von World Economic Forum from Cologny, Switzerland (World Economic Forum Annual Meeting Davos 2005) [CC BY-SA 2.0], via Wikimedia Commons

Schimon Peres – Der Friedensstiftermythos

Vor wenigen Tagen starb Schimon Peres, israelischer Politiker und Friedensnobelpreisträger. Wer die Nachrufe liest, der könnte vermuten ein Held oder Pazifist sei gestorben, dies ist mitnichten so wie Ilan Pappe zeigt.

Die Nachrufe auf Schimon Peres erschienen schnell, sie wurden zweifellos schon verfasst, als bekannt wurde, dass er in ein Krankenhaus eingeliefert wurde. Das Urteil über sein Leben ist eindeutig und wurde schon von dem US-Präsidenten Barack Obama formuliert: Peres war ein Mann, der sich unablässig für Frieden im Nahen Osten einsetzte und so den Gang der Geschichte veränderte.

Peres der Friedensstifter?

Ich vermute, nur wenige beschäftigen sich in ihren Nachrufen auf Peres mit seinem Leben und seinem Handeln aus der Perspektive der Opfer des Zionismus und Israels.
Er hatte viele Ämter in der Politik inne, die große Auswirkungen auf Palästinenser allüberall hatten. Er war Generaldirektor des israelischen Verteidigungsministeriums, Verteidigungsminister, Minister für die Entwicklung Galiläas und der Wüste Negev (arabisch an-Nakab), Ministerpräsident und Präsident. In all diesen Funktionen trugen seine Entscheidungen und die von ihm verfolgte Politik zur Zerstörung des palästinensischen Volks bei und nicht das Geringste zur Förderung des Friedens und der Versöhnung zwischen Palästinensern und Israelis. Geboren als Szymon Perski im Jahr 1923 in einer Stadt, die damals zu Polen gehörte, wanderte Peres im Jahr 1934 mit seiner Familie nach Palästina aus. Als Jugendlicher besuchte er eine Landwirtschaftsschule und begann in der Bewegung der „Arbeiterzionisten“, die die Führung der zionistischen Bewegung und später des jungen Staats Israel stellten, aktiv zu werden. Als ein führender Jugendkader zog Peres die Aufmerksamkeit des Oberkommandos der Haganah, der jüdischen paramilitärischen Kräfte im von Großbritannien beherrschten Palästina, auf sich.

Peres und die Waffen

Im Jahr 1947 war Peres Vollmitglied der Haganah und wurde von dessen Führer David Ben-Gurion ins Ausland geschickt, um Waffen zu beschaffen, die später in der Nakba von 1948, der ethnischen Säuberung Palästinas, eingesetzt wurden und gegen arabische Streitkräfte, die in demselben Jahr nach Palästina vordrangen. Nach einigen Jahren Auslandsaufenthalt, vor allem in den Vereinigten Staaten, wo er Waffen erwarb und die Infrastruktur für die israelische militärische Industrie aufbaute, kehrte er zurück und wurde Generaldirektor des Verteidigungsministeriums.
Peres war aktiv an dem Zustandekommen des Geheimabkommens Israels mit Großbritannien und Frankreich beteiligt, mit dem der Überfall auf Ägypten im Jahr 1956 vorbereitet wurde. Dafür wurde Israel von Frankreich mit den notwendigen Mitteln für den Bau von Atomwaffen belohnt. Tatsächlich war es Peres selbst, der im Wesentlichen das geheime Atomwaffenprogramm Israels beaufsichtigte.

Peres und die Palästinenser

Nicht weniger wichtig war Peresʼ Eifer, unter Anleitung von Ben-Gurion Galiläa zu judaisieren. Trotz der ethnischen Säuberung von 1948 war dieser Teil Israels immer noch weitgehend palästinensisches Land und palästinensische Landschaft.

