Die beiden stärksten palästinensischen Parteien: Fatah und Hamas sind langem zerstritten, die Auseinandersetzungen zwischen ihnen verliefen teils blutig. Doch im vergangenen Monat gab es eine Verschiebung in Palästina: die Parteien rücken zusammen – mit einer Ausnahme: dem Palästinensischen Islamischem Dschihad.
Das Wochenende um den 30. Juli steht stellvertretend für die jüngeren Verschiebungen innerhalb der politischen Landschaft Palästinas. An jenem Wochenende kam es an verschiedenen Orten im Gazastreifen zu Protesten, die sich sowohl gegen die dort regierende Hamas als auch gegen die Fatah, Regierungspartei im Westjordanland, sowie gegen die israelische Besatzung richteten. Die Protestierenden forderten günstigeres Gas und mehr Strom und riefen Slogans gegen die herrschenden Parteien. Gleichzeitig forderten sie diese zur Einigung auf:
Das Volk will das Ende der Spaltung – Präsident Abbas und Ismael Haniyeh, das Volk ist das Opfer.
Doch es ist nicht nur die Bevölkerung in Gaza, die – auf die Straßen geht, auch in dem von der Fatah regierten Westjordanland artikulieren die Menschen immer offener ihren Unmut über die Regierungspartei. Infolgedessen setzte der palästinensische Präsident Mahmud Abbas fast alle regierenden Gouverneure ab.
Während Hamas und Fatah, anders als bei vergangenen Protesten, nur zaghafte Solidarität für Proteste in den Gebieten der jeweils anderen Partei zeigten, positionierte sich eine Partei deutlich auf Seiten der Protestierenden: der Palästinensische Islamische Dschihad (PID). Die Fatah reagierte darauf und auf den Druck Israels mit der Verhaftung von Mitgliedern des PID, der deswegen zu erneuten Protesten aufrief. Auch in Gaza kam es kurz vor den Protesten zur Verhaftung eines führenden Mitglieds des PID, Yahya Mansour.
(K)Eine neue Entwicklung
Die Auseinandersetzungen zwischen dem vom Iran unterstützten PID und der Fatah sind nicht neu, auch die Wut auf die Verhaftungen durch die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) im Westjordanland sind kein neues Phänomen. Selbst Differenzen zwischen PID und Hamas haben aufgrund der entgegengesetzten Positionen im syrischen Bürgerkrieg eine gewisse Tradition. Der PID unterstützte, auch militärisch, in Syrien das Assad-Regime, während die Hamas auf Seiten der Opposition stand. Die unterschiedliche Positionierung ist auch eine Folge der ideologischen Differenzen: Hamas stammt aus der Tradition der Muslimbruderschaft und ist außenpolitisch an der Türkei und Katar orientiert, während der PID sich am Iran, der den PID auch über Umwege mit Waffen beliefert, und dessen Idee einer islamischen Revolution orientiert.
Doch in den vergangenen anderthalb Jahren haben sich die Differenzen intensiviert. Der Weltöffentlichkeit wurde dies beim Gaza-Krieg im vergangenen Jahr deutlich, der anders als zu Beginn in einigen westlichen Medien dargestellt, nicht zwischen Israel und der Hamas stattfand, sondern vielmehr zwischen Israel und der PID. Der Krieg, an dem 49 Palästinenser*innen durch israelische Bombardierungen starben, war die erste kriegerische Auseinandersetzung zwischen Israel und Gaza, an der sich weder die Hamas noch andere palästinensische Fraktionen beteiligten, sondern nur der PID. Ähnlich verhielt es sich bei den Auseinandersetzungen, die auf die israelischen Bombardierungen Gazas am 9. Mai 2023 folgten, auch diesmal beteiligte sich weder die Hamas noch andere palästinensische Organisationen. Dies stellt eine Veränderung zu vorangegangenen Kriegen und militanten Eskalationen dar, in denen Hamas und PID auf einer Seite standen.
Verschiebung der Kräfteverhältnisse
Die Spaltung von Hamas und PID wurde noch deutlicher am letzten Juli-Wochenende, nicht nur bei den Protesten in Gaza, sondern auch bei dem gleichzeitig stattfindenden Treffen der palästinensischen Parteien in Ägypten. An dem Treffen, welches auf Einladung des palästinensischen Präsidenten Abbas zustande kam, nahmen sowohl die Mitgliedsorganisationen der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) teil, wie auch die marxistische Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP), die seit Jahrzehnten ihre Mitgliedschaft in der PLO ruhen lässt, und Hamas. Einzig der PID sowie die in Palästina (irrelevante) Abspaltung der PFLP, die PFLP-GC, boykottierten trotz Einladung das Treffen.
Das Treffen, das hauptsächlich die Auswirkungen der neuen rechtsextremen israelischen Regierung auf die Situation in Palästina thematisierte, offenbarte dabei – trotz unterschiedlicher Einschätzungen – die Annäherung der anwesenden Organisationen. So wurde die Einrichtung eines Versöhnungskomitees beschlossen, welches Streitigkeiten zwischen den Organisationen beilegen soll, sowie die Möglichkeiten einer Expert*innenregierung diskutiert. Bis auf die Fatah forderten auch alle Anwesenden demokratische Wahlen, die seit mehr als einem Jahrzehnt ausstehen.
Die Gespräche im ägyptischen El Alamein wie auch die letzten Gaza-Kriege haben eine Verschiebung der Kräfteverhältnisse in Palästina offenbart. Sowohl Fatah als auch Hamas stehen in ihren jeweiligen Gebieten unter Druck, durch Organisierung und Protest vor allem der Jugend, wie auch durch die PID. Beide scheinen zu erkennen, dass die Unzufriedenheit mit ihnen wächst, darüber hinaus stehen sie auch militärisch immer stärker unter Druck, da der PID seine Arsenale trotz der letzten Kriege, offenbar ausbauen und damit einhergehend auch weiter an Selbstvertrauen gewinnen konnte.
Für die Menschen in Palästina würden demokratische Wahlen und ein geeinter ziviler Widerstand gegen die Besatzung Hoffnung bedeuten, während ein weiteres Erstarken des PIDs, insbesondere für progressive Menschen, die Situation massiv verschlechtern und darüber hinaus zu neuen internen Auseinandersetzungen der Palästinensischen Organisationen führen würde.
Der Text erschien zuerst bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung.