Ukraine-Krieg: Zwischen Eskalationsdynamik und Hoffnung auf Verhandlungen

Der Krieg in der Ukraine geht in sein zweites Jahr, ohne dass intensive Bemühungen einer diplomatischen Lösung erkennbar sind. Die Kriegs- und Konfliktparteien sind weiter in eine gefährliche militärische Eskalationsspirale durch den Einsatz immer stärkeren Waffensystemen verfangen. 

Militärische Großoffensiven sollen die Lösung bringen. Das wird die Ukraine wohl nur noch weiter zerstören. Die noch gefährlichere Konsequenz ist, dass am Ausgang solcher Offensiven das Prestige der zwei größten Nuklearmächte der Welt und der Nato hängt. Damit steigt das Risiko einer direkten Konfrontation zwischen den USA und Russland – also zweier Länder, die über etwa 90 Prozent aller Atomwaffen der Welt verfügen.

Der Krieg

Vor gut einem Jahr hat Präsident Wladimir Putin in der Nacht auf den 24. Februar 2022 den Befehl zu dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg auf die Ukraine gegeben. Daraus wurde ein Stellvertreterkrieg zwischen Nato und Russland mit globalen Auswirkungen. Wir erleben einen blutigen Stellungskrieg mit hohen Verlusten auf beiden Seiten. Bilder von Verletzten, Toten, Flüchtenden und der Zerstörung der Infrastruktur schockieren die Öffentlichkeit, allerdings gibt es nur wenige Bilder und Berichte über die unmittelbaren Kriegshandlungen und das Leid der Kämpfenden. Beide Seiten beschuldigen den Gegner und begehen selber schwere Kriegsverbrechen. Millionen von Menschen sind auf der Flucht, nicht nur ins Ausland. Insgesamt wurden bisher rund 17 Millionen Menschen gezählt, die ihre Heimat verlassen haben, vor allem Frauen, Kinder und alte Menschen. Nach Schätzungen stehen sich heute rund 1,6 Millionen Soldaten oder paramilitärische Einheiten gegenüber. Der Krieg bringt jeden Tag mehr Elend, Zerstörung und Tod.

Eskalationsdynamik oder Verhandlungen

 Jeden Tag erhöht sich auch die Gefahr einer Ausweitung und Eskalation, wodurch der Ukraine-Krieg zum dritten Weltkrieg werden kann. Ja, die Ukraine hat ein Recht auf Selbstverteidigung, aber mit der Lieferung von immer mehr und schwerer Waffen dreht sich auch eine Spirale der destruktiven Gewalt immer schneller. Mehr Waffen sind kein mehr an Verteidigung sondern bedeuten eine Ausweitung und Intensivierung des Krieges. Deshalb geht es vor allem um eins: Waffenstillstand und Frieden schaffen.

 Dies war auch die zentrale Aussage der großen Friedenskundgebung der 50.000 in Berlin gewesen, der Demonstrationen der weit über 20.000 in München aus Anlass der Siko aber auch die vielen Aktionen überall im Lande in den letzten Wochen. Unüberhörbar haben sich die Forderungen nach Waffenstillstand und Verhandlungen zu den zentralen Herausforderungen entwickelt. Sie sind zum Streitpunkt mit den Eliten und den etablierten Medien geworden, können nicht mehr totgeschwiegen werden.

Verhandlungen und Waffenstillstand oder Fortsetzung des Tötens bis hin zu einem möglichen Weltbrand, das ist die zentrale Frage für alle politischen Akteure.

Der Krieg trifft nicht nur die Ukraine. Repressive Gewalt richtet sich auch gegen die Menschen, die in Russland gegen den Krieg in der Ukraine protestieren. Und er hat die Welt in Alarmzustand versetzt. Für viele Menschen im globalen Süden bedeuten die Folgen des Krieges steigende Energiekosten und – vor allem – Nahrungsmittelknappheit und Hunger, denn die Ukraine ist die Kornkammer der Welt. Nach Angaben der Vereinten Nationen sind 1,7 Milliarden Menschen von den Engpässen bei der Versorgung mit Grundstoffen betroffen, insbesondere durch knappe und teure Lebensmittel.

 Putins „Sonderoperation“ ist nicht nur eine friedenspolitische Katastrophe. Er ist für die russische Führung in vieler Hinsicht ein grandioser Misserfolg, nicht zuletzt haben durch den beabsichtigten Blitzbeitritt von Finnland und Schweden in die NATO sich die Kräfteverhältnisse in Europa weiter verschoben. Die Sanktionen „ruinieren“ zwar nicht Russland, aber sie verhindern eine weitere dringend notwendige soziale, ökologische und ökonomische Modernisierung des Landes und treffen auch hier – wie immer bei Wirtschaftskrieg und Sanktionen – die Menschen.

