Pinkwashing – Wie der Regenbogen-Kapitalismus unsere Bewegung zersetzt

Wir alle kennen es von Social Media – am 1 Juni, dem Beginn des internationalen “Pride Month” (dt. Pride-Monat), wechseln alle möglichen Unternehmen ihr Logo in Regenbogenfarben und positionieren sich so gegen queer*-feindliche Ausschlüsse und Gewalt. Sie tun dies jedoch nur oberflächlich.

Abseits der öffentlichkeitswirksamen Positionierung zur Solidarität mit der queeren Community finanziert das Kapital Kampagnen und Politiker*innen, die sich offen gegen die Rechte der Community einsetzen und diese aktiv bekämpfen. So gibt es unter anderem eine “Top 9” der Bigotterie US-amerikanischer Unternehmen, die zugleich 2019 beim “50th Anniversary of the Stonewall Riots” auftraten, jedoch zwischen 2017 und 2018 horrende Summen an rechte Politiker*innen spendeten. Gewiss ist dieser eigentliche Widerspruch im Handeln der Unternehmen nicht zufällig. Vielmehr ist es die ureigenste Logik eines ausbeuterischen Wirtschaftssystems. Auf der einen Seite wird heuchlerisch die Emotionalität der Betroffenen aufgenommen. Es wird der Frustration und der Handlungsbereitschaft ein Deckel auferlegt, der zugleich ausstrahlt, dass ein Wandel stattfinde, aber ein zu radikaler und schneller Wandel nicht möglich sei; dass die Ursachen der bestehenden Ungleichheit jedoch gerade erst durch den Kapitalismus verursacht werden, wird durch diese Täuschung verdeckt.

Auf der anderen Seite kann in scheinheiliger Allianz ein neuer Absatzmarkt erschlossen werden, sowie eine Produkteigenschaft (divers, Pride, bunt, etc.) beworben werden. Dieser Stil der omnipräsenten Darstellung queerer Realitäten im zusammenhang mit Konsum und Verbrauch schmeichelt einerseits möglichen Kund*innen, bietet auf der anderen Seite die propagandistische Position der neuen Rechten Nährboden, welche auf einer “Verschwulung” der Welt beharren. Eben jene Politiker*innen profitieren von diesem Regenbogen-Kapitalismus. Es erhöht die Reichweite ihrer verschwurbelten Idee der schwulen Weltverschwörung auf Leute, die von dem Pinkwashing nicht angesprochen werden. Zugleich werden diese Politiker*innen von den eigentlich ach-so-liberalen Unternehmen gesponsert und unterstützt. Diese unheilvolle Symbiose führt dazu, dass nie oder nur selten die Unternehmen als Schuldige für die “Pride-Sondereditionen” angesehen werden, sondern die Schuld wird alleinig den queeren Menschen untergeschoben. Es entsteht also ein sich selbst am Leben erhaltener Kreislauf der Darstellung queerer Identität für Marketing und der Zuspitzung von queer*-Feindlichkichkeit, welche wiederum zu einer noch stärkeren Darstellung von Regenbögen in der Öffentlichkeit führt. 

Was genau bewirkt diese Symbiose von Kapitalist*innen und reaktionären Kräfte?

Es ist klar erkennbar, dass der Kapitalismus sich unsere Community zu eigen gemacht hat. Als Katalysator einer schein-liberalen Gesellschaft dienen queere Identitäten nur dem Profit des Kapitals und dem Machtgewinn oder -erhalt neo-marktradikaler rechter Nationalist*innen. Dieser Mechanismus ist allerdings auch kein Alleinstellungsmerkmal queerer Befreiungskämpfe, sondern findet sich in allen Konfrontationen zwischen herrschender und unterdrückter Klasse wieder. Ähnlich, wie eine Teilhabe einiger Individuen aus dem Kreise der Marginalisierten ein stilistisches Mittel für die neoliberale Lüge des Aufstiegs bei ausreichend tüchtiger Arbeit ist, ist die Farce des Scheinwandels für queere Rechte ein Mechanismus, potenzielle Selbstaktivität zu besänftigen. Klar ist: Mit der Ehe für alle oder den juristischen Anbiederungen an eine gleichberechtigte Gesellschaft enden nicht die Unterdrückungsmechanismen des Systems. Somit muss sich dieses System vor der Community “reinwaschen”, um die eigene Absicht hinter den Symbolen verstecken zu können. Hierbei ist auch besonders hervorzuheben, dass das Kapitals stets einflussreiche Persönlichkeiten, die queer sind, als Kronzeug*innen vorhält. Es ist jedoch immer erkennbar, dass die Errungenschaften nicht mit der Queerness, sondern trotz dieser erlangt wurden. Durch diese faktische Fehlinterpretation der Bedeutung der nicht-heteronormativen Identität einiger “Reichen und Schönen” wird ein ganz offener Bruch der herrschenden Klasse mit marginalisierten Gruppen verborgen. Fakt ist jedoch, dass Menschen in benachteiligten Situationen von Mehrfachdiskriminierung betroffen sind, sollte neben der sozialen Stellung auch noch ein migrantischer Hintergrund oder eine queere Identität stehen. Es ist klar zu erkennen: Rassifizierung und sexistische sowie queer*feindliche Unterdrückung formen ein Prekariat, dass in der Öffentlichkeit noch einfacher auszublenden und auszubeuten ist: Die Perspektiven junger queerer Menschen, die aufgrund von Ausschluss und Gewalt sich selbst durchschlagen müssen sind nicht nur unterirdisch. Sie sind in vielen Teilen mit unmenschlichen Ausbeutungsverhältnissen verbunden. Allein in Großbritannien sind etwa ein Viertel aller Obdachlosen queer, nach eigenen Aussagen bezieht sich das auch direkt auf die eigene Identität oder Sexualität.

