Seit nunmehr vier Jahren ist eine Koalition unter Führung Saudi-Arabiens und der Vereinigten Arabischen Emirate heillos in einen desaströsen Krieg im Jemen verstrickt, wo die laut UN „größte humanitäre Katastrophe der Welt“ wütet. Neben der Unbeugsamkeit der Houthi-Rebellen ist der Jemen nicht zuletzt wegen seiner Geographie ein kriegsstrategischer Albtraum und hat damit das Potential, Saudi-Arabien sein „Vietnam zu bescheren“.
Mehr als 85.000 Kinder unter fünf Jahren wurden im seit vier Jahren währenden Krieg im Jemen bereits durch eine menschengemachte Hungersnot ermordet – und damit mehr als die rund 70.000 insgesamt durch Waffengewalt Getöteten. Die Hälfte der jemenitischen Bevölkerung leidet akut unter Hunger. Mit weit über 1,2 Millionen Infizierten wütet kriegsbedingt die größte Choleraepidemie seit Beginn der modernen Aufzeichnungen. Während die UN die „größte humanitäre Katastrophe der Welt“ beklagt, setzt die Saudi-Emirate-Koalition unter Komplizenschaft der westlichen Wertegemeinschaft Epidemien und Hunger als Kriegswaffe ein, weshalb einige Analysten ob der Perfidie bereits Vergleiche zum Holodomor, Stalins Hunger-Genozid in der Ukraine, und der Großen Hungersnot der Nazis im besetzten Griechenland ziehen. Jeder historische Vergleich hinkt, doch sollten die Saudis und ihre unverbesserlichen Verbündeten im Westen allen voran den Vietnam-Krieg im Hinterkopf behalten, wenn sie den Ausgang ihrer Unternehmung erahnen wollen.
Friedhof der Imperien
„Sein Vietnam erleben“ umschreibt die Situation, in der ein übermächtiger Aggressor von einem unterlegenen Gegner in die Knie gezwungen wird. Weder die knapp drei Millionen US-Soldaten, noch die größte Chemiewaffenkampagne der Menschheitsgeschichte konnten den USA damals zum Sieg verhelfen. Die Sowjetunion erlebte ihr Vietnam in Afghanistan. Nach einer Dekade zog die Rote Armee 1989 gedemütigt ab und Moskau musste schmerzlich lernen, dass ein Krieg in Afghanistan nicht zu gewinnen ist – so wie bereits Alexander der Große, Dschingis Khan und das British Empire davor und die NATO in ihrer 18-jährigen Katastrophe danach. Nicht umsonst wird das Land „Graveyard of Empires“ genannt.
Diente in Vietnam der Dschungel als Schutz vor einer Invasion, sind es in Afghanistan die unbezwingbaren Berge und Höhlensysteme. Dasselbe gilt für den Jemen. Die unbewohnten Sandwüsten im Landesinneren weichen über ungangbare Geröllwüsten den massiven Hochebenen im Westen des Landes, in denen die meisten der knapp 30 Millionen Einwohner leben. Nahe der Hauptstadt Sana’a liegt mit 3.665 Metern der höchste Berg des Subkontinents der Arabischen Halbinsel. Die Gebirgsketten mit all ihren ausgebrannten Vulkanen werden fortwährend durch schroffe Taleinschnitte zerpflügt. Der Jemen ist ein kriegsstrategischer Albtraum – und hat damit ebenfalls das Potential zum „Friedhof der Imperien“.
Der Beschützermythos der Houthis
Im Zuge des Arabischen Frühlings stürzten die Houthi-Rebellen 2012 nach 34 Jahren an der Macht den Diktator Ali Abdullah Salih, brachten von ihrer Hochburg Sa’da im Norden bis nach Aden im Süden alle großen urbanen Zentren des Landes unter ihre Kontrolle und trieben Salehs Nachfolger Abed Rabbo Mansur Hadi ins saudische Exil.
Im März 2015 startete unter Führung der Saudis und Emiratis und in Kollaboration mit dem Westen eine Koalition aus neun Staaten einen erbarmungslosen Bombenkrieg gegen die Zivilbevölkerung des Landes mit dem Ziel, Riads Marionette Hadi wieder an die Macht zu bringen. Der seit seinem brutalen Mord am Journalisten Jamal Khashoggi als hochtoxisch geltende Kronprinz und Architekt des Jemen-Kriegs, Mohammed bin Salman (MbS), prahlte anfangs, der Krieg werde nur wenige Wochen dauern.