Die Ukraine ist bankrott, abhängig von westlichen Geldgebern, undemokratisch und autoritär regiert. Die Korruption grassiert – das Armenhaus Europas für lange Zeit.

Diplomatie und Verhandlungen

Die neue Frühjahrsoffensiven Russlands und der Ukraine – wie befürchtet, dramatisieren diese die katastrophale menschliche Dimension und müssen durch Waffenstillstand und Verhandlungen verhindert werden. So schwierig dieses durch die politischen Entwicklungen der letzten Monate (Eingliederungen von ukrainischen Regionen in die russische Föderation, Kampf der Ukraine bis zur „Befreiung“, fanatischer Hass) auch geworden ist. Es gibt keine Alternative zur Diplomatie!


Die Friedensbewegung – die vielen in ihr engagierten Menschen – stehen an der Seite derer, die die vermeintliche Logik des Krieges durchbrechen wollen. Der Krieg trifft in erster Linie die Menschen in der Ukraine, ihre Zermürbung wird spürbar. Wir sehen auch auf beiden Seiten das Leid der jungen Soldaten, die in der Maschinerie des Krieges gefangen sind. Jeder Tag der Kampfhandlungen vergrößert die Katastrophe. Wir stehen an der Seite derer, die den Krieg aktiv ablehnen – die Kriegsdienstverweigerer und Deserteure.

Wer Frieden will……

Der Krieg muss gestoppt werden. Was ist das heute für eine merkwürdige Zeit? Wer für den Frieden eintritt, wird niedergemacht und ist auch noch „rechts“. Wir werden nie akzeptieren, dass für den Krieg sein „links ist“, was für eine Geschichtsfälschung!

 Wer „Zu den Waffen“ ruft, wird hofiert. Der Ukraine-Krieg hat alte, militärische Denkweisen gestärkt, statt sich auf eine neue Phase der Entspannungspolitik zu besinnen, die gerade in unserer kriegsdominierten Zeit so wichtig ist und zum Maßstab eines vernunftbetonten Handelns werden muss.
Die Geschichte zeigt: Krieg ist immer falsch. In den letzten Jahrzehnten gab es in Kriegen nur Verlierer. Die Forderung nach einem Waffenstillstand bedeutet keineswegs die Anerkennung der völkerrechtswidrigen Annexion ukrainischer
Gebiete. Auch Russland kann den Krieg nicht gewinnen, es würde ein zerstörtes Land voller antirussischer Ressentiments und Hass übernehmen. Es ist eine Frage von Vernunft und Humanität alles zu tun, um die Diplomatie zu stärken.
Für den Ukraine-Krieg gibt es keine Rechtfertigung, aber es gibt Erklärungen. Sie zu begreifen – und sie haben entscheidend mit der NATO-Osterweiterung und der geostrategischen Weltlage und ihren Veränderungen zu tun – ist eine wichtige Voraussetzung, um Wege zum Frieden zu finden. Doch in unserem Land dreht sich die öffentliche Debatte fast ausschließlich um die Lieferung schwerer Waffen, nicht aber um einen Waffenstillstand und Friedensverhandlungen.

Die Militarisierung

Nach Kampfpanzern werden von der Ukraine nun Militärflugzeuge und Kriegsschiffe gefordert. Bereits seit 2008 werden in dem Land NATO-Übungen durchgeführt und NATO- Offizielle sind in der Ukraine präsent. Das Land wurde durch die NATO massiv aufgerüstet. Präsident Wolodymyr Selenskyi scheint die NATO-Länder immer mehr in den Krieg hineinziehen zu wollen. Aber stattdessen müssen wir die Türen für einen zivilen Umgang mit den Interessen- und Sicherheitskonflikten öffnen.
Vergessen wir nicht Russland verfügt nicht nur potenziell über 3,2 Millionen  mobilisierbare Soldatinnen und Soldaten, sondern nach Angaben des schwedischen Instituts für Friedensforschung Sipri auch über 6.255 Atomwaffen, von denen rund 1.600 einsatzbereit sind. Russland und die USA kommen insgesamt auf über 92 Prozent der weltweiten Atomwaffen. NATO-Soldaten und Equipment stehen an der russischen Grenze. Die Eskalationsgefahr darf nicht ausgeblendet werden.

