Lucy Redler

R2G? Wahlergebnis für den Aufbau des Widerstands nutzen! – Im Gespräch mit Lucy Redler

Am vergangenen Sonntag wurde in Berlin gewählt, die Linke hat als einzige Parlamentspartei hinzugewonnen. Wir haben mit Lucy Redler, Mitglied im Parteivorstand der Linken, über die Wahl gesprochen und warum nun auf den Aufbau von Widerstand statt auf Rot-Rot-Grün gesetzt werden sollte.

Die Freiheitsliebe: Am vergangenen Sonntag fanden in Berlin Wahlen statt, wie bewertest du den Ausgang?

Lucy Redler: Die Wahlen waren eine schallende Ohrfeige für die Regierungsparteien SPD (-6,7%) und CDU (-5,7%). Beide haben ihr historisch schlechtestes Ergebnis in Berlin eingefahren. Das hat verschiedene Gründe und reicht vom Chaos am Lageso, der Kostenexplosion beim BER, steigenden Mieten und prekären Arbeitsverhältnissen bis zur katastrophalen Lage auf den Warteämtern (auch Bürgerämter genannt). Die Grünen konnten interessanterweise gar nicht davon profitieren, sondern haben prozentual an Zustimmung verloren (-2,4%). Hinzugewonnen haben DIE LINKE (+3,9%), die FDP (+4,9%) und die AfD (+14,2%). Die AfD gewann fünf Direktmandate im Osten der Stadt und zieht mit 25 Abgeordneten neu ins Abgeordnetenhaus ein, darunter sind auch Nazis. Einer von ihnen, ein ehemaliges Mitglied der German Defense League, ist bereits wenige Tage nach der Wahl aufgrund des öffentlichen Drucks aus der AfD-Fraktion ausgeschieden. Die AfD hat Stimmen von allen Parteien, aber vor allem von den NichtwählerInnen gewonnen. Es sollte uns große Sorgen bereiten, dass sie unter ArbeiterInnen (28%) und Erwerbslosen (22%) stärker als DIE LINKE (16% unter ArbeiterInnen, 14 % unter Erwerbslosen) abgeschnitten hat. Auch wenn die AfD in Berlin nicht so stark geworden ist wie in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt, sollten wir das Ergebnis und die Gefahr, die von der AfD ausgeht, nicht kleinreden, sondern das als ernste Warnung betrachten.

Die Freiheitsliebe: Die Linke konnte als einzige parlamentarische Kraft dazu gewinnen, woran liegt das?

Lucy Redler: Das liegt vor allem daran, dass sie sich in den fünf Jahren in der Opposition erholt hat und daran, dass die schwarz-rote Regierung sehr unbeliebt war. Davor hatte DIE LINKE (bzw PDS) zehn Jahre mit der SPD regiert und durch die Zustimmung zu Privatisierungen und Sozial- und Stellenabbau massiv an Glaubwürdigkeit verloren. Ihre Zustimmung sank von 22,6 % im Jahr 2001 auf 11,7% im Jahr 2011. Diesmal konnte sie fast 88.500 Stimmen dazu gewinnen. Das ist gut, aber kein Durchbruch. Bei den Wahlen war soziale Gerechtigkeit das wichtigste Thema (noch vor dem Thema Zuwanderung). Das hat der LINKEN geholfen. Sicher haben auch viele Jugendliche aus Angst vor der AfD DIE LINKE gewählt. Der Stimmenzuwachs wurde jedoch vor allem im Westen der Stadt erzielt: Von den 84.690 neuen Stimmen wurde 59.000 in Westbezirken dazu gewonnen, das sind zwei Drittel, davon knapp 10.700 in Neukölln. Hier gibt es oftmals eine stärkere Bewegungsorientierung der Partei oder wie in Neukölln eine oppositionelle Ausrichtung.

Die Freiheitsliebe: Während im Westen der Stadt überall Zugewinne erzielt wurden, gab es im Osten auch Verluste, welche Ursachen hat das?