Zwar überzog die Koalition das Land mit einem Bombenteppich made in USA und löschte Infrastruktur und Wirtschaft nahezu vollständig aus, doch sind anno 2019 bis auf Aden alle eroberten Städte weiter unter Kontrolle der Houthis. Der Rückhalt, den die Rebellen genießen, stützt sich im Kern auf ihr Image als Beschützer. Einerseits sind sie die einzigen Akteure, die ernsthaft gegen die Al-Qaida im Jemen kämpfen – im Gegensatz zu den USA, deren Drohnenschläge und Night-Raids immer wieder in blutigsten Massakern an der Zivilbevölkerung enden und der Al-Qaida so als Rekrutierungsmaßnahme dienen.
Andererseits werden die Houthis als Beschützer vor den saudischen und emiratischen „Besatzern“ wahrgenommen, als die die ausländischen Truppen gesehen werden. Das Internet ist voll mit Houthi-Propagandavideos, in denen Panzer der Saudis zerstört oder deren Truppen in die Flucht geschlagen werden – und so ebendiesen Beschützermythos aufrechterhalten.
Seit der Rückeroberung von Aden kurz nach Kriegsbeginn haben sich die Fronten in den letzten dreieinhalb Jahren nur minimal verschoben. Der Iran erkannte recht schnell diese Natur eines Zermürbungskriegs und damit die sich auf dem Silbertablett präsentierende Möglichkeit, seinen regionalen Erzfeind im saudischen Königshaus in einen langen, demoralisierenden, nichtgewinnbaren Krieg zu verwickeln: Saudi-Arabien sein Vietnam zu bescheren.
Irans Asset sind nicht die Houthis
Um eines unmissverständlich festzuhalten: Das unermüdlich aus Riad kolportierte Narrativ, im Jemen handle es sich um einen Stellvertreterkrieg gegen den Iran, ist schlicht falsch – mögen die meisten Medien es auch noch so oft unhinterfragt übernehmen. Die Houthis erfahren zwar eine gewisse Unterstützung aus dem Iran, doch handeln sie aus rein innenpolitischem Eigeninteresse – zuweilen auch explizit gegen Teherans Absichten – und ließen sich historisch nie für eine fremde Sache vereinnahmen, ganz im Gegensatz etwa zur Hisbollah, die zweifelsohne Irans Vertretung im Libanon ist.
Daher scheint es ausgeschlossen, dass Teheran die Moskau-Taktik fährt – Russland griff erst im September 2015 in Syrien ein, als Assad kurz vor der Niederlage stand – und tatsächlich militärisch im Jemen eingreift, sollten die Houthis Gefahr laufen, geschlagen zu werden. Auch wenn Hardliner im iranischen Sicherheitsapparat ihre Führung seit Längerem drängen, neben Syrien mittelfristig auch im Jemen eine dauerhafte Präsenz zu etablieren, ist dies aus drei Gründen mehr als unwahrscheinlich.
Erstens sind die Houthis eine der wenigen tatsächlich unabhängigen Gruppen im Nahen Osten. Selbst für den Preis ihrer militärischen Rettung würden sie keine substanziellen Einschnitte in die jemenitische Souveränität hinnehmen und lehnen etwa den Bau einer iranischen Marinebasis entschieden ab. Zweitens ist das Houthi-Territorium am Roten Meer mit seiner Meerenge am Tor der Tränen zwar eine der weltweit wichtigsten Ölschifffahrtsrouten – und damit ein geostrategisch wichtiger Flaschenhals in Richtung Suez-Kanal –, doch liegt auf der anderen Seite der Arabischen Halbinsel der geostrategische Jackpot direkt vor Irans Küste: die Straße von Hormus. Die Kosten für ein militärisches Eingreifen auf Seiten der Houthis stünden daher in keinem Verhältnis zum geringen geostrategischen Nutzen. Drittens käme eine iranische Intervention einer selbsterfüllenden Prophezeiung gleich und würde den iranophoben Hardlinern in den USA, am Golf und in Israel in die Hände spielen, die ohnehin keine Mühen scheuen, das Bild der Houthis als iranische Marionette zu zeichnen.
