Der Krieg in Gaza führt immer häufiger zu Auseinandersetzungen und Konflikten in Deutschland, Stimmen die solidarisch mit Palästina und den Palästinensern sind, sehen sich dabei verstärkt Angriffen ausgesetzt, so auch die Sprecherin von Friday for Future, Elisa Baş.
Die Freiheitsliebe: In den vergangenen Tagen gab es in verschiedenen Zeitungen Artikel, die dir Antisemitismus vorgeworfen haben, wie kam es dazu?
Elisa Baş: Ich habe auf Instagram eine Kritik, die jemand anderes formuliert hat, geteilt an einer Aussage von Josef Schuster, dem Präsidenten des Zentralrats der Juden. Schuster äußerte sich mit den Worten “Die Barbaren sind unter uns“ in einem Gastkommentar der BILD. Der Tweet des Zentralrats mit ensprechender Aussage war mit einem Foto einer Palästinenserin, die eine Palästinafahne hochhielt, bebildert. Ich habe die folgende Kritik geteilt: „In Deutschland herrscht eine Progrom-Stimmung gegen Palästinenser:innen und Schuster heizt sie an“. Was versucht wird, ist pauschal jeden, der sich auf eine Pro-Palästina-Demo begibt, jeden, der sich gegen den Genozid in Gaza ausspricht, als judenfeindlich und antisemitisch darzustellen. Es ist eine haltlose Unterstellung, dass ich die Kritik aus Judenfeindlichkeit geteilt hätte. Ich habe die Kritik am Begriff „Barbaren“ geteilt, weil er seit Jahrhunderten zur rassistischen Entmenschlichung von Minderheiten genutzt wird – so auch hier. Palästinenser und Palästinenserinnen sind Menschen. Kein Mensch und keine Tageszeitung, auch nicht die BILD, darf das anzweifeln.
Außerdem sei es “skandalös” gewesen, dass ich das, was Israel in Gaza anrichtet, beim Namen genannt habe: Es handelt sich um einen Genozid. Ich habe beklagt, dass das Schweigen der Mehrheit nicht nur bedeutet, dass der Genozid stillschweigend hingenommen wird, sondern auch, dass es dazu beiträgt, dass wir in Deutschland teilweise unter Androhung von Gewalt durch Beamt*innen (Polizei oder Lehrer wie kürzlich in Berlin) dazu gezwungen werden, zu einem Genozid zu schweigen. Dazu stehe ich weiterhin. Der israelische Holocaust- und Genozidforscher Raz Segal spricht von einem „Genozid wie aus einem Lehrbuch“.
Ein „Nie Wieder“ darf nicht auf eine religiöse oder ethnische Minderheit begrenzt sein und mitnichten als Rechtfertigung für Genozide dienen, ansonsten ist es ein Rassistisches. Auch deshalb besetzten neulich Tausende antizionistische Juden*Jüdinnen der JewishVoiceForPeace den Bahnhof in Manhattan in New York unter der Forderung “We’re refusing to allow a genocide be carried out in our names. Ceasefire now! Never again for anyone!”.
Die Freiheitsliebe: Ist die Aussage, dass es eine Progrommstimmung gegen Palästinenser in Deutschland nicht deutlich überzogen?
Elisa Baş: Einem Pogrom geht eine Pogrom-Stimmung voraus, die in dem geteilten Kommentar beklagt wurde. Wenn eine ganze ethnische Minderheit skandalisiert und unter Generalverdacht gestellt wird, wenn nationale Symbole verboten werden, wenn alles Palästinensische mit antisemitisch gleichgesetzt wird, ist das sehr gefährlich. In Hamburg wird einem per Allgemeinverfügung bis zu einem Jahr Haftstrafe angedroht beim Aufruf zu Pro-Palästina-Demonstrationen.
Der Begriff Pogrom ist nicht auf die Verbrechen des Nationalsozialismus beschränkt und findet weitläufig Anwendung. Laut der Bundeszentrale für politische Bildung bezeichnet ein Pogrom “gewalttätige Aktionen, Übergriffe und Ausschreitungen gegen ethnische, nationale und religiöse Minderheiten oder politische Gruppierungen”. Die israelische Zeitung Haaretz bezeichnete beispielsweise den Siedlerangriff auf das palästinensische Dorf Huwara als Pogrom. Im deutschen Kontext bezeichnet selbst die pro-israelische Anne-Frank-Bildungsstätte die rassistischen Übergriffe von Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen auf Migranten als Pogrome. Es ist also durchaus möglich, dass es in Deutschland wieder zu Pogromen gegen Juden*Jüdinnen oder anderen migrantisierten Gruppen kommt.
Die Freiheitsliebe: Du bist Sprecherin von Friday for Future, was waren die Reaktionen auf die Artikel über dich?
Elisa Baş: Es gab etliche Rufe danach, dass sich FFF Deutschland von meiner Person distanziert. Auch Grüne Bundestagsabgeordnete gossen heftig Öl ins rechte Hetz-Feuer.
Intern, auch in meiner eigenen Ortsgruppe FFF Hamburg, überwog leider eine unsolidarische Haltung. Es fielen sehr bevormundende Aussagen, die den Wunsch durchklingen ließen, dass ich lieber verstummen sollte, wenn ich schon nicht bereit wäre, mich zu entschuldigen.
