Ostermarsch 2024: „Marschieren wir gegen den Osten – nein“

So heißt es in dem Ostermarschlied der 60er Jahre, das heute kaum noch jemand kennt.

Dabei hat es an Aktualität in keiner Weise verloren. Russland ist wieder zur Zielprojektion geworden. Angesichts waffentechnologischer Entwicklungen und neuer Kriegsführungsstrategien hat das Lied eher noch an Bedeutung gewonnen. Die Atomwaffen werden immer punktgenauer, kleiner, für den Gegner kaum noch erkennbar und damit auch einsetzbarer. Die Entwicklung der „Künstlichen Intelligenz“ eröffnet auch hier militärisch ungeahnte Möglichkeiten bis hin zu einem Erstschlag und Waffen im Weltall. Jede Seite traut der anderen alles zu, Misstrauen verschärft die ohnehin schon zugespitzte Situation, die Stationierung und der Einsatz neuartiger Hyperschall-  bzw. unsichtbarer konventionell, aber auch nuklear nutzbarer Waffensysteme führt zusammengenommen zu einer Eskalationsdynamik nicht gekannten Ausmaßes. Aus dem Konzept der Abschreckung kann schnell der Wille zum Krieg werden.

Der Krieg in der Ukraine dynamisiert und radikalisiert diese Gefahren. Taurus – übrigens nuklear einsetzbar – ist nur die Speerspitze einer Entwicklung, die die Gefahr eines 3. Weltkrieges nicht mehr nur als grauen Schatten sondern als ein ernsthaft vorstellbares schreckliches Inferno am Horizont erscheinen lässt.

Die damit verbundene gigantische Dimension der Hochrüstung, 100 Milliarden Sondervermögen – besser Kriegskredite – sind ja schon lange nicht mehr ausreichend. Politik und Bundeswehrführung fabulieren über ein Folgeprogramm von bis zu 300 Milliarden Euro. Die Steigerung des Bundeshaushaltes auf 100 Milliarden von heute 85 Milliarden Euro nach NATO-Kriterien ist die logische Konsequenz einer Politik, in dem im Bundeshaushalt salopp gesagt 1 Etatposten steigt und 358 sinken. Die sozialen Konsequenzen dieser Politik können nur als sozialer Krieg gegen die große Mehrheit der Bevölkerung bezeichnet werden.

Diplomatie wird verbannt und diskreditiert. Politisch wird nur noch eindimensional in Richtung kriegsfähig, feindbildorientiert und militaristisch gedacht. Alles – sei es Gesundheit, Bildung, Wissenschaft soll der Kriegsphilosophie unter- und eingeordnet werden. Der „Russische Bär“ steht schon mit Kalaschnikow im Anschlag und T34-Panzer im Vorgarten.

Wie kommt es zu solch irrationalen und brutalisierten Entgleisungen durch die politischen Eliten des Landes der Entspannungspolitik Willy Brandts? Man kommt nicht an der genaueren Betrachtung des strategischen Vorrückens der NATO gegenüber der 2 Jahrzehnte lang hilflos um Anerkennung der eigenen Sicherheitsbedürfnisse appellierenden, ja bettelnden russischen Seite vorbei. Die erfolgreiche Entspannungspolitik, die Politik der gemeinsamen Sicherheit, die ihren Niederschlag in der Charta von Paris von 1990 gefunden hat, wurde zugunsten einer aggressiven Einkreisung Russlands aufgegeben.  Rüstungskontrolle und Abrüstung wurde auf dem Altar der militärischen Dominanz geopfert. Die NATO, die 15mal mehr für Rüstung ausgibt als Russland, waffentechnologisch fast überall quantitativ und qualitativ überlegen ist, wurde in den letzten Jahren als „Globale NATO“ zu dem größten Militärbündnis der Geschichte ausgebaut. Russland wurde zum Monster aufgebauscht.

Der Ukrainekrieg von Februar 2022, völkerrechtswidrig von Russland begonnen, ist nur der zugespitzte Ausdruck dieses Ringens um Einfluss in Europa. Die ukrainische aber auch die russische Bevölkerung besonders aber die Soldaten beider Seiten sind die leidtragenden, die europäische Bevölkerung wird es zunehmend. Deutschland ist schon jetzt ein „Wirtschaftsabbauland“. Eine weitere Eskalation u.a. mit NATO-Bodentruppen und noch mehr Waffenlieferungen an die Ukraine führt unweigerlich zu einem europäischen Massenfriedhof junger Menschen.

Frieden gibt es nur mit einem Zurück zur „Politik der gemeinsamen Sicherheit“, nur wenn die Sicherheitsinteressen beider Seiten berücksichtigt werden. Diplomatie, Dialog, Kooperation, Vertrauensbildung muss wieder anstelle der vernichtenden Konfrontation treten. Als erstes müssen die Waffen schweigen, das tägliche Töten aufhören. Deshalb – und dieses ist sicher bedeutend für den Ostermarsch 2024 – sind Waffenstillstand und Verhandlungen unabdingbar und zentrale Forderungen. Ihre Erfüllung öffnet hoffentlich das Tor zu einem längerfristigen auf Kompromisse ausgerichteter Friedensprozess, der unter anderem eine dauerhaft neutrale Ukraine, einen Rückzug der russischen Truppen auf vereinbarte Grenzen und in der Konsequenz ein Ende der Sanktionen beinhaltet.

Abrüstung muss wieder auf die Tagesordnung. Dies erst recht, weil ohne Abrüstung und Kooperation die politischen und finanziellen Ressourcen für die Lösung der globalen Herausforderungen von Hunger und Armut bis zu Klimagerechtigkeit nicht möglich sein werden.

Europa braucht eine neue Friedensordnung und diese gibt es nur inklusiv, d.h. mit Russland. Es geht darum, die alte Vision einer europäischen Friedensordnung von Lissabon bis Wladiwostok jetzt endlich Realität werden zu lassen. Dies ist die Lehre aus der untergegangen Systemkonfrontation und den blutigen Kriegen und Konflikten in Europa.

Geostrategische Veränderungen zuungunsten des kolonialen Westens und zugunsten des globalen Südens bedeuten mehr Power für Kooperation und Multipolarität. Diese multipolare Vernetzung von Staaten des Globalen Südens mit ihren grundsätzlich  friedlichen, fairen und gleichberechtigten Interessen können auch für Europa eine Zukunftsperspektive mit mehr Frieden und Gerechtigkeit öffnen – wenn wir es aktiv nutzen!

Angesichts des vollständigen friedenspolitischen Versagens der Bundesregierung und der CDU/CSU Opposition, die fast gänzlich auf Konfrontation, Waffenlieferungen und Sanktionen setzen, kann ein Friedensprozess nur von unten – von den Menschen, von den Betroffenen von Hochrüstung und Sozialabbau, von den Besorgten angestoßen werden.

Wie historisch fast immer, ohne aktive Friedensbewegung kein Frieden. Ohne Ostermärsche wäre die Entspannungspolitik nicht auf den Weg gebracht worden, Kriege in Vietnam und Irak später beendet worden. Ohne uns wird es keinen Frieden in Europa geben, wir versperren den Weg ins atomare Desaster, und zwar jede und jeder mit seinem Beitrag. Es liegt an uns hier, mit dafür zu sorgen, dass die Friedensinteressen der Vielen zum Durchbruch kommen. Nicht allein durch die Ostermärsche aber ohne diese sicher nicht.

Ein Gastbeitrag von Reiner Braun, International Peace Bureau (IPB), Redner auf den Ostermärschen, u.a. in Düsseldorf und Duisburg.

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