Peres stand auch hinter der Idee, palästinensisches Land zu beschlagnahmen, um dort exklusive jüdische Städte wie Karmiel und Obernazareth zu bauen und Armeestützpunkte in der Region zu errichten, um die territorialen Verbindungen zwischen den palästinensischen Dörfern und Städten zu unterbrechen. Diese Zerstörung der palästinensischen Landschaft führte zum Verschwinden der traditionellen palästinensischen Dörfer und zur Transformation der Bauern in eine arbeitslose und sozial benachteiligte städtische Arbeiterklasse. Das ist die trostlose Realität bis heute.

Peres ein Meister der Siedlungspolitik

Peres verschwand eine Zeit lang von der politischen Bühne, als sein Herr und Meister, Ben-Gurion, Israels erster Ministerpräsident, im Jahr 1963 von einer neuen Generation politischer Führer an den Rand gedrängt wurde. Nach dem Krieg von 1967 kam er zurück und wurde gleich als Minister verantwortlich für die besetzten Gebiete. In dieser Funktion legitimierte er – meist erst im Nachhinein – die Besiedlungskampagne im Westjordanland und im Gasastreifen.
Wie so viele von uns heute wissen, war im Jahr 1977, als die Likudpartei an die Macht kam, die offen für die Siedlungspolitik insbesondere im Westjordanland eintrat, eine Zweistaatenlösung schon nicht mehr denkbar.

Im Jahr 1974 verband sich Peresʼ politische Laufbahn engstens mit seinem Erzfeind Jitzhak Rabin. Die beiden Politiker konnten sich nicht ausstehen, mussten aber im Interesse des politischen Überlebens zusammenarbeiten. Hinsichtlich der Strategie Israels mit Blick auf die Palästinenser teilten sie jedoch die Vorstellung des zionistischen Siedlerkolonialismus, sich so viel palästinensisches Land mit so wenigen Palästinensern wie möglich anzueignen. Sie arbeitete auch gut bei der gewaltsamen Unterdrückung des im Jahr 1987 beginnenden palästinensischen Aufstands, der Intifada.

Peresʼ erste Funktion in dieser schwierigen Partnerschaft war seine Aufgabe als Verteidigungsminister in Rabins Regierung im Jahr 1974. Die erste reale Krise, die Peres zu bewältigen hatte, bestand in der rasanten Ausweitung der Siedleraktivitäten der messianischen und terroristischen Bewegung Gusch Emunim in und um Nablus, einer Stadt im Westjordanland.
Im Jahr 1976 war Peres zuständig für die Regierungspolitik in den besetzten Gebieten und war überzeugt davon, dass er ein Abkommen mit Jordanien schließen könne, wonach das Westjordanland von Jordanien verwaltet, aber faktisch unter israelischer Herrschaft stehen würde.

Er ließ Kommunalwahlen im Westjordanland durchführen, aber zu seiner großen Überraschung – und Enttäuschung – wurden die Kandidaten gewählt, die mit der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) identifiziert wurden und nicht mit denen, die loyal zur haschemitischen Monarchie Jordaniens standen.

Peres hielt dennoch nach 1977 als Oppositionsführer und später, als er in der Koalition mit der Likudpartei in den Jahren 1984 bis 1988 wieder an die Macht zurückkehrte, an der „jordanischen Lösung“, wie er es nannte, fest. Auf dieser Grundlage drängte er weiter auf Verhandlungen, bis König Hussein im Jahr 1988 entschied, jede politische Verbindung zwischen Jordanien und dem Westjordanland zu kappen.

Israels internationales Gesicht

In den 1990er Jahren konnte die Welt einen gereifteren Peres erleben. Er war Israels internationales Gesicht, in der Regierung wie auch außerhalb. Er spielte diese Rolle selbst noch dann, als Likud zur stärksten politischen Kraft im Land aufstieg. In Rabins Regierung Anfang der 1990er Jahre, als Ministerpräsident nach der Ermordung Rabins 1995 und dann als Minister im Kabinet von Ehud Barak in den Jahren 1999 bis 2001 war Peres Motor eines neuen Konzepts, das er „Frieden“ nannte.