Andernfalls war es offensichtlich, dass ich eine ideale Zielscheibe für Gruppen wie Springer und Co. darstelle. Ich verkörpere viele Aspekte, die als Feindbilder dienen: Ich bin eine Aktivistin für Klimagerechtigkeit, eine sichtbare Muslima mit sog. Migrationshintergrund, die es wagt, sich auch gegen Rassismus auszusprechen (wozu es ebenfalls abstruse Artikel gibt). Zudem habe ich eine unpopuläre Meinung zum Nahostkonflikt, die dem Narrativ des sogenannten „importierten, islamischen Antisemitismus“ in die Hände spielt. Dies alles geschieht zu einem Zeitpunkt, an dem die fehlgeleiteten Migrationsdebatten einen fruchtbaren Boden für antimuslimischen Rassismus bereitet haben.
Die Freiheitsliebe: Friday for Future in Deutschland positioniert sich deutlich anders zum Krieg, wieso unterscheidet sich die deutsche Positionierung so stark?
Elisa Baş: Als Klimagerechtigkeitsaktivist*innen erkennen wir an, dass der Ursprung der Klimakrise untrennbar mit dem Kapitalismus und Kolonialismus verknüpft ist und diese Systeme auch den Umgang mit der Klimakrise prägen. Daher ist es eine logische Konsequenz, dass sich, genau wie Greta Thunberg kürzlich auch, international unterschiedlichste Klimagerechitgkeitsbewegungen wie EndFossil, Extinction Rebellion und Fridays for Future mit den kolonisierten Palästinenser*innen solidarisieren. Für viele meiner Genoss*innen stellt eine fehlende Solidarisierung mit Palästina eine Pervertierung des Klimagerechtigkeitskampfes selbst dar.
Dadurch, dass es sich bei FFF DE um einen mehrheitlich weißen, bürgerlich geprägten Raum handelt, in dem Eurozentrismus dominiert und es an Kritiken am imperialen Status Quo mangelt, waren wenig überraschend viele unsolidarische Stimmen laut. Ein grundlegendes Verständnis dafür, wie globale Macht- und Unterdrückungssysteme funktionieren, ist beim deutschen Ableger, anders als bei Fridays for Future International und vielen weiteren FFF Ländergruppen, nicht weit verbreitet. Damit geht auch einher, dass eine antiimperialistische Analyse Israels zu kurz kommt und nur von wenigen Ortsgruppen geteilt wird.
Fridays for Future Deutschland hat leider eine Historie, bei gesellschaftlich kontroversen Themen die hegemoniale Meinung zu übernehmen. Teils tendiert der eigentlich internationalistisch geführte Klimakampf in Deutschland aus ideologischen Gründen eher zu nationalistischen Ansätzen, die sich aus den obigen politischen Verhältnissen ergeben, teils aus opportunistischen.
Die Freiheitsliebe: Gab es auch Solidarität mit dir und wie drückte sich diese aus?
Elisa Baş: Da die Offenheit der Bewegung nicht nur bei Einzelpersonen, sondern auch Ortsgruppen auch in dieser Frage unterschiedliche Positionierungen zulässt, gab es auch Solidaritätsbekenntnisse.
Beispielsweise hat sich auch BiPoC for Future DE, die den Klimagerechtigkeitskampf in ihrem Ursprung als einen antikapitalistischen und antikolonialen versteht, eindeutig solidarisiert. So auch Fridays for Future MAPA (Most Affected People and Areas) mit bekannten antiimperialistischen FFF Aktivist*innen rund um den Globus wie die Filipina Mitzi Jonelle Tan, die Mexikanerin Maria Reyes sowie die pakistanische Menschenrechtlerin Ayisha Siddiqa, die den Solidaritätsbrief unterzeichnet haben. Dieser wurde von Genoss*innen verfasst, mit denen ich seit Jahren in der palästinensischen Solidaritätsbewegung Aktivismus betreibe.
Unter den über 200 Unterzeichnenden sind unterschiedlichste Organisationen, darunter auch der jüdische antifaschistische Bund oder die jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost, sowie Aktivist*innen, Autor*innen, Künstler*innen, Politiker*innen und Professor*innen.
Die Freiheitsliebe: Wirst du nach den Artikel etwas an deiner politischen Arbeit ändern?
Elisa Baş: Nein, ich fühle mich viel eher bestätigt in meiner artikulierten Sorge und der Notwendigkeit, sich weiterhin dieser brutalen Normalität zu widersetzen. Dieser sogenannten Normalität, in der man mit offensichtlichem Rückgriff auf Rassismus und Kolonialen begriffen wie “Barbaren” darauf über alle gängigen Medienhäuser und alle politisch relevanten Parteien hinweg eingeschworen wird, einen Genozid als gerechtfertigt oder einen Akt der Selbstverteidigung zu bezeichnen.
Es ist schon etwas ironisch, dass ich die Repression in einer Instagram-Story angeklagt habe, nur um dann am nächsten Tag, u.a. mithilfe ebenjener Story, ins Kreuzfeuer zu geraten. Dieser Rufmord gegen meine Person ist in Wahrheit gegen die gesamte Klimagerechtigkeitsbewegung und gegen die Bewegung für die Grundrechte palästinensischer Menschen gerichtet, wofür Rassismus und Hetze gedeckt werden. Ich habe mich stets deutlich gegen Antisemitismus, gegen jede Form von Rassismus positioniert. Das gegen mich in einer Schmutzkampagne umzudrehen, bestätigt die Sorge vor der gefährlichen Stimmungsmache.
Ich werde nicht zurückschrecken wegen der erfundenen und konstruierten Vorwürfe gegen mich und ich werde weiter klar und deutlich Position an der Seite der Unterdrückten beziehen.
Die Freiheitsliebe: Danke dir für das Gespräch