Ablehnung von Waffenlieferungen ist auch keine „Appeasement Politik“ sondern der Versuch, die Eskalation zur atomare Vernichtung zu verhindern und stattdessen den Weg zu Diplomatie und Verhandlungen zu eröffnen. 1938 gab es noch keine Atomwaffen und eine ganz andere Vorgeschichte der Tolerierung des Faschismus durch die Westmächte.

Wer Frieden in der Ukraine will, der muss auf Waffenstillstand und Verhandlungen setzen!

Notwendig ist, die „Europäisierung Europas“, die Willy Brandt schon in den 1970er Jahren als Weiterentwicklung der Friedens- und Entspannungspolitik beschrieben hat. Ihm ging es um die Perspektiven für
Gesamteuropa und nicht um eine Verwischung von Unterschieden und Konflikten, die zu und mit der UdSSR bestanden und mit Russland bestehen. Es geht um die Nutzung der Chancen, die das historische Jahr 1989 für ein friedliches Europa eröffnet hat, die in ihren Prinzipien und Zielen ein Jahr später von der KSZE in der „Charta von Paris für ein neues Haus Europa“ beschlossen wurden.

Die Charta von Paris hat eine gesamteuropäische Politik anvisiert, die Russland gleichberechtigt einbezieht. „die Antwort auf die Herausforderung der Globalisierung muss – so Außenminister Genscher 1991- heißen: gesamteuropäische Verantwortungspolitik und globale Kooperation, nicht Rückfall in die nationalistischen Irrwege des 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.“ Und er mahnte: „die Chancen, die sie (die Geschichte) uns bietet, bestehen nicht ewig“.

Michail Gorbatschow stimmte nach eigenen Angaben 1990 der NATO-Mitgliedschaft Deutschlands unter der Bedingung zu, dass keine NATO-Truppen in Ostdeutschland stationiert würden. Eine Vergrößerung des NATO-Gebietes nach Osteuropa wäre für die UdSSR, so Gorbatschow, „inakzeptabel“.

Charta von Paris versus NATO-Osterweiterung

Es ist also lange bekannt, dass Russland seine Sicherheitsinteressen durch die Osterweiterung der NATO bis an die eigene Türschwelle gefährdet sieht. Die mündlichen Zusagen von Helmut Kohl, Hans Dietrich Genscher und James Baker an Michail Gorbatschow, dass es keine NATO-Osterweiterung geben würde, waren schnell vergessen. Auch wenn es kein rechtsgültiges Dokument dieser Art gibt, so sind die Zusagen doch politisch von einem hohen Gewicht und müssen anerkannt werden.
Allerdings war und ist die Europäische Union uneinig im Umgang mit Russland, vor allem zwischen den Kernländern der EU und den in Mittel- und Osteuropa hinzugekommenen Staaten, die früher dem Warschauer Pakt angehört haben, gibt es erhebliche Unterschiede.

Entspannungspolitik – global

Für eine Politik der Entspannung braucht es PartnerInnen, nicht nur in der EU, sondern starke Partner auch in der G 20, die sich für einen Waffenstillstand einsetzen, um Gehör in Russland und der Ukraine zu finden. Brasilien im Verbund mit China, Indien und Indonesien bieten sich für eine derartige Vermittlung an – so Brasiliens Präsident Lula. Dem Globalen Süden kommt angesichts des Versagens der traditionellen Großmächte und der Kriegspolitik der EU sowie basierend auf einer wachsenden internationalen Rolle eine zentrale Bedeutung bei dem Weg aus dem Ukrainekrieg zu. Lulas Initiative für Frieden aber auch die Überlegungen Chinas sind zentral, um zu einem kooperativen Friedensprozess unter Moderation und Mediation zu kommen. Der globale Süden weiß, was westliche Doppelstandards (Irak, Afghanistan, Libyen) sind, ist Opfer der Konfrontationspolitik des Westens und folgt deshalb – trotz massivem Druck besonders der USA und der Bundesregierung nicht der Sanktionspolitik. Ihr eigenes und das globale Interesse ist Entspannung, Kooperation und Abrüstung.

Stimmen für eine Verständigung mit Russland gibt es auch in den USA besonders aus dem politischen und wissenschaftlichen Bereich des sogenannten Neorealismus aber auch z.B. von Henry Kissinger, von rechten Republikanern und linken Demokraten.