Das Pinkwashing einzelner falscher Repräsentationsfiguren für die angebliche Möglichkeit auch mit einem queeren Hintergrund in die oberen Klassen des Systems vorzudringen ist also das Märchen des Kapitals, um uns unserer kollektiven Macht als Arbeiter*innen zu berauben.

Heuchlerische Mehrheiten werden keine Befreiung herbeiführen!

Gerade in den letzten Wochen ist in Europa viel über die Befreiung queerer Menschen gesprochen worden: Neben der Doppelmoral der UEFA, aber auch nach dem grausamen Mord an Samuel in Spanien zeichnete sich eine Welle der Solidarität in der Gesellschaft ab, die jedoch vor Heuchelei nur so triefte: Jahrhundertelang wurden queere Menschen entrechtet, ausgebeutet und ermordet und die Realität sieht heute im Weltmaßstab nicht viel besser aus. Die Öffentlichkeit ignoriert die queeren Stimmen, die mit Forderungen vor der Politik stehen. Viel eher lockt die Mehrheit der queer*feindlichen Bürokrat*innenklasse mit ihrem Mantra falscher Versprechen und nutzt die Unterdrückung in anderen Ländern als Kampfansage im Sinne des eigenen Nationalismus. Es soll glaubhaft gemacht werden, dass die Feindlichkeit woanders immer schlimmer sei als hier, daher müssen  wir die überlegene Nation sein! Dieser Homonationalismus ist in seiner Gesamtheit ein offenkundiger Beweis, dass die vollständige Befreiung queerer Menschen noch lange nicht angegangen wird, sondern durch Reform um Reform in einen zahnlosen Tiger verwandelt werden soll und zugleich ein Steigbügel in anderweitig national-konservative Ideen darstellen soll.

Doch was gilt es nun  zu tun?

Es muss offensichtlich sein, dass kein Unternehmensgebäude mit einer Regenbogenflagge das Ziel unserer Befreiung sein kann. Eine Organisierung der marginalisierten Klasse ist unabdingbar: Denn nur die Organisierung der Betroffenen in ihrer Breite kann dazu führen, dass die Veränderung nachhaltiger und einsichtiger Natur ist. Dies beweisen uns zum einen die historischen Aufstände der Unterdrückten. (Beispielsweise wurde 1917 während der proletarischen Räterevolution in Russland die Homosexualität legalisiert, Abtreibungen waren kostenlos und straffrei durchführbar und der Geschlechtseintrag war frei wählbar.) Aber auch die Realitäten des “Wandels von oben”, welche  die Machtverhältnisse nicht aufbrechen, sondern nur verfälscht darstellen, sind ein eindeutiges Indiz dafür, dass uns ein diverses Branding keine Revolution vorenthalten kann. In diesem Sinne muss eine intersektionale und vielschichtige Perspektive eröffnet werden, die sich nicht auf ein veraltetes Bild des weißen, männlichen Arbeiters beschränkt, sondern viel eher die Zusammenkunft der verschiedenen Realitäten verbindet und in einer visionären Kraft bündelt. Darin allein liegt die Möglichkeit einer wirklichen Befreiung und eines Sieges der queeren Bewegung über die unterdrückerische Realität hinweg.

Roland ist 23 und studiert in Siegen, er*sie ist aktiv in der LINKEN und im SDS.

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