Spanien: Politische Sabotage und Neuwahlen

Im April sah es noch relativ klar aus: Der sozialdemokratische Ministerpräsident Pedro Sánchez wird weiter regieren. Mit 28,67% schnitt die PSOE klar vor den übrigen Parteien der rechtskonservativen Partido Popular (16,69%), der rechtsneoliberalen Ciudadanos (15,86%), der linken Unidas Podemos (14,32%) und der rechtsextremen VOX (10,26%) ab. Eine Koalition der rechten Kräfte, wie sie bereits seit Dezember 2018 in Andalusien angeführt wird, konnte abgewendet werden. Allerdings wurde jetzt zum 10. November Neuwahlen verkündet. Schuld sei, laut den Sozialdemokraten, das linke Wahlbündnis Unidas Podemos (UP) und ihren Forderungen. Carlos Roure Conesa und Sergen Canoglu sprechen von geplanter Sabotage der PSOE um Neuwahlen zu erzwingen und stärker abschneiden zu wollen.

In Spanien herrscht politisches Chaos: Im November steht schon die vierte Wahl in vier Jahren an. Es wird zum zweiten Mal eine Parlamentswahl wiederholt, nachdem im Juni 2018 Pedro Sánchez zum ersten Mal in der spanischen Geschichte per Misstrauensvotum zum Ministerpräsidenten gewählt wurde. Seit der Wahl in April, als zuvor Pedro Sánchez als Erneuerer der Sozialdemokratie in den Wahlkampf einstieg, viele linke sozialpolitische und feministische Forderungen stellte und von ihrer starken Abgrenzung von der rechtsextremen VOX als Gegenpol erschien, entstanden neue Hoffnungen in Spanien für eine linke Koalitionsregierung aus Unidas Podemos und PSOE. Auch hatten viele Hoffnungen in die Sozialdemokraten gesteckt, die Katalonienkrise zu lösen und für Stabilität zu sorgen. Allerdings sind diese Erwartungen gescheitert.

Von Anfang an war klar, dass die PSOE eine doppelte Strategie verfolgt hat, um Neuwahlen zu erzwingen: Erstens wollte sie sich von der UP unabhängig machen und ihre eigene Position stärken und zweitens begehrt sie ein Bündnis mit der neoliberalen Cs einzugehen, wie sie es bereits in der Tolerierungsphase Juni 2018-April 2019 tat. Medial ging die PSOE hart gegen die Linken vor: Sie seien machtgierig und auf Ministerposten fixiert, wodurch sie das von rechten Medien verwendete Bild der zerstörerischen Kommunisten verstärkte. Ein gutes Beispiel für ihre Unordnung seien die innerparteiischen Auseinandersetzungen, um den Pragmatiker und langjährigen Vizevorsitzenden Íñigo Errejón, der seit Neustem sich von Podemos nach rechts abgespaltet und seine neue Partei Más País (Mehr Land) gegründet hat.

Dabei verhielt sich Unidas Podemos, im Gegensatz zu den Wahlen 2016, von Tag 1 nach den Wahlergebnissen im April sehr zahm und wehrlos, wollten in jedem Falle sich an der Regierung beteiligen und ließen zahlreiche linke Forderungen fallen. Vor drei Jahren hatte das Linksbündnis noch 21% erzielt und landete damals knapp hinter der PSOE. Damals stellte sie klarere linke Forderungen auf, ermuntert vom Rückhalt der Bewegungen auf den Straßen, was diesmal so nicht stattfand.

Politische Neuorientierung: Rückkehr zum bipartidismo

Aktuell wird prognostiziert, dass Spanien wieder stärker zum Zweiparteiensystem (bipartidismo) zurück tendiert. In den neusten Umfragen Ende September scheint die PSOE mit 29% stärkste Kraft zu sein, gefolgt von der Partido Popular (PP), die auf 20,3% hochklettern nachdem sie im April ihr historisch schlechtestes Wahlergebnis erhielten. Darauf folgen Unidas Podemos mit etwa 13,3%, die Ciudadanos (Cs) 12,5%, VOX 8,9% und Más País 6,3%.[1]

Sowohl VOX als auch Ciudadanos scheinen in der aktuellen politischen Lage nicht wirklich zu profitieren. Die PP vereint vereinzelt wieder das rechte Lager, während die PSOE noch nicht aus ihrer Strategie sich bereichern konnten. Interessant wird nun die neue Ausrichtung der Más País im Parteiensystem sein, die sich politisch zwischen PSOE und UP verordnet. In den letzten Jahren herrschte eine große innerparteiische Diskussion um die Ausrichtung von Podemos: Dabei wollte Iñigo Errejón deutlich mehr Nähe zu den Sozialdemokraten wagen, während Parteivorsitzender Pablo Iglesias (nicht von Regierungsbeteiligungen komplett abgeneigt) die linken Kernforderungen nicht fallen lassen wollte. Nach vielen undemokratischen und bürokratischen Prozessen hat Iñigo Errejón bereits im Februar angekündigt bei den Madrider Kommunalwahlen nicht gemeinsam mit Podemos antreten zu wollen, sondern seine eigene Plattform mit der Madrider Bürgermeisterin Manuela Carmena Más Madrid zu gründen. Daraus entstand nun die neue Partei Más País zu der auch die grüne Equo aus Podemos mitaustrat. Sie kündigten bereits an mit allen Parteien bis auf VOX und Podemos koalieren zu wollen.

