Quellen des Reichtums – der industrielle Komplex

Die Geschichte des Ruhrgebiets ist auch die Geschichte der großen Kämpfe zwischen Arbeit und Kapital. Der Achtstundentag wurde hier in der Revolution von 1918 bis 1919 von den Kumpels gegen die Grubenherren erkämpft. Im Jahre 1920 haben die Arbeiterinnen und Arbeiter der Roten-Ruhr-Armee die Weimarer Republik gegen die Rechtsputschisten verteidigt, – und wurden dann von der Reichswehr massakriert. Von Patrick Münch.

Damals wie heute zeigt sich der Gegensatz von oben und unten, von reich und arm in der Struktur der Region. Die Stadt Essen ist geteilt in den reichen Süden, wo immer mehr Reiche und Superreiche, wie die Albrechts oder Stauders, privilegiert leben, und den armen Norden, wo sich Erwerbs- und Perspektivlosigkeit ausbreiten. Aber woher kommt der Reichtum, den sich die neuen Fürsten aneignen? Wer schafft die Werte für den neuen Adel, die Ultra-High-Net-Worth-Individuals?

Der industrielle Komplex

Der moderne Kapitalismus materialisiert sich auch in Essen, organisch verwoben mit der parlamentarischen Demokratie, in einem monströsen Geflecht der Monopolkonzerne. In diesem industriellen Komplex werden gigantische Summen von den Arbeitenden erwirtschaftet, die dann mit legaler Steuervermeidung auf die Konten der Eigentümer geschleust werden. Eine solche Praxis macht die Kommunen finanziell handlungsunfähig und als Resultat können wichtige Investitionen im sozialen Bereich nicht getätigt werden. 

In einer im Sommer 2018 erschienenen Studie von Wissenschaftlern der Universität Kopenhagen und der University of California, Berkeley, heißt es laut Deutschlandfunk zu diesem Thema: „Die wohl auffälligste weltweite steuerpolitische Entwicklung in den letzten Jahrzehnten war der Niedergang der Körperschaftssteuern. Zwischen 1985 und 2018 ist deren durchschnittlicher globaler Satz um mehr als die Hälfte gefallen. Von 49 auf 24 Prozent“.  Der Deutschlandfunk berichtet darüber weiter: „Die Studie zeigt, dass Gewinne multinationaler Unternehmen im Umfang von rund 600 Milliarden Dollar in Steueroasen geparkt werden. Die USA, Großbritannien und Deutschland verlieren am meisten. Allein aus Deutschland flossen im Jahr 2015 an die 55 Milliarden Dollar ab.“ 

Bleibt festzuhalten: Die öffentliche Armut resultiert aus dem privaten Reichtum, zusammengerafft durch legale Steuervermeidung, der Hinterziehung von Steuern oder gar kriminellen Steuergeschäften. Durch diese Form der Wirtschaftsverbrechen, nach Hans See definiert als Wirtschaftskriminalität, Organisierte Kriminalität (OK) und aktive Bestechung, wird die Gesellschaft zunehmend stärker in oben und unten gespalten. Kleine und mittelständische Unternehmen werden über Gebühr steuerlich belastet, während international agierende Großunternehmen gewollt von Steuerabgaben befreit sind. Willkommen in Absurdistan!

Der Essener industrielle Komplex wird gebildet von den fünf Großkonzernen Thyssen-Krupp, E.ON, RWE, mit seiner Tochter Innogy, und Evonik, wobei im Hintergrund die schwarze Hand von BlackRock die Fäden in den Aufsichtsräten zieht. BlackRock ist der größte Investmentfonds der Welt und verwaltet weltweit ein Vermögen von 6,44 Billionen US-Dollar. An Thyssen-Krupp hält die dunkle Finanzmacht mehr als 3 % der Stimmrechtsanteile und übt damit wesentlichen Einfluss auf die Entwicklung des Stahlkonzerns aus, zum Vorteil der Eigentümer, aber zum Nachteil der Belegschaft. Die Fusion mit dem indischen Stahlgiganten Tata Steel führt zu sogenannten Synergieeffekten, also auf Deutsch zu Entlassungen. „Der neue Stahlkonzern peilt jährlich wiederkehrende Synergien von 400 bis 500 Millionen Euro an“, berichtet das Industriemagazin. Wie bei solchen Vorgängen üblich, stehe der Abbau von Mitarbeitern ganz oben auf der Tagesordnung. 

So sollen laut Industriemagazin durch den Zusammenschluss nach offiziellen Angaben in den kommenden Jahren bis zu 4.000 Arbeitsplätze in der Produktion und der Verwaltung gestrichen werden. Das soll je zur Hälfte Thyssenkrupp und die europäischen Standorte von Tata Steel betreffen. Beim Energiekonzern RWE hält BlackRock einen Anteil der Stimmrechte von 5 %, bei E.ON sogar von7,21 %. An Innogy ist BlackRock mit 2,8% Prozent beteiligt. Der RWE-Ableger wird von E.ON übernommen, wobei E.ON insgesamt 5.000 Stellen abbauen will. Das wird die Investoren sicher freuen, aber die Mitarbeiter zahlen die Zeche. An Evonik hat BlackRock einen Anteil von 2,97 Prozent der Stimmrechte und ist damit größter Aktionär hinter der RAG-Stiftung.

