Nachdem die CIA vergangene Woche die Verantwortung für den Mord am saudischen Journalisten Jamal Khashoggi dem saudischen Königshaus zuschrieb, fühlte sich Trump genötigt, in einem Statement seine anhaltende Unterstützung für die Saudis zu rechtfertigen. Es strotzt vor Lügen und blankem Unsinn und macht die USA zur globalen Lachnummer.
Gestern veröffentlichte die Pressesprecherin des Weißen Hauses ein knapp einseitiges Statement des Präsidenten. Angesichts der Tatsache, dass Syntax und Vokabular sehr einfach sind, der Text mit Ausrufezeichen durchsetzt ist und mit America First! beginnt und endet, können wir darauf schließen, dass er tatsächlich aus Trumps Feder stammt.
Die Erklärung behandelt den Mord am saudischen Journalisten Jamal Khashoggi. Der moderat regimekritische Kolumnist der Washington Post betrat am 2. Oktober das saudische Konsulat in Istanbul, um Dokumente zu erhalten, die es ihm ermöglicht hätten, seine türkische Verlobte Hatice Cengiz zu heiraten. Minuten nachdem Khashoggi das Konsulat betrat, wurde er von einem eigens aus Saudi-Arabien eingeflogenen 15-Mann-Killerkommando getötet, seine Leiche wurde zersägt, um sie im Anschluss in Säure aufzulösen (Freunde von Breaking Bad wissen, was gemeint ist).
Riad bestreitet vehement jede Beteiligung, wurde von Präsident Erdoğan durch geschicktes Informationsmanagement in regelrechter Demütigung jedoch gezwungen, wieder und wieder seine Lügengeschichte anzupassen. Ende letzter Woche leakte die CIA schließlich Informationen über einen umfassenden Geheimdienstbericht an die Washington Post, der die Schuld für den Journalistenmord der saudischen Führung zuschreibt – König Salman und dem eigentlichen Machthaber Kronprinz Mohammed bin Salman, bekannt als MbS.
Daraufhin sah sich auch Donald Trump genötigt, offen Stellung zu beziehen. Seine Erklärung macht bereits mit dem bezeichnenden Titel „Saudi-Arabien zur Seite stehen“ unmissverständlich klar: Trump würde sich eher den rechten Arm abhacken (und in Säure auflösen) lassen, als Saudi-Arabien fallen zu lassen oder auch nur zu kritisieren. Es ist wohlbekannt, dass Trump ein notorischer Lügner ist: In den 649 Tagen seiner Präsidentschaft log er 6.420 Mal – 9,9 Lügen pro Tag (in den Wochen vor den Midterm Elections Anfang November waren es gar 30 Lügen pro Tag).
Seine gestrige Erklärung – die selbst nach Trumpschen Maßstäben äußerst bizarr war – war ein Paradebeispiel für diese Verlogenheit: Anti-Iran-Propaganda, die sich in all ihrer Absurdität nahtlos in die Kriegsvorbereitungen der Achse Washington-Riad-Tel-Aviv gegen den Iran einfügt.
Die unsinnigsten Aussagen des Präsidenten sollen im Folgenden seziert werden.
„Iran ist für einen blutigen Stellvertreterkrieg gegen Saudi-Arabien im Jemen verantwortlich.“
Eine offenkundige Lüge. Der Jemen-Krieg geht auf den Arab Spring 2011 zurück: Aus friedlichen Protesten wurde ein gewaltsamer Aufstand, in dessen Zuge die Houthi-Rebellen die Regierung stürzten und weite Teile des Landes einnahmen. 2015 begann eine von Saudi-Arabien und den Emiraten geführte Koalition, den Jemen zu bombardieren, um ihre Marionette Hadi in Sana’a wiedereinzusetzen. Ja, die Houthis erhalten gewisse Unterstützung aus Teheran, doch ist diese minimal und im Vergleich zum iranischen Support anderer Gruppen in Nahost vernachlässigbar. Im Jemen herrscht kein „Stellvertreterkrieg gegen Saudi-Arabien“, sondern ein Krieg der Saudi-Emirate-Koalition gegen die 28 Millionen Einwohner des Jemen. (Ausführlich dazu #3 des sechsteiligen JusticeNow!-Jemen-Specials: Die Houthi-Iran-Connection.)