Lucy Redler: DIE LINKE ist im Osten stärkste Kraft, hat aber in Treptow-Köpenick, Lichtenberg und Marzahn-Hellersdorf bei steigender Wahlbeteiligung prozentual an Zustimmung verloren. Besonders im Südosten und im Nordosten ist die AfD sehr stark geworden. Das hat verschiedene Gründe, liegt sicher aber auch daran, dass DIE LINKE im Osten als etabliert betrachtet wird und nicht die erste Adresse für Wut und Protest ist. Eine Solidgenossin, die in Marzahn-Hellersdorf lebt, hat mir berichtet, dass die AfD sich dort auch mit sozialen Themen profiliert hat wie für mehr Schulen und Kitas, ein Freibad und Schwimmunterricht, pünktliche Busse und Bahnen. Solche Forderungen verbindet die AfD dann mit ihrem Rassismus gegen Geflüchtete. Gleichzeitig hat DIE LINKE dort Plakate mit dem Slogan „Verliebt in Hellersdorf“ geklebt.

Die Freiheitsliebe: Besonders beeindruckend ist der starke Anstieg in Neukölln wo es einen Stimmenzuwachs um 170 Prozent gab, was unterscheidet den Bezirk von anderen?

Lucy Redler: DIE LINKE Neukölln ist der mitglieder- und wahlkampfstärkste Bezirk aller Westbezirke. Besonders in Nordneukölln ist die Partei seit langem in Bewegungen und Kiezen verankert und dafür bekannt, nicht nur in Wahlkämpfen regelmäßig auf der Straße präsent zu sein. Unsere Slogans „Wir können uns die Reichen nicht mehr leisten“, „Nein zum Hartz IV-System! Nein zu Niedriglöhnen!“ oder „Obergrenzen für Reichtum nicht für Geflüchtete“ haben offenbar einen Nerv getroffen. Hier haben die drei DirektkandidatInnen Sarah Moayeri, Irmgard Wurdack und Ruben Lehnert Erststimmenergebnisse von über 20% erreicht. In Nordneukölln wohnen viele junge Leute und MigrantInnen, die keinen Bock auf die AfD in ihrem Kiez haben. Zugleich ist Neukölln der Bezirk mit der höchsten Dichte an Hartz-IV-BezieherInnen. Im Neuköllner Wahlkreis 3 ist die Anzahl von Hartz-IV-Beziehenden am höchsten (im Jahr 2014 waren es über 40%). Und trotzdem hat unser kämpferischer eigenständiger Wahlkampf dazu geführt, dass die AfD in diesem Bezirk „nur“ auf 9% kam (und die CDU übrigens auch nur auf 9%). Es stimmt also nicht, dass es – wie von einigen vermutet – einen Zusammenhang gibt zwischen ärmeren Bezirken und einer hohen Zustimmung für die AfD. Mit einem kämpferischen Profil können wir Menschen für uns gewinnen. Wichtiger als Stimmen ist aber immer, Menschen zu überzeugen, selbst aktiv zu werden. Allein am Wahlwochenende haben wir acht neue Mitglieder in Neukölln gewonnen, im Wahlkampf insgesamt sind es 50 neue Mitglieder.

Die Freiheitsliebe: Die Neuköllner Kandidaten sind mit einem Oppositionsprofil in den Wahlkampf gegangen und haben hervorragende Ergebnisse geholt, trotzdem wird keiner ins Abgeordnetenhaus ziehen. Bald dürfte es R2G geben, wie erklärt ihr das euren Wählern?

Lucy Redler: Das liegt daran, dass die vom Bezirk Neukölln vorgeschlagenen KandidatInnen für die Landesliste aus politischen Gründen von der Landesspitze ausgegrenzt wurden. Stattdessen wurden den Reformern genehme KandidatInnen aus Neukölln für die Liste vorgeschlagen, die aber keine demokratische Legitimation aus dem Bezirk haben. Diese sitzen nun im Abgeordnetenhaus.

