Menschen- und Umweltverachtung Hand in Hand: Festnahmen iranischer Umweltaktivisten

In den letzten Wochen wurden im Iran mehrere Umweltaktivisten festgenommen. Diese Repression reiht sich ein in die teils tödliche Verfolgung iranischer Umweltaktivistinnen und -aktivisten im vergangenen Jahr. In den politischen Zusammenhängen im Nahen Osten zeigt sich besonders deutlich, dass die Umweltfrage nicht isoliert und unabhängig von kapitalistischen wie imperialistischen Interessen und Konflikten verstanden werden kann; eine Erkenntnis, die in Bewegungen für einen grünen Kapitalismus im Westen häufig verstellt wird.

Zur Vorgeschichte

Im August 2018 kamen vier Umweltaktivisten beim Auslöschen eines Feuers im Wald in der Nähe von Marivan im kurdischen Gebiet im Nordwesten des Iran ums Leben. Seit Jahren löschen sie die Feuer, die vom iranischen Regime im Kampf gegen die Partisanen in der Region gelegt werden. Vieles deutet darauf hin, dass die Aktivisten hier bewusst in ein Feuer gelockt wurden, aus dem sie kaum lebend hätten entkommen können. Einer der Ermordeten war Sharif Bajor, einer der wichtigsten Umweltaktivisten, seit Jahren im Iran aktiv. Die Anhänger des iranischen Regimes propagieren, es sei kein Mord gewesen, sondern ein unglücklicher Unfall, da Minen aus der Kriegszeit mit dem Irak durch das Feuer im Sommer 2018 zur Explosion gebracht wurden – Minen, die die iranische Regierung gelegt hatte und umgehend nach dem Krieg hätte entschärfen und entfernen müssen. Die Aktivisten aus der Region sind überzeugt, dass dieser Fall ein Mord durch das iranische Regime war. Sicher ist jedenfalls, dass die Aktivisten über die Minen weder informiert worden waren noch rechtzeitig aus dem Feuer gerettet wurden, trotz bestehender Möglichkeiten seitens des Regimes durch den Einsatz eines Hubschraubers. 

Die Demonstrationen zehntausender Menschen in Marivan griffen diesen Mord auf, um mit radikalen revolutionären Parolen und Forderungen ein Zeichen gegen das iranische Regime als Vertreter des Kapitalismus im Land zu setzen. Zehntausende Menschen gingen mit roten Fahnen und Bannern auf die Straße und beschuldigten das iranische Regime diesen Mordes. 

Die Wälder der kurdischen Gebieten werden in den letzten Jahren und Monaten häufig vom iranischen Regime und der sogenannten „Revolutionären Garde“ (Sepah Pasdaran) niedergebrannt, um die Bewegung der kurdischen Partisanen zu verhindern. Insbesondere der PKK-nahen Organisation PJAK und anderen kurdischen Organisationen wie der kurdischen demokratischen Partei Kurdistan oder Komala bieten die Wälder und die Berge Schutz im Kampf gegen das Regime. Unter der Herrschaft eines absolutistischen islamischen und diktatorischen Regime wie dem Iran, unter dem keine Meinungsfreiheit und Freiheit der Parteien existiert, wird der Partisanen-Kampf zur Notwendigkeit. Allerdings agieren die heutigen Partisanen-Bewegungen nicht wie in den 80er Jahren im Interesse der politischen emanzipatorischen Bewegungen, sondern lassen sich oft zum Spielball imperialistischer Mächte aus dem Westen oder der Region des Nahen Osten machen. Diese Partisanen-Kämpfe werden oft von Staaten wie Saudi-Arabien und der Türkei gegen das iranische Regime ausgespielt. Während im Nordirak die Barsani-Truppen diese Mächte im Kampf unterstützen, hindern die Nachfolger von Barsanis Gegenspieler Talabani die Bewegungen von nordirakischen Parteien wie der PUK daran, gegen den Iran vorzugehen. In diese komplexen realpolitischen Zusammenhänge wird nun die Umweltfrage eingebracht und die Aktivität der Umweltaktivistinnen und -aktivisten durch ihre Gleichsetzung mit den Partisanen-Kämpfen delegitimiert. Damit schlägt das iranische Regime eine Brücke zwischen den Umweltaktivist innen und -aktivisten , die sich in tatsächlich emanzipatorischen Bewegungen verorten, und den Partisanen, um beide ideell und materiell zu schwächen.