Insgesamt besitzt BlackRock also circa 4,2 Prozent aller Anteile an fünf Großunternehmen, die für das Ruhrgebiet und Deutschland eine enorme wirtschaftliche und politische Bedeutung haben. Anders gesagt verfügt das Finanzkapital damit über einen bedeutenden Anteil der Aktien eines Teils der rheinländischen und deutschen Industrie, woraus sich erhebliche politische Macht ableitet. Auch in diesem Zusammenhang ist das Auftauchen eines Friedrich Merz, der Vorsitzender der CDU werden wollte und der im Vorstand von BlackRock-Deutschland sitzt, zu beurteilen.

Das Netzwerk

Die Großunternehmen des Ruhrgebiets sind traditionell eng mit den politischen Funktionseliten des Landes verbunden. Zum Wohle der Eigentümer ist es diesen politischen Kräften bis heute gelungen, die Mitbestimmung in den Unternehmen auf ein Mindestmaß zu reduzieren. Demokratie war und ist nicht im Sinne der Konzernherren! Tatsächlich haben die Arbeitenden in den Konzernen keinerlei Einfluss auf wesentliche Entscheidungen, die ihre eigene Existenz betreffen. In Wirklichkeit entscheiden die Finanzkapitalisten von BlackRock und Cevian Capital über die Zukunft von Konzernen wie ThyssenKrupp, – und damit über das Leben von Zigtausenden Angestellten.

Und dennoch leben wir, so heißt es, in einer Demokratie. Genauer gesagt, in einer parlamentarischen Demokratie. Welche Rolle spielen also die Parlamentarier in diesem Stück? Im Rat der Stadt Essen bilden die Fraktionen der SPD mit 30 und der CDU mit 28 Mitgliedern eine überwältigende Mehrheit. Wie auf Bundesebene ist man sich grundsätzlich einig bei der Durchführung einer neoliberal ausgerichteten Politik, die die Spaltung der Gesellschaft in arm und reich verfestigt und verschärft. Dieser Zustand wird freilich als Erfolgsmodell verkauft. So kann man auf der Internetseite der Stadt lesen, dass im Zeitraum von 2006 bis 2016 Essen eine prozentuale Steigerung von über 23 Prozent beim Bruttoinlandsprodukt und bei der Bruttowertschöpfung vorweisen kann.

Dabei betrug im Jahr 2017 die SGB II-Quote, also der Anteil der „Hartz IV“-Beziehenden an der Gesamtbevölkerung, in Essen 20,1 Prozent, bei Kindern und Jugendlichen unter 15 Jahren 34,1, in manchen Teilen des Essener Nordens mehr als 50 Prozent!  Während sich also der Reichtum in den Händen weniger vermehrt, müssen weiterhin Kinder in Armut leben. Diese extreme Ungleichheit ist das Produkt einer jahrzehntelangen Umverteilung von unten nach oben, seit der Rot-Grünen Regierung verstärkt nach dem Drehbuch der Agenda 2010, die in den letzten Jahren auch die Vorlage für die Politik im Essener Rathaus geworden ist.

Sollte diese Entwicklung nicht den politischen Vorstellungen der Mandatsträgerinnen und Mandatsträger entsprechen, dann ergibt sich daraus die Frage, wie nun die rot-schwarze Mehrheit im Rat der Stadt Essen dieser Politik der gesellschaftlichen Spaltung entgegenwirken möchte, wenn sie es denn will. Eine sinnvolle Idee wäre, den vorhandenen Reichtum auch kommunal konsequent zu besteuern, Steuerflucht zu verhindern und gleichzeitig die finanzielle Unterstützung von Kindern und Jugendlichen auszuweiten.

Jedoch scheint dieser konstruktive politische Ansatz den politisch Verantwortlichen sowohl bundesweit als auch im Rat der Stadt Essen bisher weitgehend fremd zu sein. Ein eigenartiger Sachverhalt, sind doch die Vertreterinnen und Vertreter des Volkes vom Souverän zu dem Zweck gewählt, dem Wohle der Allgemeinheit zu dienen! Dabei gibt es bereits etliche legale Möglichkeiten der Umverteilung von oben nach unten vorzunehmen bis hin zur Enteignung nach dem Grundgesetz. Laut dem „Global Wealth Report 2018“gibt es in Deutschland mittlerweile zwei Millionen und einhundertdreiundachtzig tausend Millionäre, Tendenz steigend. Was spricht eigentlich gegen eine stärkere Besteuerung dieser privilegierten Personengruppe?