Doch noch ist die Dose der Pandora hin zu einem globalen Krieg geöffnet und sie wird mit weiteren Waffenlieferungen noch mehr verstärkt. Entspannungspolitisch orientierte Kräfte in der deutschen Politik stehen unter Druck auch das letzte Element kooperativer Politik aufzugeben. Druck auf sie kommt nicht nur von der Opposition, auch in den drei Regierungsfraktionen sind die militaristischen Rufe laut. Und in vielen Medien überschlagen sich die Kommentare für die Bereitstellung deutscher Militärgüter. Der Großteil der Medien hat sich zu Instrumenten der Kriegspropaganda degradiert. Stimmen der Vernunft sind vereinzelt und werden übel diffamiert.

Zur Rolle der NATO

Der Ukraine-Krieg hat tiefe Wurzeln, die weit in die Geschichte zurückreichen. Als das Land 1991 unabhängig wurde, hatte die Ukraine es schwer, eine eigenständige Identität zu finden. Die kulturellen und politischen Unterschiede zeigten sich besonders in regional unterschiedlichen Abstimmungen bei den Präsidentschaftswahlen. Das Land war lange Zeit tief gespalten, was sich auch 2014 bei den Maidan-Demonstrationen in Kiew zeigte, die als Auslöser für die Zuspitzung der Konflikte vor allem in der Donbass-Region und mit der Krim gelten. Putin setzte nach dem Maidan-Konflikt und der militärischen Intervention der Ukraine gegen die Proteste in der Donbass Region seine Drohung durch, die Krim wieder nach Russland zu holen.

Auf dem NATO-Gipfel in Bukarest 2008 forderte US-Präsident George W. Bush eine weitere NATO-Osterweiterung, gegen die Bedenken Deutschlands und Frankreichs, die bis unmittelbar an die Grenzen Russlands gehen würde. Für Putin war das die „rote Linie“. Doch die Erweiterungsabsicht der NATO wurde mit einer Abschwächung im Vorgehen beschlossen.

Die NATO, die am 4. April 1949 gegründet wurde, dehnt sich seit 1999 über ganz Europa aus und wird heute, ohne dass es darüber eine öffentliche Debatte gibt, zu einem global operierenden Militärbündnis. Dieses Ziel wurde auf dem NATO-Rat in Madrid am 30. Juni 2022 im neuen strategischen Konzept „NATO 2030“ beschlossen. Wenn heute von einer „Zeitenwende“ gesprochen wird, muss also gesehen werden, dass der Anfang des Prozesses in den politischen Umwälzungen des Jahres 1990 lag.
Diese Vorgeschichte und die nicht genutzten Chancen dürfen nicht vergessen werden. Dazu gehört auch, nicht zu vergessen, dass in dem Krieg in der Ukraine zwischen 2014 und 2022 mehr als 14.000 Menschen starben und dass – so die Aussagen der Bundeskanzlerin Merkel – die Friedensverhandlungen, die zu Minsk 1 und 2 führten, Verhandlungen für die weitere Aufrüstung der Ukraine waren. Was sollen Verhandlungspartner zu einer solchen Positionierung denken?

Gemeinsame Sicherheit

Notwendig ist stattdessen eine Friedens- und Entspannungspolitik, bei der es auch um ein erweitertes Verständnis von Sicherheit geht. Es muss wirtschaftliche, soziale und ökologische Fragen miteinbeziehen. Das ist eine Welt, die nicht gegen, sondern nur mit Russland, dem größten und ressourcenreichsten Land der Welt, zusammenwachsen kann. Die Konsequenzen des Krieges und der wahnsinnigen Aufrüstung auf das Klima und die Umwelt sind immens. Wäre das Militär ein Staat, er läge an 5.Stelle der weltweiten Klimakiller.

Wer die Klimakrise abwenden, wer Hunger und Armut überwinden, wer mehr Gerechtigkeit verwirklichen, wer eine stabile und gerechte Weltwirtschaft erreichen und wer die sozialen und demokratischen Gefahren der Digitalisierung verhindern will, der muss sich für eine kooperative Weltgemeinschaft einsetzen.

Das ist das, was eine Weltinnenpolitik möglich macht. Und die ist untrennbar verbunden mit einer Neubelebung und Erweiterung der Friedens- und Entspannungspolitik. Es bleibt: der erste Schritt ist den Krieg zu stoppen durch Verhandlungen und Waffenstillstand

Friedensbewegung

Um die Umkehr zu erreichen und Frieden von einer Vision zu Realität werden zu lassen, bedarf es einer stärkeren – internationalistischen – Friedensbewegung. Kleinkarierte Ausgrenzungen verkennen vollständig den Ernst der Lage. Der 25.02 in Berlin war ein Auftakt, erfolgreiche Ostermärsche müssen folgen.

Reiner Braun (International Peace Bureau)

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