Die politische Situation in Myanmar entwickelt sich weiterhin schnell. Am 16. April gab das Komitee, welches das entlassene Parlament vertritt, die Bildung einer Regierung der nationalen Einheit bekannt, die Abgeordnete von Aung San Suu Kyis National League for Democracy (NLD), Protestführerinnen, Protestführer, Politiker und Politikerinnen der nationalen Minderheiten einschließt.
Die Regierung bemüht sich um internationale Anerkennung. Doch die Association of Southeast Asian Nations (ASEAN), mit ihrer Politik der „Nichteinmischung“ in die Mitgliedsstaaten, hat stattdessen den Putschistenführer General Min Aung Hlaing zu ihrem Treffen am 24. April in Jakarta eingeladen.
Das ehemalige Parlament hat die Forderung der Protestbewegung angenommen, die undemokratische Verfassung von 2008 abzuschaffen. Die Demonstrierenden feierten, indem sie dieses Dokument, das dem Militär (dem Tatmadaw) 25 Prozent der Sitze im Parlament garantiert hatte, öffentlich verbrannten.
Trotz der überwältigenden Wahlniederlage des Militärs in 2015 war die NLD nicht bereit, die Macht, Korruption oder Unterdrückung von Minderheiten durch die Tatmadaw in Frage zu stellen. Im November 2019 verteidigte Suu Kyi sogar die ethnischen Säuberungen des Militärs an den Rohingya vor dem Internationalen Gerichtshof. Aber die noch demütigendere Niederlage im vergangenen November veranlasste die Generäle, den Coup vom 1. Februar zu starten.
Angesichts des Ausmaßes des Aufstandes könnte Hlaing es bedauern, ein Abkommen zerschlagen zu haben, welches ihm erlaubt hätte, von zwei riesigen vom Militär kontrollierten Mischkonzernen (Myanmar Economic Corporation und Myanmar Economic Holdings Limited) zu profitieren.
Drei Monate später treibt die interethnische Solidarität Myanmar in einer Weise auf eine föderale Demokratie zu, wie es vor dem Putsch unvorstellbar war. Die nationalen Minderheiten fühlten sich von Suu Kyi und den Tendenzen der NLD zum Bamar-Chauvinismus verraten. Jetzt haben sie sich jedoch verpflichtet, den Coup zu bekämpfen. Tausende von Demonstrantinnen und Demonstranten (und einige abtrünnige Soldaten) aus der Bamar-Mehrheit haben Zuflucht in von ethnischen Rebellen gehaltenen Gebieten gesucht.
In der Zwischenzeit zeigt die Bewegung des zivilen Ungehorsams in Myanmar im Angesicht der Repression einen unglaublichen Trotz. Bei Redaktionsschluss wurden fast 750 Menschen von der Junta getötet. Mehr als 3.200 wurden inhaftiert.
Das Vorgehen der Tatmadaw war in den Zentren der Arbeiterklasse, in denen Streiks und Proteste stattfanden, besonders hart. Yangons Gemeinden Hlaing Thayar, Shwepyitha, Süd-Dagon und Nord-Okkalapa stehen alle unter Kriegsrecht. Nach dem Massaker vom 14. März an 60 Arbeiterinnen, Arbeitern und Studierenden in Hlaing Tharyar in West-Yangon, wo sich etwa 300 Bekleidungsfabriken befinden, flohen etwa 100.000 Wanderarbeiterinnen und Wanderarbeiter in ihre ländlichen Herkunftsorte.
Am Tag der Streitkräfte am 27. März wurden landesweit 114 Menschen getötet, während Vertreterinnen und Vertreter aus Russland, China, Indien, Thailand, Vietnam, Laos, Pakistan und Bangladesch einer aufwendigen Militärparade in der Hauptstadt Naypyidaw beiwohnten.
Als Reaktion auf die Einnahme eines militärischen Außenpostens durch die Karen National Liberation Army bombardierte die Junta am selben Abend mit aus Russland gelieferten Flugzeugen Karen-Dörfer. Tausende flohen an die thailändische Grenze, wurden aber von den thailändischen Behörden zurückgedrängt. Die Tatmadaw führte daraufhin Luftangriffe auf die von den Kachin kontrollierten Gebiete an der Grenze zu China durch.
Das Militär hat es auf Protest- und Streikführerinnen und Streikführer abgesehen. Am 15. April wurde Wai Moe Naing, ein Anführer des Streikkomitees in Monywa, während eines Protestkonvois mit dem Motorrad überfahren und ohne medizinische Behandlung festgehalten. Daw Myo Aye, Direktorin der Solidarity Trade Union of Myanmar, wurde in ihrem Büro festgenommen, während gegen Moe Sandar Myint von der Gewerkschaft der Bekleidungsarbeiterinnen ein Haftbefehl vorliegt.
Nichtsdestotrotz geht der zivile Ungehorsam unter dem Motto „keine Anerkennung, keine Beteiligung“ weiter. Die Streiks der Eisenbahnerinnen, Bankangestellten, Lehrern und Staatsbediensteten legen weiterhin die Wirtschaft lahm.
Westliche Nationen (aber nicht Australien) haben Sanktionen gegen Myanmars Militärchefs, deren Familien und der Armee nahestehende Unternehmen verhängt. Auf der anderen Seite wurden Russland und China von den Demonstrierenden weithin als Unterstützer des Putsches verurteilt (China, welches von Suu Kyis Regierung profitierte, hat dies bestritten).
Die Linke sollte sich bedingungslos hinter die Streiks und Proteste stellen, die Forderung nach einem Waffenembargo unterstützen und Unternehmen, die weiterhin in Myanmar tätig sind, bloßstellen. APHEDA (der internationale Flügel des Australian Council of Trade Unions) und Amnesty International übten Druck auf Woodside Petroleum aus, den Betrieb einzustellen. Die südkoreanische Gewerkschaftsbewegung erzwang kürzlich eine ähnliche Verpflichtung des Stahlgiganten POSCO.
Einige Kritikerinnen und Kritiker im Westen stellen den Widerstand als abhängig von westlicher Finanzierung und dominiert von Forderungen nach westlicher Intervention dar. Solche Forderungen sind aufgetaucht, aber sie sind marginal. Viele Anführerinnen und Anführer der Bewegung trauen den westlichen Regierungen nicht, da sie sich noch gut daran erinnern, wie diese während der „Demokratisierung“ im vergangenen Jahrzehnt voreilig die Sanktionen aufgehoben haben, damit Konzerne von Myanmars natürlichen Ressourcen profitieren konnten.
Echte Sozialist:innen stehen zur Selbsttätigkeit von Myanmars Arbeitenden, Studierenden, Aktivisten und Aktivistinnen der Minderheiten, deren Tapferkeit zu Überläufen ermutigt hat, sogar unter einigen Journalist:innen der staatlichen Medien.
Laut einem Tatmadaw-Offizier, der kürzlich übergelaufen ist, sind drei Viertel der 400.000 Soldatinnen und Soldaten des Landes gegen die Niederschlagung der Proteste. Sie davon zu überzeugen, aus der Reihe zu tanzen, ist keine leichte Aufgabe, aber es wird entscheidend sein, wenn die Revolution gewonnen werden soll.
Dieser Artikel von Mark Goudkamp erschien auf Solidarity.net.au und wurde von Gerrit Peters übersetzt.