Nun ist es also da: Nein heißt nein „gilt“ seit gestern offiziell als neuer Maßstab im Sexualstrafrecht. Was das bedeutet?
„Durch einen Grundtatbestand der Strafbarkeit nicht einvernehmlicher sexueller Handlungen wird der gesetzgeberische Wille zum Ausdruck gebracht, dass ein „Nein“ auch Nein heißt und sexuelle Handlungen gegen den Willen einer anderen Person sowie Überraschungsfälle und andere Fälle, in denen sich beim Opfer kein Wille bilden konnte, unter Strafe gestellt werden. Damit werden Fälle erfasst, in denen Druck ausgeübt, das Opfer überrumpelt wurde oder in denen eine schutzlose Lage bestand, ebenso wie Fälle, in denen zwar keine Gewalt zur Erzwingung der sexuellen Handlungen ausgeübt wird, aber aufgrund des Verhaltens oder von Äußerungen des Opfers dessen entgegenstehender Wille deutlich ist, und Fälle, in denen die Beziehung zwischen Täter und Opfer von körperlicher oder psychischer Gewalt geprägt ist, so dass das Opfer sich aus Angst nicht zu wehren wagt.”
Soweit die Formulierung aus den Eckpunkten der Koalition zum Gesetzentwurf. An dieser Stelle hätte dieser Kommentar in Feierlaune mit den Stimmen zufriedener Feminist*innen schließen können – wenn der Staat nicht der Staat wäre. Und als solcher hat er es sich nicht nehmen lassen, dem Erfolg im Sinne der sexuellen Selbstbestimmung einen gehörigen Dämpfer aufzusetzen, indem der neue Paragraph 177 schnurstracks seinen Weg in das Aufenthaltsgesetz gefunden hat.
Halina Wawzyniak, Bundestagsabgeordnete der LINKEN, dazu auf ihrem Blog: „Es handelt sich um Verschärfungen im Ausweisungsrecht. Was für eine miese Nummer! Was passiert da eigentlich gerade?“ Antwort: Der menschenfeindliche, rassistische Grundtenor, der sich seit der Berichterstattung zu den Übergriffen der Silvesternacht in Köln in die Debatte um sexualisierte Gewalt in Deutschland entsponnen hat, wird nun per Gesetz genau so offiziell verankert wie das Konzept, dass ein „Nein“ ernst zu nehmen ist. Diese unselige Verknüpfung und Instrumentalisierung ist einmal mehr der Beweis dafür, dass jede „Reform“ unseres Strafrechts nur als Farce enden kann, solange das System nicht geschlagen ist.
Als hätten neofaschistische, rassistische Gruppen noch ein weiteres Einfalltor in den bürgerlichen Mainstream gebraucht, liefert ihnen die Union, der wir den Vorstoß in Sachen Aufenthaltsrecht im Übrigen zu verdanken haben, hiermit die perfekte Legitimation für ihre Fantasien von „Rapefugees“ und „kriminellen Ausländern“, vor denen wir „unsere Frauen schützen“ müssen. Ganz abgesehen davon, dass rechtlich eine Situation entsteht, in der mehr oder weniger klar gesagt wird – Menschen sind vor dem Gesetz nicht gleich. So kann die gleiche Tat entweder mit wenigen Jahren Haft oder mit der Abschiebung in ein Land bestraft werden, in welchem dem Täter lebenslange Haft, Folter oder gar der Tod drohen. Für manche „frauenbeschützenden“ Zeitgenossen mag sich die Logik aufdrängen „Aber das haben Sexualstraftäter ja auch verdient“. Nach dieser Logik müssten wir allerdings auch für „einheimische“ Täter das Strafmaß gleichzeitig drastisch erhöhen und in Roulette-Manier von der aktuellen politischen Situation abhängig machen. Dass sich dies in keinem demokratischen oder rechtsstaatlichen Zusammenhang befürworten oder vertreten lässt, sollte an dieser Stelle nicht erklärt werden müssen.
Abgesehen von den rechtlichen Implikationen ist der Beschluss für jede feministische, antifaschistische Arbeit und vor allem für Betroffene sexualisierter Gewalt ein absolutes Desaster. Im öffentlichen Diskurs ist nunmehr dafür gesorgt, dass ihre Situation und der gesetzliche Erfolg kaum noch thematisiert werden können, ohne dass gleichzeitig zu Aufenthaltsrecht und Abschiebungen Stellung bezogen werden muss. Sofern also Betroffene und/oder Fürsprecher*in nicht gleichzeitig hartgesottene Antirassist*innen und Abschiebungsgegener*innen sind, die sich gegen rechte Argumente wehren können, wird ihnen de facto die Stimme geraubt. Und die Regierung hat aus einer Kampagne, die zumindest ein verbessertes Bewusstsein für sexuelle Selbstbestimmung hätte erzeugen können, eine weitere Nötigung Betroffener und eine weitere Bedrohung für als „Ausländer“ wahrgenommene Menschen gemacht. In einem Klima brennender Unterkünfte und exponentiell ansteigender Gewalttaten gegen „ausländisch“ aussehende Menschen in Deutschland wird dringend notwendige Solidarität also noch schwerer zu leisten und einzufordern als bisher schon der Fall.
Was auf der Strecke bleibt: Jahre und Jahrzehnte der Hinweise darauf, dass sexualisierte Gewalt überwiegend im direkten persönlichen Umfeld stattfindet. Der Zusammenhang zwischen sozioökonomischen Abhängigkeitsverhältnissen – beispielsweise in Paarbeziehungen – und häuslicher Gewalt. Heillos unterfinanzierte und totgeschwiegene Frauenhäuser, die aus allen Nähten platzen. Stetig weiter reduzierte und gekürzte Beratungsangebote und Anlaufstellen. Und immer wieder die offenbar nicht „schützenswerten“ Betroffenen sexualisierter Gewalt mit Fluchtgeschichte, die in Zukunft aus Angst vor Abschiebung noch weniger Motivation haben dürften, auf ihren Rechten zu bestehen und sich Gehör zu verschaffen. So wird vor allem erreicht, dass die Wahrnehmung von sexualisierter Gewalt als isolierte Einzelphänomene und „Ausnahmesituationen“ bestehen bleibt, und sie nicht als das erkannt werden kann, was sie ist: ein alltägliches Phänomen der Klassengesellschaft, in der wir leben.
Was uns an dieser Stelle bleibt, ist, uns auf keinen Fall spalten zu lassen. Es muss absolut klar sein, dass wir nicht willens sind, den Kampf gegen sexualisierte Gewalt und Sexismus UND gegen Rassismus und Abschiebungen aufzugeben. Denn sie alle sind Facetten desselben Gewaltsystems, das uns tagtäglich gegeneinander ausspielt, um gemeinsamen Widerstand zu verhindern. Dagegen müssen wir uns verwehren, damit sexistischen und rassistischen Ideologien kein Raum bleibt.