In dem Wahlkreis, in dem ich Wahlkampf gemacht habe, hat die Kandidatin Sarah Moayeri erklärt, dass sie gegen eine Koalition mit SPD und Grünen ist. Wir haben daran erinnert, dass unter Rot-Rot 120.000 Wohnungen privatisiert wurden. Und wir sind offen damit umgegangen, dass die Landesspitze der Partei eine Regierungsbeteiligung anstrebt. Ich denke, es ist richtig, den Menschen zu erklären, dass es zur Regierungsfrage unterschiedliche Meinungen in der Partei gibt.

Die Freiheitsliebe: Was erwartest du von einer Mitte-Links-Regierung, gibt es überhaupt Perspektiven für ein linkes Regierungsprojekt?

Lucy Redler: Nein, ich gehe davon aus, dass es keine rot-rot-grüne Regierung ohne Schuldenbremse und ohne Abschiebungen und für eine Wiedereingliederung aller Tochterunternehmen, gleichen Lohn für gleiche Arbeit für die LehrerInnen und andere Beschäftigte und einem Ende des Sozialabbaus der Vergangenheit geben wird. Für diese Forderungen braucht es starke Bewegungen und Proteste und sie sind nur gegen die Reichen und Privatinvestoren und deren Parteien (CDU, AfD, FDP, SPD, Grüne) durchsetzbar und nicht im Schulterschluss mit einigen von ihnen. Die Erfolge in Berlin der letzten Jahre wie die Rekommunalisierung der Wasserbetriebe, der Mietenvolksentscheid und mehr Personal an der Charité wurden alle durch Proteste, Streiks oder öffentlichen Druck durchgesetzt und nicht durch geschicktes Agieren im Abgeordnetenhaus. Es hat DIE LINKE gestärkt, dass sie sich an Protesten während ihrer Oppositionszeit beteiligt hat. Natürlich würde eine rot-rot-grüne Regierung auch einige Verbesserungen beschließen und aufgrund der Haushaltslage ein paar Investitionen tätigen, aber das würde nicht aufwiegen, dass DIE LINKE Sozialkürzungen, Abschiebungen, Polizeieinsätze, die Fortsetzung prekärer Lebens- und Arbeitsbedingungen usw mit zu verantworten hätte.
Ein Argument ist, dass laut Umfrage, 98% unserer WählerInnen wollen, dass DIE LINKE regiert. Ich bin dafür, dass es nicht an der LINKEN scheitert, eine rot-grüne Minderheitsregierung ins Amt zu bringen. Dann könnte DIE LINKE Verbesserungen zustimmen und alle Verschlechterungen ablehnen. Wir dürfen uns nicht durch einen Koalitions- oder Tolerierungsvertrag in unserer Freiheit einschränken lassen, das Wahlergebnis jetzt als Rückenwind zu nutzen, den dringend nötigen Widerstand auch gegen die Politik von SPD und Grünen aufzubauen. Es ist doch die neoliberale Politik von CDU, SPD und Grünen, die die AfD erst stark gemacht haben. Wenn DIE LINKE erneut regiert und Menschen enttäuschen sollte, wird die AfD in der Opposition weiter zulegen.

Die Freiheitsliebe: Wie wirst du und der linke Flügel reagieren falls es unter R2G wieder zu Privatisierungen oder Sozialabbau kommt?

Lucy Redler: Ich werde mich immer an Demonstrationen und Protesten gegen Verschlechterungen beteiligen, unabhängig davon wer regiert. Falls es zu einer Koalition kommt, müssen Linke in der LINKEN in einer solchen Situation einen maximalen Druck erzeugen, dass DIE LINKE die Koalition wieder aufkündigt.

Die Freiheitsliebe: Danke dir für das Gespräch.

Lucy Redler ist Mitglied im Parteivorstand der Linke, Bundessprecherin der AKL und aktiv in der SAV.

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