhaltungen erst gar nicht aufzugreifen. Religion wird und kann als Privatsache weiterhin praktiziert werden, doch im öffentlichen Leben zugunsten des gesellschaftlichen Drucks ist man oftmals gezwungen, diesen Teil der Identität zu verbergen oder zu leugnen. Gleichzeitig haben diese Art von Muslimas damit zu kämpfen, eben ihre Religiosität zu beweisen.

So vorteilshaft ihre „säkulare“ Erscheinung sein mag, spiegelt sie nicht unbedingt ihren Gemütszustand wider. Ein ganz beliebtes Beispiel ist bei der Partnerwahl, wenn Männer glauben, eine Frau mit Kopftuch zu wählen – obwohl keine Garantie besteht, denn manchmal ist sogar eine nicht bedeckte Frau religiöser als eine, die bedeckt ist. Ein nicht bedeckter Kleidungsstil ist kein Anzeichen dafür, weniger religiös zu sein. Es erzeugt einen inneren Konflikt, der durch oberflächliche auferlegte Projektionen entfacht wird. An dieser Stelle sei angemerkt, dass hier Frauen zu Objekten werden, da ihnen ein Stück Tiefsinnigkeit sowie Individualität abgesprochen wird. Solange diese Gruppe an Muslimas auf ihr Aussehen begrenzt und demzufolge als un- oder weniger religiöse Persönlichkeiten klassifiziert werden, bleiben sie je nach Kontext in einer Zerrissenheit, auf ihre Religiosität als Teil ihrer Individualität zu verzichten oder, umgekehrt, unter Beweis stellen.

Nicht nur offene/unverschleierte, sondern auch durch das Kopftuch augenfällige Muslima werden gesellschaftlich in eine Rolle gedrängt. Hier würde man annehmen, dass es doch von Vorteil für solch eine Muslima sei, da ihre Religiosität auf Anhieb erkannt und somit als Teil ihrer Identität nicht verwahrt bleiben kann und muss. Auch wenn das Religiöse somit als selbstverständlich erscheint, birgt diese Einstellung allerdings auch seine Zwangslagen mit sich. Während nicht bedeckte Muslimas teilweise um die Anerkennung ihrer Religiosität kämpfen (müssen), sind bedeckte Muslimas gezwungen, sich keine Fehler zu erlauben. Ihnen wird nicht nur das Bild einer frommen Frau, die bei jedem Fehltritt als schlechte Muslima abgestempelt werden kann, sondern darüber hinaus auch die gesamte Darstellung und Wahrnehmung des Islam zur Verantwortung gegeben.

Diese Verantwortung geschieht auf zweierlei Wegen: Entweder werden von außen Stereotype wie die einer unterdrückten Frau aufgedrängt oder von innen durch ein Missgeschick gleich als solches der Religion behauptet. Diese Muslimas werden und können teilweise nicht mehr ohne ihren Kleidungsstil betrachtet werden. So verwechseln viele, dass das Kopftuch, welches unter anderem dazu dient, den Kopf zu bedecken, nicht dazu dient, das Gedächtnis, Wissen, die Fertigkeiten oder Kompetenzen jener Muslima zu bedecken. Struktureller Rassismus aufgrund dieser Erscheinung ist schon längst kein unbekanntes Thema mehr. Alsbald sich viele gebildete und fortschrittliche Muslimas für ein Kopftuch entscheiden, entsteht ein neues Problemfeld, denn nun können stereotypische Waffen nicht mehr bedient werden.

Falsche Aussagen, wie jene, dass kopftuchtragende Frauen unterdrückt würden oder rückständig wären, werden somit ausgemerzt. Da diese Entwicklung zur Verwirrung des Kollektivs führt, kommt es mittlerweile nicht nur zu Hindernissen für jene Muslima im öffentlichen Leben, sondern darüber hinaus wird angezweifelt, ob ihre Religiosität denn Standfestigkeit besitzt und nicht doch vielleicht das Kopftuch irgendwann abgesetzt werden könnte. Diese Annahme bestätigte sich vor allem nach einem Vorfall, bei dem Personen, die zum ersten Mal mit einer Frau mit Kopftuch in einen Austausch traten, direkt davon ausgingen, dass sie dieses eines Tages ablegen und zur „Normalität“ – ohne Kopftuch – zurückkehren würde. In vielen Köpfen ist immer noch jenes Bild verankert, dass eine gebildete, moderne und fortschrittlich auftretende Frau nicht gleichzeitig auch ein Kopftuch tragen könnte oder würde. Dieses Bild ändert sich schnell, wenn wie gewünscht jene Muslima mit Kopftuch einen Fehler macht, denn hier ergibt es wieder Sinn, dass ihre Religion nicht anders kann, als fehlbar zu sein. Das Kopftuch wird in eine Rolle gedrängt, wie es das eigene Weltbild zufriedenstellt. Darüber hinaus wird es unmittelbar mit der Religion in Verbindung gebracht. Hier wird die Frau zum Objekt reduziert und ihre Individualität ein weiteres Mal abgesprochen. Nicht nur, weil sie den Ruf des Islams schädigen kann, sondern ebenso ihren eigenen.

Insgesamt erkennt man, dass Gesellschaften Menschen gerne auf ihr Erscheinungsbild reduzieren. Sowohl für bedeckte als auch unbedeckte Muslimas bereitet dies Schwierigkeiten. Der Kern dieser Problematik liegt in einer Gesellschaft, bei dem Menschen immer noch in Schubladen denken und keinen Raum für Vielschichtigkeit ermöglichen. Es scheint so, dass es noch ein langer Weg ist, bis Identitäten nicht unbedingt immer als feststehend und gebunden, sondern eben als grenzenlos, individuell und unabhängig von Grundmuster erachtet werden (sollten).

Von Yasemin Özdemir. Yasemin ist 23 Jahre alt und studiert Lehramt auf Master mit den Fächern Geschichte und Englisch. Ihr könnt ihr hier auf Instagram folgen: @yasolinoez

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3 Antworten

  1. Sehr gut geschriebener Text über eine tiefgreifende Problematik unserer Gesellschaft. Ich hoffe dieses Defizit wird in Zukunft erkannt und behoben, denn es ist schon schwer genug als Muslim in diesen Strukturen zu leben, doch jungen Muslima wird es mit dem Kopftuch zusätzlich erschwert einen aktiven Beitrag leisten zu können.

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