Der Mord im August 2018 war nicht die erste gezielte Vernichtung von Umweltaktivistinnen und -aktivisten .  Bereits im Februar 2018 wurde auf einem Flug von Teheran nach Yasudsch im Südiran eine technische Störung nicht hinreichend behoben und so der Tod von 65 Personen, darunter 15 bekannte Umweltaktivistinnen und -aktivisten, in Kauf genommen bzw. herbeigeführt. Die Regierung rühmt sich damit, hier nicht ‚unnötig‘ Menschenleben gerettet zu haben, da es sich um Oppositionelle und Marionetten ausländischer Regimefeinde gehandelt habe.

Unterdrückung der Umweltaktivisten in den letzten Wochen im Iran

In den letzten Wochen und Tagen nahmen die iranischen Geheimdienste nun mehr als zehn Umweltaktivisten in den kurdischen Gebieten fest. Das iranische Regime und die iranischen Geheimdienste versuchen, jede Aktivität in den kurdischen Gebieten in Verbindung mit der Opposition im Ausland zu bringen und sie dadurch zu verhindern. Während sie also die Wälder in den kurdischen Gebieten niederbrennen, wird jede Aktivität für eine bessere Umwelt kriminalisiert und verhindert. 

Die kurdischen nationalistischen Parteien, die immer zwischen der Reformierung und dem Sturz des Regimes durch militärische, imperialistische Interventionen beispielsweise durch die USA schwanken, versuchen die Umweltaktivisten zu ethnisieren und damit nationalistische Gefühle in der Bevölkerung in den kurdischen Gebieten zu wecken. Damit entstellen auch sie den tatsächlichen und notwendigen Inhalt der radikalen Umweltbewegung.

Die Heuchelei der “Umweltfrage” im Westen

Wie das iranische Regime sind aber auch die westlichen kapitalistischen Staaten, die gerne über die Umweltfrage labern, menschen- und umweltverachtend. Sie zerstören die Welt auf brutalste Weise, indem sie weltweit Kriege führen – in Syrien,  Libyen, Jemen, Afghanistan und anderen Ländern – und dadurch nicht nur die Umwelt zerstören, sondern täglich unschuldige Menschenleben auslöschen. Diese Politik nenne ich eine systematische Todesstrafe für die nicht-westliche Bevölkerung; ein Massenmord, der für die Mehrheit der Bevölkerung der Erde als Normalität angenommen wird. Die Kriegs- und Rüstungspolitik ist eine imperialistische Politik, die als Geschäft für die Herrschenden sowohl die Profitmaximierung des Kapitals als auch die Hegemonie des Imperialismus schützt.

In den westlichen Ländern wird Umweltschutz von der herrschenden Klasse und besonders vom Mittelstand romantisiert und individualisiert. Die Mehrheit der Menschen, die hier in Westen von Umweltschutz reden, meinen nicht, dass sie die kapitalistische Maschinerie und Staaten stürzen, um die Umwelt zu retten, sondern eine passive Form des Widerstandes, die sich auf individuellen ‚ethischen‘ Konsum und Entbehrung stützt. Der Boykott des Genusses durch den Magen ist eine rein moralische und primitive Kritik. Diese gutgemeinten Bewegungen werden durch eine passive Revolution in den kapitalistischen Staat integriert und sind ein Teil der Unterdrückung geworden. In diesem Zusammenhang ende ich hier mit dem überarbeiteten Fazit eines Artikels, den ich vor zwei Jahren über die Umweltfrage und Heuchelei des Kapitalismus geschrieben habe:

Über den bürgerlichen “Umweltschutz”

Die Frage des Umweltschutzes ist keine Frage, mit der die bürgerlichen Parteien sich beschäftigen können. Die Bourgeoise ist mit ihrer Industrie die größte Gefahr für die Welt: Umwelt und Menschheit. Der Bourgeois ist die Person, mit deren Unterstützung der Massenproduktion für den Gewinn statt für den Konsum die Umweltverschmutzung sich automatisch verschärft. Du kannst nicht die Plastiktüten Zuhause lassen, aber deine Stimme den bürgerlichen Parteien geben und damit Waffenexport und Krieg unterstützen. Aus diesem Grund lege ich überhaupt keinen Wert auf die bürgerliche Umweltschutzdebatte.

Die Bourgeoisie beutet täglich die Arbeiterinnenklasse aus, aber versucht mit der “Umweltschutzdebatte” ihr Gewissen zu schützen und zu befreien. Sie trennt ihren Müll, aber wählt die Parteien, die die ganze Welt mit ihren Bomben zerstören wollen; lebt von systematischer und struktureller Umweltverschmutzung und seine Industrie verschmutzt millionenfach mehr die Umwelt.

Die Bourgeoisie ist nicht in der Lage, weniger zu produzieren oder ihren Waffenexport zu stoppen bzw. zu reduzieren, weil sie ihre Profite maximieren will. Diese Heuchelei der grünen Parteien und des bürgerlichen Spektrums dürfen wir nicht ernstnehmen. Individuelles Gewissen hat keinen Wert, sobald darin keine Harmonie mehr besteht. 

Euer Habitus und Lebensstil ist mit dieser verdammten Heuchelei verbunden. Die Bourgeoisie hat genug Geld, in “Bio”- und Luxusläden einzukaufen, aber für die Arbeiterklasse mit geringem Einkommen ist es ein täglicher Kampf, einfache Lebensmittel mit schlechter Qualität zu kaufen. Für bessere Arbeitsbedingungen organisieren dürfen sie sich selbstverständlich auch nicht in den „fairen“ „Bio“-Läden, wie jüngst das Beispiel von Alnatura zeigte.

Die einzige Möglichkeit zur Bekämpfung der Umweltverschmutzung ist die kommunistische Bewegung der Arbeiterklasse für den Sozialismus und die Emanzipation, weil im Sozialismus produziert wird, was gebraucht wird und nicht produziert wird, um einer kleinen Ausbeuterklasse Profit zu erwirtschaften. Im Sozialismus wird das Privateigentum an Produktionsmittel abgeschafft, aber die Bourgeoisie (der Kapitalismus) kann weder ohne Profite noch ohne das Privateigentum an Produktionsmitteln existieren. Du kannst nicht in der Metzgerei arbeiten und dich vegan ernähren. Alle utopistischen, moralischen Kritiken von bürgerlichen humanen Anarchisten und den Grünen sind primitive Vorstellung von der Emanzipation und der Befreiung. Diese Kritik und Praxis reproduzieren die Ungleichheit des Kapitalismus mit ihren bürgerlichen Interessen.

Wir haben es hier also mit zwei Seiten einer Medaille zu tun: Im Iran zerstört das Regime systematisch die Wälder und die Umwelt als offenen Teil ihrer Unterdrückungspolitik im Interesse des Kapitals und ohne den heuchlerischen Anspruch der westlichen Parteien, die sich „grün“ geben und den grünen Kapitalismus schützen, aber nicht einen Schritt oder auch nur Gedanken über die zerstörerische kapitalistische Logik hinausgehen können.

Dieser Text stammt von Hassan Maarfi Poor – Politischer Aktivist und marxistischer Forscher über Politik, Soziologie, Philosophie, Ethnologie, Gender Studies und Wirtschaft aus dem Iran

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