Die extreme Konzentration des Reichtums ist die Folge von Niedriglöhnen, Abbau von sozialen Leistungen und erhöhtem Arbeitsdruck auf die Beschäftigten, von denen immer mehr ausbrennen und erkranken. Das unterste Zehntel der deutschen Bevölkerung verfügt über keinerlei Vermögen, sondern ist verschuldet. Das oberste Zehntel verfügt über fast zwei Drittel des Gesamtvermögens. Laut Oxfam verfügt das reichste eine Prozent der Deutschen über ebenso viel Vermögen wie die siebenundachtzig ärmeren Prozent der Bevölkerung. Das ist Klassenkampf von oben!

Was tun?

Kann man überhaupt von den Mandatsträgerinnen und Mandatsträgern der Mehrheitsparteien im Rat der Stadt Essen, in den Ländern und im Bund ernsthaft erwarten, dass sie politisch etwas gegen die Spaltung der Gesellschaft in reich und arm unternehmen? Denn schließlich ist es nicht zuletzt der Politik der Mehrheitsparteien im Essener Rat, SPD und CDU, über die letzten Jahrzehnte geschuldet, dass diese Zustände in Deutschland heute herrschen. Agenda 2010, Hartz IV, Schuldenbremse, schwarze Null: Diese Begriffe stehen für den Abbau des Sozialstaates und die Entrechtung und Verarmung großer Teile der Bevölkerung!

„Wir wollen nicht, dass Essen weiter in Arm und Reich auseinanderfällt“, schreibt die Essener SPD auf ihrer Internetseite. Das wäre möglich durch eine Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums von oben nach unten. Dieser politische Ansatz ist bei manchen Teilen der SPD mittlerweile zu erkennen, wenn auch noch lange nicht mehrheitlich. Hingegen hält die CDU weiterhin am Konzept „Fördern und Fordern“ fest und weigert sich, die Zwangsmaßnahme der Sanktionierung abzuschaffen. Dabei ist genau diese bornierte Politik eine der Hauptursachen für die krasse Spaltung unserer Gesellschaft, allerdings nicht erst seit der Agenda 2010.

Die Lösung wäre eine massive Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums zu Gunsten derjenigen, die ihn erwirtschaften. Dazu gehört ein wesentlicher Ausbau des Sozialstaates, um Pflege und Kindererziehung ausreichend und menschlich zu gestalten. Auf kommunaler Ebene muss eine Abgabe für alle ansässigen Großkonzerne eingeführt werden, um diese gesellschaftlichen Aufgaben zu lösen. Diese Abgabe wird auf städtischer Verwaltungsebene eingesammelt und ausschließlich für städtische Bedarfe verwendet. Die Höhe der Abgabe richtet sich nach den erwirtschafteten Gewinnen. 

Wie kann also eine Politik aussehen, die ein gutes Leben für alle nicht nur verspricht, sondern auch ermöglicht? Im Mittelpunkt steht die Forderung nach mehr Demokratie. Das bedeutet vor allem, mehr Demokratie am Arbeitsplatz, praktisch durch eine Stärkung der Betriebsräte und eine Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes. Wer in einem Betrieb, in einer Behörde, in einer Schule oder in einem Krankenhaus arbeitet, muss das Recht haben, den Inhalt seiner Arbeit und die Ziele des Arbeitsprozesses zu gestalten. Wir sind heute noch weit davon entfernt, in einer solchen echten Demokratie zu leben. Aber es ist möglich, eine solche Gesellschaft aufzubauen, wenn sich die Kolleginnen und Kollegen miteinander solidarisieren und gemeinsam in diese Richtung streben. 

Dem Klassenkampf von oben muss der Klassenkampf von unten entgegengesetzt werden, indem alle progressiven Kräfte der Gesellschaft endlich die Zeichen der Zeit erkennen und sich solidarisieren. Dazu gehören die Jugendlichen und Kinder, die für ihr Recht auf eine Zukunft kämpfen, die Arbeiterinnen und Arbeiter, die Angestellten, die Gewerkschaften und viele weitere Betroffene der falschen Verhältnisse. Stärker denn je gilt, was Willy Brandt als Devise ausgegeben hat: Mehr Demokratie wagen!

Ein Beitrag von Patrick Münch, Aktiv im Rosa-Luxemburg-Club Essen. Zum ersten Teil des Artikels geht es hier.

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Eine Antwort

  1. Wenn die SPD dieses obszöne Auseinanderklaffen von Reich und Arm nicht möchte,
    könnte sie ja bei den genannten Vorschlägen und Aktionen mitmachen!
    Da bin ich aber mal gespannt!
    Stattdessen wird sie zusehen, wie ihr Juso-Vorsitzender medial fertiggemacht wird,
    nur weil er mal etwas von legaler Enteignung gemurmelt hat.

    Grüße, Ulrich Straeter

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