Iran „versucht, den zerbrechlichen Demokratieversuch im Irak zu destabilisieren“.
Richtig ist, dass Teheran seit 2003 – als Folge der illegalen US-UK-Invasion im Irak – zum einflussreichen Verbündeten Bagdads geworden ist. Bei den irakischen Parlamentswahlen im Mai dieses Jahres gewann der sowohl US- als auch Iran-kritische Kleriker Muqtada al-Sadr, was den iranischen Einfluss zurückdrängen wird. Es gibt keine Anzeichen, dass Teheran die Wahlergebnisse anfechten oder unterminieren würde.
„Bashar Assad hat Millionen seiner eigenen Bürger getötet.“
Die Opferzahlen des Syrienkriegs sind unmöglich genau zu ermitteln und stehen seit jeher im Zentrum heftigster Kontroversen. Selbst regimekritische Quellen geben die Spanne der vom Assad-Regime getöteten Zivilisten „nur“ mit 85.000-198.000 an, während sich die Gesamtopferzahl verschiedener Quellen zwischen 164.602 und 522.000 bewegt. Acuh wenn Assad jeden davon persönlich getötet hätte, wäre dies weit entfernt von Trumps „Millionen“.
„Der Iran gilt als ‚weltweit führender Sponsor des Terrors‘.“
Davon abgesehen, dass der Iran einzig in Kreisen der Israel-, Saudi- und Emirate-Lobby, sowie Trumps Neocon-Kriegsfalken als dieser gilt, wird das Label in der Regel eben jenem Land angeheftet, welches Trump so vehement zu verteidigen sucht: Saudi-Arabien. Die renommierte Financial Action Task Force identifizierte die Saudis als das Land, das die mit Abstand meisten Fälle von Terrorfinanzierung für sich verbuchen konnte (gefolgt übrigens von den USA und der Türkei). Auch Trump selbst labelte noch im Jahr 2015 Saudi-Arabien als „den weltweit größten Geldgeber des Terrorismus“.
„Saudi-Arabien würde sich gern aus dem Jemen zurückziehen, wenn die Iraner das Land verlassen würden.“
Dieser Satz ergibt keinen Sinn, da es – abgesehen von anderthalb Jahre alten Berichten über einige wenige Berater – im Jemen schlicht keine Iraner gibt. Es geht den Saudis entgegen ihrer Rhetorik im Jemen nicht um den Iran, sondern um die Wiedereinsetzung ihrer Marionette Hadi. Eine eventuelle Handvoll iranischer Militärberater spielt für Riad keine Rolle. Die Saudis könnten morgen die Bombardierung einstellen, Verhandlungen beginnen und „sich aus dem Jemen zurückziehen.“
Da der erste Absatz von Trumps Tirade gänzlich dem Iran gewidmet ist, fragt Teherans Außenminister Javad Zarif zurück: „Vielleicht sind wir auch für die Waldbrände in Kalifornien verantwortlich?“
Mr. Trump bizarrely devotes the FIRST paragraph of his shameful statement on Saudi atrocities to accuse IRAN of every sort of malfeasance he can think of. Perhaps we’re also responsible for the California fires, because we didn’t help rake the forests— just like the Finns do?
— Javad Zarif (@JZarif) 20. November 2018
Saudi-Arabien „stimmte im vergangenen Jahr zu, 450 Milliarden US-Dollar in den Vereinigten Staaten auszugeben und zu investieren.“
Es gibt keinen Anhaltspunkt für diese Zahl, bis auf Trump selbst hat weder die saudische noch die US-Regierung je einen solchen Betrag erwähnt.