Statt sich die Verwaltung des Westjordanlands und des Gasastreifens mit Jordanien und Ägypten zu teilen, setzte er jetzt darauf, dass die PLO diese Arbeit übernahm. Der Führer der PLO, Jassir Arafat, war dazu bereit, vielleicht weil er hoffte, auf diese Weise einen Weg zur Befreiung Palästinas zu finden.

Dieses Konzept schlug sich in dem Osloer Abkommen von 1993 nieder und wurde mit großer Begeisterung von Israels internationalen Verbündeten aufgenommen.
Peres war führender Botschafter dieser Farce eines Friedensprozesses, der Israel als internationaler Schirm diente, auf dem Boden Fakten zu schaffen und Israel in einen noch größeren Apartheidstaat zu verwandeln, gesprenkelt mit kleinen palästinensischen Enklaven – Bantustans, wie sie in dem Apartheidstaat Südafrika hießen.

Dass er den Friedensnobelpreis für einen Prozess erhielt, der den Ruin Palästinas und seines Volks noch beschleunigte, ist ein weiteres Zeugnis für das Unverständnis, den Zynismus und die Apathie angesichts des Leidens der Palästinenser.

Wir haben das Glück, in einer Zeit zu leben, in der die internationale Zivilgesellschaft diese Farce entlarvt hat und mittels der Bewegung für Boykott, Investitionsabzug und Sanktionen (BDS) und der wachsenden Unterstützung für die Einstaatenlösung einen hoffnungsvolleren und echten Weg nach vorne weist.

Peres und das Massaker von Kana

Als Ministerpräsident hat Peres noch einen besonderen „Beitrag“ zu der Geschichte des Leidens von Palästinensern und Libanesen geleistet. Als Reaktion auf die endlosen Scharmützel zwischen der libanesischen Hisbollah und der Israelischen Armee in Südlibanon, wo die Hisbollah und andere Gruppen Widerstand gegen die im Jahr 1982 beginnende israelische Besetzung leisteten (beendet erst nach der Niederlage Israels im Jahr 2000), befahl Peres im April 1996 die Bombardierung des Gebiets. In diesem Feldzug, genannt Operation „Früchte des Zorns“, wurden über 100 Leute getötet – Zivilisten, die vor dem Artillerieangriff flohen, und Mitglieder einer UN-Friedenstruppe in Fidschi, nahe dem Ort Kana.

Trotz einer Untersuchung der Vereinten Nationen, die Israels Behauptung, es habe sich um ein Versehen gehandelt, für „unwahrscheinlich“ hielten, änderte dieses Massaker nichts an Peresʼ internationalem Ansehen als „Friedensstifter“. Im 21. Jahrhundert war Peres eher eine Symbolfigur als ein aktiver Politiker. Er gründete das Peres-Zentrum für Frieden, gebaut auf beschlagnahmtem Land palästinensischer Flüchtlinge in Jaffa. Dort wird weiterhin die Vorstellung von einen palästinensischen „Staat“ im Rahmen einer Zweistaatenlösung propagiert – wobei diese Palästina kaum über Land und über keine echte Unabhängigkeit oder Souveränität verfügen würde.

Das wird niemals funktionieren, aber wenn die Welt weiterhin an Peresʼ Erbe festhält, wird das Leiden der Palästinenser weitergehen.

Schimon Peres verlieh dem Zionismus mit seiner angeblichen Friedenspolitik eine hübscheren Anstrich, aber die Tatsachen sprechen eine andere Sprache. Er war mitverantwortlich das Leiden und die Konflikte im Nahen Osten. Die Wahrheit zu kennen, hilft uns dabei, einen Weg nach vorne zu finden und die Ungerechtigkeiten aus der Welt zu schaffen.

Zum Autor:  Ilan Pappe ist Verfasser mehrerer Bücher und Professor für Geschichte an dem Europäischen Zentrum für Palästinaforschung an der Universität Exeter, Großbritannien.

Zum Text: Zuerst erschienen bei Electronic Intifada am 28. September 2016. Aus dem Englischen von Rosemarie Nünning

Zuerst erschienen auf Marx21

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