Manuela Cardena (links) und Íñigo Errejón (rechts). Foto: Facebook (Más Madrid)

Ein Schritt weit weg von den linken Kräften hin zu einer Partei der Mitte. Das kann auch für die Wahlen in November wichtig als Lückenfüller erscheinen, wenn die PSOE erneut mit der neoliberalen Cs koalieren könnte und Más País die nötigen restlichen Stimmen vereint. Das würde auch den Zeitpunkt der Abspaltung und die strategische Umorientierung der Sozialdemokraten erklären. Das Kapital würde sich zumindest freuen, denn an den Machtstrukturen würde sich nicht viel ändern. Bezahlt wird die PSOE sowieso am Allermeisten von allen Parteien von den großen Banken Spaniens.

Was diese Machtspielereien des politischen Establishments mit sich bringt ist eine erwartete wiederkehrende Abnahme der Wahlbeteiligung. Noch bei den letzten Wahlen stieg die Teilnahme deutlich hoch, da viele Menschen aus Angst vor dem bundesweiten Erstarken der Rechtsextremen bekamen und ihrer polarisierenden Stellung um die Kataolinienfrage, zur Wahl gingen. Nun fühlen sich einige derer, die nicht um sonst auch die PSOE für eine mögliche Linksregierung mit UP gewählt haben, betrogen. Diese Vertrauenskrise geht mittlerweile soweit, dass sogar ein bekannter TV Star Risto Mejide eine Partei mit dem satirischen Titel Peor no lo haremos (dt. Wir werden es nicht schlimmer machen) gegründet hat und angab bei den kommenden Wahlen zu kandidieren. Umfragen zu Folge würde er sogar 1-2 Sitze erhalten. Mehr als den satirischen Inhalt ihres Parteinamens ist bislang auch noch nicht bekannt.

Definitiv wird die Katalonienfrage demnächst neu angeheizt werden, denn das Urteil für das Verfahren gegen die katalanischen Politikerinnen und Politiker zum „illegal“ abgehaltenen Referendum soll im Oktober, also kurz vor den Neuwahlen, veröffentlicht werden. Das werden auf jeden Fall die rechten Parteien für ihren nationalistische Hetze aufgreifen. Schon jetzt sind die Kampagnen der politischen Parteien zu den Neuwahlen von Nationalismus und Staatszentralismus dominiert: Die PSOE betitelt ihre Wahlkampagne mit Ahora Gobierno. Ahora, España (Jetzt Regierung. Jetzt Spanien), die Ciudadanos mit España en marcha (Spanien in Marsch), PP ¿Izquierda o derecha? España. (Links oder Rechts? Spanien.) und VOX España siempre (Spanien immer).[2]

Dieser Artikel wurde von Sergen Canoglu gemeinsam mit Carlos Roure Conesa verfasst.


[1] Kiko Llaneras, in: El Pais, https://elpais.com/politica/2019/10/01/actualidad/1569942151_783402.html, Stand: 02.10.2019.

[2] Ciudadanos hat ihren Kampagnennamen entweder an Anlehnung an Frankreichs Ministerpräsidenten Emmanuel Macrons Partei „Frankreich in Marsch“ oder einem spanischen rechtsextremen Bündnis aus dem Jahr 2013 (https://www.eldiario.es/rastreador/Espana-marcha_6_949515050.html). VOX hingegen als Antwort auf PSOEs Kampagne, Vox jetzt, Spanien immer.

Dir gefällt der Artikel? Dann unterstütze doch unsere Arbeit, indem Du unseren unabhängigen Journalismus mit einer kleinen Spende per Überweisung oder Paypal stärkst. Oder indem Du Freunden, Familie, Feinden von diesem Artikel erzählst und der Freiheitsliebe auf Facebook oder Twitter folgst.

Teilen:

Facebook
Twitter
Pinterest
LinkedIn

3 Antworten

Freiheitsliebe Newsletter

Artikel und News direkt ins Postfach

Kein Spam, aktuell und informativ. Hinterlasse uns deine E-Mail, um regelmäßig Post von Freiheitsliebe zu erhalten.

Neuste Artikel

Abstimmung

Sollte Deutschland die Waffenlieferungen an Israel stoppen?

Ergebnis

Wird geladen ... Wird geladen ...

Dossiers

Weiterelesen

Ähnliche Artikel

Frankreich vor einer Schicksalswahl

Die Europawahl offenbarte einen Rechtsruck. Nicht nur in Frankreich gewannen die Neofaschisten die Wahlen. Der französische Präsident Macron, dessen Partei weit abgeschlagen war, entschied sich

Neokolonialismus als Staatsräson

Spanischer Ministerpräsident musste sich wegen Marokko und Westsahara rechtfertigen. Algerien kündigt Freundschaftsvertrag und verhängt Sanktionen. Wie kam der spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez dazu, gegenüber Marokko

Linke Realpolitik

Diplomatische Krise zwischen Marokko und Spanien auf Kosten der Westsahara beendet Erpressung lohnt. Das Königreich Marokko führt es vor. Monatelang hatte es Druck ausgeübt auf