Davon „werden 110 Milliarden US-Dollar für den Kauf von Rüstung ausgegeben.“
Zwar ist dies der Betrag, der nach Trumps Besuch in Saudi-Arabien im Mai 2017 gemeinhin reportiert wird, doch gilt er als widerlegt: „Teile [des Waffendeals] wurden unter der Obama-Regierung verhandelt, es mischen sich alte Deals darunter, einige neue Geschäfte sowie zukünftige Käufe, die noch ungeklärt sind“, schreibt die Associated Press im Faktencheck. Brookings schreibt: „Fake News … Es gibt keinen 110-Milliarden-Dollar-Deal.“
Das Pentagon sagt, es wurden „schriftliche Angebote und Zusagen“ in Höhe von lediglich 14,5 Milliarden US-Dollar unterschrieben.
„Es wird Hunderttausende Arbeitsplätze schaffen.“
Fake News. Das US-Außenministerium schätzte 2017, dass – selbst wenn die 110 Milliarden US-Dollar umgesetzt würden – „möglicherweise Zehntausende neuer Arbeitsplätze in den Vereinigten Staaten unterstützt werden“. Einzig Trump redete von 500.000 bis 600.000 Jobs – ein Vielfaches davon.
„Wenn wir diese Verträge dummerweise kündigen, wären Russland und China die großen Nutznießer … Ein wunderbares Geschenk direkt aus den Vereinigten Staaten!“
Blanker Unsinn. Über die jahrzehntelange Saudi-US-Sonderbeziehung wurde das saudische Militär in extreme Abhängigkeit an US-amerikanisches Equipment und Wartung gebracht, die – so Militärexperte William D. Hartung in seiner jüngsten wissenschaftlichen Studie für das Center for International Policy – es „für andere Lieferanten wie Russland oder China schwer macht, die USA als Hauptlieferant für Riad zu ersetzen.“ Und Hartung weiter: „Es würde Jahrzehnte dauern, bis sich das Königreich von der Abhängigkeit von US-amerikanischem Equipment, Training und Support lösen könnte.“ (Vorhebung J.R.)
Trump versteht nicht, dass die US-Saudi-Symbiose den USA eine mächtige Position verleiht, nicht den Saudis.
„Auf meine Forderungen hin, hielten [die Saudis] die Ölpreise auf einem vernünftigen Niveau“
Nachdem Trump bis zum 4. November Irans Ölexporte auf Zero drücken wollte – was die Ölpreise nach oben getrieben hätte – blieben die Weltpreise vor allem deshalb auf einem „vernünftigen Niveau“, weil sich die Welt Trumps Diktat nicht so recht beugen wollte und weiter iranisches Öl kaufte. Im verzweifelten Versuch, sein Gesicht zu wahren, nahm Trump acht Länder von seiner Zero-Forderung aus – darunter irrwitzigerweise die sechs größten Importeure, auf die ohnehin nahezu der gesamte iranische Ölexport fällt.
„Wir greifen hart gegen jene durch, von denen bekannt ist, dass sie am [Khashoggi-]Mord beteiligt waren.“
Ja, die US-Regierung hat gegen 17 Saudis Sanktionen verhängt. Doch sitzen die meisten davon ohnehin auch in Saudi-Arabien auf der Anklagebank, viele von ihnen werden wohl als Sündenböcke von Riad öffentlich geköpft. Trumps Republikaner-Kollege Rand Paul fragt auf CNN: „Wenn du sie sanktionierst, denkst du wirklich, es kümmert sie, wenn sie in der Todeszelle sitzen?“
„König Salman und Kronprinz MbS bestreiten energisch jegliches Wissen über die Planung oder Durchführung des Mordes an Herrn Khashoggi.“
Genau wie wohl jeder andere unter Mordverdacht stehende Mensch dieser Welt auch.
Es scheint schwierig, in nur 638 Wörtern – kaum eine A4-Seite – derart viele Lügen und blanken Unsinn unterzubringen, doch hat Trump es erneut geschafft, 330 Millionen US-Amerikanerinnen und US-Amerikaner vor der Welt zu blamieren und die einzige Weltmacht zur globalen Lachnummer zu machen.
In einem Satz hatte er dann aber doch Recht – jenem Geständnis, worum es hier einzig und allein geht: Saudi-Arabien „war uns in unserem so bedeutsamen Kampf gegen den Iran ein großer Verbündeter.“
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