„System Change. Plädoyer für einen linken Green New Deal“ heißt das frisch erschienene Buch des amtierenden Vorsitzenden der LINKEN Bernd Riexinger. Der Titel bringt auf den Punkt, von was das Werk handelt: Systemwechsel. Ein Bruch mit der kapitalistischen Gesellschaft und das nicht nur aus ökologischen Gründen, wie der Untertitel es erahnen lässt, sondern auch aus sozialen und feministischen Aspekten heraus. Ein starkes ganzheitliches Manifest, auch wenn für Aktivistinnen und Aktivisten nicht viel Neues und Spektakuläres drinsteht.
2020. Es ist die Pandemiezeit. Die Coronakrise hält die Welt in Atem und macht viele Probleme deutlich ersichtlicher. Arbeiterinnen und Arbeiter , die in „systemrelevanten“ Bereichen beschäftigt sind, wurden als Heldinnen und Helden gefeiert. Ihre gesellschaftliche Anerkennung erhielt einen hohen Zulauf. Um 21 Uhr wurde für sie (insbesondere den Krankenhausbeschäftigten) an den Fenstern geklatscht – nicht nur in Deutschland. Eine Lohnerhöhung kam jedoch nicht. Das macht viele Arbeiterinnen und Arbeiter sauer und auch viele Menschen halten das für ungerecht.
Zugleich, fast wurde sie vergessen, haben wir es mit der größten Menschheitskrise zu tun – der Klimakrise. Die Coronapandemie hat sie etwas in den Hintergrund gestellt, auch wenn klar wurde, dass Menschen mit weniger Industrie, weniger kapitalistischem Warenverkehr und weniger Flügen auch klarkommen. Zugleich verloren auch viele Menschen ihre Jobs oder wurden in prekäre Kurzarbeit geschickt. Die Verteilungsfrage steht auch noch nicht an der Tagesordnung, wird jedoch sicherlich im Zuge des Wirtschaftseinbruchs wiederkommen und die herrschende Klasse wird mit allen Mitteln versuchen, die Ausgaben auf Kosten der Allgemeinheit umzuwälzen.
In genau diesem Moment veröffentlicht Bernd Riexinger ein ganzheitliches Konzept, das eine solidarische Alternative zum neoliberalen Kapitalismus aufzeigt und Soziales und Ökologisches zusammendenkt. Er stellt eindrücklich klar, dass viele Probleme in der Gesellschaft durch kapitalistisches Wirtschaften und neoliberales Management entstehen und verschärft werden. Und er stellt auch klar, dass die Kräfteverhältnisse dringend nach links verschoben werden müssen – dass sich viele Menschen organisieren und für Verbesserung im Kapitalismus und darüber hinaus kämpfen müssen.
Bernd Riexingers Transformationsvorstellungen umfassen verschiedene bestehende Kämpfe und Forderungen der Zivilgesellschaft. So fordert er einen umfassenden Umstieg vom autoorientierten Individualverkehr auf einen gut ausgebauten und kostenlosen öffentlichen Nah- und Fernverkehr, ohne dabei jedoch die Beschäftigten der Autoindustrie zu vergessen. Er stellt Studien vor, in denen gezeigt wird, dass die meisten Facharbeiter*innen bei VW und anderen Autobauern bereit wären, bei gleich guter Bezahlung und Arbeitsbedingungen ihren Job für einen Beruf im Fürsorgebereich aufzugeben. Eine Konversion der Autoindustrie ist unabdingbar und das ist den meisten Beschäftigten auch klar. Wir brauchen viel mehr Jobs in der Pflege, in den Schulen und vielen Bereichen des öffentlichen Lebens, statt in der Braunkohle und Automobilindustrie. Bei vernünftigen Arbeitsbedingungen würden sie auch viele Lohnabhängige zu Rate ziehen!
Das besondere am Buch scheint die vielseitige Beleuchtung von verschiedenen Krisenherden und solidarischen Alternativen zu den drängenden Problemen zu sein. So denkt Bernd Riexinger über neue Formen der Eigentumsordnung in der Wirtschaft nach, in der Gewerkschaften und Sozialverbände neben Arbeiter*innen und Leitung gemeinsam entscheiden sollten, oder eine Ausweitung des demokratischen Sozialstaats nach, ohne die Klimakrise zu vergessen, sondern im Gegenteil: sie als ein und denselben Kampf für fortschrittliche Politik zu betrachten. Denn eine gerechte ökologische Transformation kann nur mit den Beschäftigten und einer modernen Klassenpolitik geschehen.
Apropos Klassenpolitik. Bernd Riexinger stellt auch klar, dass natürlich nicht alle von einer solchen sozial-ökologischen Transformation profitieren würden, beziehungsweise es auch zu Gegenwehr von „mächtigen Gegnern“ kommen wird. Die herrschende Klasse, die Superreichen und Großkonzerne, würden bei einem solchen egalitären Gesellschaftskonzept spürbar an politischer und materieller Macht verlieren. Das möchten sie mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Optionen verhindern. Riexinger betrachtet einen linken Green New Deal eben realistisch und weiß, dass die herrschende Klasse das nicht so einfach mit sich machen lassen wird. Hier steht die linke Position von Riexinger im Gegensatz zu vielen klimapolitischen Ansätzen aus der Mitte oder von den Grünen, die Klimaschutz als ein Projekt aller Akteure sehen und die Gesellschaft als eine Gesellschaft von Klassenunterschieden samt jeweils unterschiedlichen Interessen verneinen.
Damit jedoch die fortschrittlichen Kräfte erfolgreich sind, weiß er auch, dass es davon abhängt, wie stark sie organisiert sind: In der LINKEN, in anderen linken Strukturen, in Gewerkschaften, in Sozialverbänden, in Bewegungen, in Initiativen und in Stadtteilarbeiten. Bernd Riexingers Vision einer anderen Gesellschaft schafft Motivation, sich für eine solche andere Welt einzusetzen und für sie zu kämpfen. Diese Vision versucht, die gesellschaftliche Linke aus der Defensive herauszuholen, und plädiert jetzt in diesen multiplen Krisen deutlich und offensiv für eine Umverteilung gesellschaftlichen Reichtums und gesellschaftlicher Macht, dafür sich zu engagieren und verschiedene Kämpfe als gemeinsame Kämpfe zu denken: Menschen und Klima vor Profite. Menschen nicht nur in Arbeitsverhältnissen, sondern auch in anderen Unterdrückungsverhältnissen wie patriarchalen und rassistischen Strukturen mitdenkend.
Die knapp 130 Seiten bringen viele interessante Forderungen und Ideen gut zusammen und müssen als Manifest und nicht als detaillierte Umstrukturierung der Gesellschaft gedacht werden. Wer eine dezidiert kleinteilige Auseinandersetzung mit einem linken Green New Deal sucht, wird mit diesem Buch nur bedingt zufrieden gestellt. Viel zu knapp werden einzelnen Positionen zum Teil beleuchtet. Dies ist sicherlich dem Manifestcharakter des Buches geschuldet. Nichtsdestotrotz kann das Buch für alle, die verschiedene tagesaktuelle Krisen gemeinsam betrachten und gemeinsam gelöst sehen möchten, empfohlen werden.
Das Buch kann hier für 12 Euro beim VSA Verlag gekauft werden.
Subscribe to our newsletter!