Um Irans begrenztes strategisches Interesse am Jemen und seinen Houthis einordnen zu können, ist wiederum ein vergleichender Blick auf die enorme Bedeutung der Hisbollah hilfreich. Dank iranischer Petrodollars ist diese mittlerweile schlagkräftiger als die meisten Armeen dieser Welt. Denn bei aller Obsession mit dem Houthi-Iran-Schreckgespenst und weit darüber hinaus mit dem nichtvorhandenen iranischen Atomwaffenprogramm ist Teherans einzige echte Rückversicherung gegen US-amerikanisch-saudisch-israelische Luftschläge – oder gar eine Invasion à la Irak 2003 – die hochgerüstete Hisbollah im Libanon: Deren 130.000 Raketen würden per Befehl auf die urbanen Zentren Israels niederregnen, sollte die anti-iranische Achse Teheran angreifen. Haifa im Norden des Landes, wo ich einige Zeit lebte und Familie habe, ist keine 30 Kilometer von der libanesischen Grenze entfernt.
Riads Orientierungslosigkeit
Und daher fährt Teheran im Jemen die Taktik der Sparflamme und trägt mit minimalem Einsatz dazu bei, den Status Quo zwischen den Houthis und der Saudi-Emirate-Koalition aufrechtzuerhalten. Das Brookings Institute berichtet von einer „gewissen Unterstützung“ etwa beim Programm ballistischer Raketen der Houthis und von Hilfszahlungen von „einigen wenigen Millionen Dollar pro Jahr“ – und damit einem Bruchteil von dem, was Hisbollah oder auch Hamas aus Teheran erhalten. Auch vor dem Krieg gab es bereits gewisse Kontakte, doch ist die bescheidene Houthi-Iran-Connection in erster Linie eine Folge des Jemen-Kriegs, keineswegs dessen Ursache, und für Teheran ein einfaches und billiges Werkzeug, um seinen Erzfeind Saudi-Arabien in diesem sinnlosen Krieg finanziell bluten zu lassen.
Mit knapp 70 Milliarden US-Dollar sind Riads Verteidigungsausgaben hinter den USA und China mittlerweile die drittgrößten der Welt und sind zum größten Einzelposten im saudischen Haushalt aufgebläht. Zwar wird dem Königshaus der Zufluss von Petrodollar-Milliarden noch lange Zeit erhalten bleiben, doch nagt das aufgeblähte Militär an den saudischen Finanzen und verhindert so dringend benötigte Investitionen in anderen Bereichen – insbesondere in die „Vision 2030“, dem ambitionierten Programm des Kronprinzen MbS zur vollständigen Restrukturierung der saudischen Wirtschaft.
So brachen die Währungsreserven Saudi-Arabiens in den letzten vier Jahren bereits um mehr als ein Drittel ein. Zwar ist dies zum großen Teil auf den niedrigen Ölpreis zurückzuführen, doch hat vor allem auch der desaströse Krieg im Jemen einen massiven Anteil daran, dass sich die saudischen Ersparnisse in Luft auflösen. Bereits Anfang letzten Jahres summierten sich die Gesamtkosten des Krieges für Riad auf über 100 Milliarden US-Dollar. Und Brookings berichtet, dass hier jeden Monat 5-6 Milliarden an laufenden Kriegskosten hinzukommen – zusätzlich zum regulären Militärbudget.
So falsch es war, diesen Krieg zu beginnen, so absurd ist es, ihn auch nur einen einzigen Tag fortzuführen – aus finanzieller, militärischer und allem voran menschlicher Perspektive. Der junge Machthaber MbS wird zwar von den Falken in den USA und Israel in seiner Orientierungslosigkeit bestärkt, doch rast er sehenden Auges auf den Abgrund zu und verursacht neben unerträglichem Leid im Jemen auch den Fall seines eigenen Landes. Ein bedeutender jemenitischer Stammesführer umschreibt es folgendermaßen: „Die Saudis versuchen, einen Amboss mit einem Ziegelstein zu zertrümmern. Sie werden nicht den Jemen, sondern sich selbst zerstören.“
Dieser Artikel von Freiheitsliebe-Autor Jakob Reimann erschien gedruckt in der a&k – analyse & kritik Nr. 647 von März 2019 und online auf den Seiten der ak. Dies hier ist eine leicht editierte Fassung. Wir bedanken uns recht herzlich für die Kooperation und das freundliche Miteinander mit der ak – connect critical journalism.