Neuer Anlauf für EU-Vorratsdatenspeicherung

Trotz Grundrechtsbedenken drängen EU-Staaten erneut auf ein Gesetz zur massenhaften Speicherung von Kommunikationsdaten. Sie wollen sich dabei über Einwände des EU-Gerichts hinwegsetzen, wie ein Dokument zeigt, das netzpolitik.org veröffentlicht.

Obwohl der Europäische Gerichtshof wiederholt gegen die Vorratsdatenspeicherung geurteilt hat, drängen einige EU-Staaten hinter verschlossenen Türen auf einen neuen Anlauf. Bei einer Videokonferenz der Innenministerien am 8. Februar sprachen sich Niederlande, Frankreich, Spanien und weitere Staaten für neue gesetzliche Schritte aus. Das zeigt ein Ratsdokument, das netzpolitik.org veröffentlicht.

Die Vorratsdatenspeicherung soll Provider zur anlasslosen Speicherung von Kommunikationsdaten verpflichten. Eine EU-Richtlinie, die das vorschreibt, hob 2014 allerdings der Europäische Gerichtshof (EuGH) als grundrechtswidrig auf. Seither gab es immer wieder Vorstöße für eine Neuauflage. Doch der EuGH urteilte wiederholt, dass die pauschale Massenspeicherung von Daten rechtswidrig sei und beschränkte auch den Behördenzugriff auf Vorratsdaten.

„Breiter Konsens“ im Rat

Trotz der Einwände beharren die Regierungen mehrerer Staaten darauf, neuerlich eine Vorratsdatenspeicherung vorzuschreiben. Beschränkung auf einzelne geographische Gebiete oder Gruppen von Nutzer:innen, wie sie der EuGH aus Grundrechtssicht für notwendig hält, lehnen die EU-Staaten ab. Es gebe „breiten Konsens“ im Rat, dass solche Beschränkungen „unwirksam und unzureichend“ seien, heißt es in dem Dokument.

Stattdessen soll es Einschränkungen beim Zugang zu den Vorratsdaten geben, sowohl für die Behörden als auch die Provider. Die Vorschläge der Staatengruppe unterstützt laut dem Dokument auch der bei der Sitzung anwesende, als Hardliner bekannte Anti-Terror-Koordinator der EU, Gilles de Kerchove. In einem früheren Dokument hatte die portugiesische Ratspräsidentschaft die Frage aufgeworfen, ob die Vorratsdatenspeicherung durch eine Beschränkung auf IP-Adressen rechtskonform gemacht werden könne.

Um den neuen gesetzlichen Anlauf möglich zu machen, könnte auch die Datenschutzgrundverordnung geschwächt und die Anpassung anderer gesetzlicher Bestimmungen überlegt werden, heißt es in dem Dokument. Insbesondere das geplante Digitale-Dienste-Gesetz dürfe „nicht den Spielraum einer zukünftigen Vorratsdatenspeicherung einschränken“.

Der Rechtsdienst des Rates der Mitgliedsstaaten verwies auf die Möglichkeit, mit justizieller Genehmigung auf Verkehrs- und Inhaltsdaten zuzugreifen, die Provider aus kommerziellen Gründen ohnehin speichern. Um das zu gewährleisten, müsse der Rat allerdings in die laufenden Verhandlungen für die neue ePrivacy-Verordnung eine Vorratsdatenspeicherpflicht einbringen.

Einwände gegen ein neues Vorratsdatenspeichergesetz brachte die EU-Kommission bei der Videokonferenz vor. Es sei die „politische Realität“, dass das EU-Parlament Massenüberwachung eher einschränken als erweitern wolle. Auch ließen sich rechtliche Bedenken des EuGH nicht einfach durch Änderungen an der DSGVO aus der Welt schaffen. Das EU-Gericht lehne die Vorratsdatenspeicherung mit Verweis auf die EU-Grundrechtecharta ab, das werde sich auch bei zukünftigen Entscheidungen nicht ändern.

Sieben Staaten sprachen sich im Rat für einen neuen Anlauf aus. Wie andere Länder sich positionieren, etwa Deutschland, ist noch unklar. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hat immer wieder auf eine Vorratsdatenspeicherung auf nationaler Ebene gedrängt, obwohl auch das nach Einschätzung juristischer Gutachten vor dem EuGH keinen Bestand haben dürfte.

Sein Unverständnis über die „Überwachungsfantasien“ der EU-Staaten äußerte der EU-Abgeordnete Moritz Körner (FDP). „Um es mit Albert Einstein zu sagen: Die Definition von Wahnsinn ist, immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten.“

Die Kommission müsse dem EU-Parlament Rede und Antwort zu den Plänen stehen, sagte der Piraten-Abgeordnete Patrick Breyer. „Dass die Rechtsverdreher des EU-Rats meinen, die Absage an Vorratsdatenspeicherung mit der Fassade ‚betrieblicher Zwecke‘ umgehen zu können, ist absurd und verhöhnt den Rechtsstaat“, sagte Breyer, der der Fraktion der Grünen angehört.

Frankreich erwägt rechtlichen Alleingang

Frankreich versucht inzwischen sogar, bei der Vorratsdatenspeicherung einen Weg am EU-Recht vorbei zu finden. Die Regierung in Paris sandte laut Bericht der Nachrichtenseite Contexte kürzlich einen streitbaren Vorschlag an die oberste zuständige juristische Instanz, den Conseil d’Etat.

In dem Schriftstück heißt es, die nationalen Gesetze zur Vorratsdatenspeicherung stünden aus Gründen der nationalen Sicherheit und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung außerhalb des EU-Rechtsrahmens. Als Teil der französischen „Verfassungsidentität“ könne der EuGH darüber nicht entscheiden.

Sperrt sich die französische Regierung offen dagegen, EU-Recht und Grundrechte umzusetzen, kann die EU-Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Frankreich anstrengen. Noch will sich die Kommission darauf allerdings nicht festlegen. Tut sie es nicht, dann ebnet das den Weg für die Regierung in Deutschland und anderswo, abseits der EU einen Alleingang zu versuchen.

Dieser Text von Alexander Fanta erschien zuerst hier auf netzpolitik.org (unter CC BY-NC-SA 4.0-Lizenz). Wir bedanken uns vielmals für das Recht zur Übernahme.

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