Einst begann er mit Hasstiraden in Norditalien auf Stimmenfang zu gehen. Hauptzielscheibe damals: Die Italienerinnen und Italiener in der Südhälfte des Landes. Heute heißt es nicht mehr „Prima il Nord“, heute skandiert Matteo Salvini, Innenminister und Chef der rechtsextremen Lega „Prima gli Italiani“ – „Zuerst die Italiener“. Salvini hat es geschafft, weite Teile Italiens hinter sich zu scharen. Der rechte Scharfmacher ist sich für keinen Eklat zu schade und wohl auch gerade deshalb ist er im politisch müden Italien so erfolgreich. Vor den Europawahlen steht Italien im Bann eines Demagogen.
Es wäre noch leicht untertrieben, zu behaupten, nur Italien sei dem Manne verfallen, dem es wie kaum einem zweiten gelingt, große Massen hinter sich zu versammeln. Matteo Salvini, früher als Spinner, Rechtsaußen und Separatist betitelt, ist heute die führende Figur der Rechten. Sogar im Rest Europas huldigt man dem heutigen Innenminister. Viktor Orbán, Ministerpräsident von Ungarn und wie Salvini seines Zeichens Menschenfeind, lobt Salvini als seinen „Helden“. Führende Köpfe der europäischen Rechten wie Jörg Meuthen von der AfD sehen in Salvini den „perfekten“ Kandidat für die vakante Stelle des EU-Kommissionspräsidenten. Trotz seiner fast unaufhörlich wachsenden Popularität lehnt Salvini diese Rolle des paneuropäischen Heilsbringer noch ab – noch. Das wird auch daran liegen, dass die Rechte, die zum Marsch auf die Europäische Union (EU) und ihre demokratischen Grundpfeiler bläst, nicht so homogen ist, wie sie gerne sein möchte.
Und zudem: In Italien reitet Salvini und seine ultrarechte Lega-Partei auf einer Welle des Erfolgs. Kaum jemand wird abstreiten, dass Salvini der eigentliche Regierungschef des Landes ist und dieser diese Ambitionen bei der nächstmöglichen Gelegenheit zu greifen versuchen wird. Dafür verantwortlich ist nicht zuletzt die schwierige Koalition aus Salvinis Lega und der 5-Sterne-Bewegung. Nur formal steht der Regierung Guiseppe Conte vor, in Wirklichkeit bestimmt Salvini die Geschicke. Die Debattenhoheit hat er ganz sicher inne. Salvini gilt seit langem als Meister der Demagogie, er versteht es auch und gerade durch die Nutzung der sozialen Medien Propaganda, Hass und Zwietracht innerhalb der gebeutelten Bevölkerung eines nur schwerlich zu regierenden Landes zu streuen.
Auf dem Vormarsch
Bei der letzten Parlamentswahl im Jahr 2018 war die Lega noch klar hinter der populistischen Anti-Establishment-Partei „5-Sterne-Bewegung“ platziert. Die vom Fernsehkomiker Beppe Grillo gegründete Plattform eroberte letztes Jahr zum ersten Mal in ihrer jungen Geschichte den Palazzo Chigi, den Regierungssitz des italienischen Ministerpräsidenten. Am Ende einigten sich die siegreiche 5-Sterne-Bewegung und der prozentuale Juniorpartner, Salvinis Lega, auf eine Koalitionsregierung, die das Land so noch nicht gesehen hat. Guiseppe Conte, Polit-Neuling, sollte der neuen Regierungskoalition der zweifelhaften Parteien vorstehen. Bis heute ist er Getriebener der eigentlichen Strippenzieher: 5-Sterne-Chef Luigi di Maio und natürlich der Kopf der Ultrarechten: Matteo Salvini. Umfragen für die anstehende Wahl zu EU-Parlament sagen einen massiven Wahlsieg für die Lega voraus. Laut POLITICO könnte die Lega mehr als 32% der Stimmen auf sich vereinen. Das liegt zu einem großen Teil an der Strahlkraft eines Mannes, der sich für keine Beleidigung und keinen Frontalangriff auf seine Feinde zu schade ist. Di Maios 5-Sterne stehen derzeit bei 22%, wären auch bei italienischen Parlamentswahlen weit hinter die Lega zurückgefallen. Mit vorausgesagten 27 Parlamentssitzen hätte Salvini, der früher selbst lange Europaabgeordneter war, satte 22 Sitze hinzugewonnen.
In Italien waren nach Meinung Salvinis die Schwächsten in der Kette vor einigen Jahren die Menschen im strukturschwachen Süden des Landes. Salvini beschimpfte die Italienerinnen und Italiener aus dem weniger wohlhabenden Südteil aufs Übelste und machte „die Menschen“ dort als das Hauptproblem Italiens in seiner vergleichsweise schlechten wirtschaftlichen und institutionellen Entwicklung verantwortlich. Im Jahr 2019 hat sich das Feindbild gewandelt: Wie die Ratten beim Rattenfänger von Hameln sollen ihm die Italiener blind folgen, um sie vor den Gefahren der globalisierten Welt zu schützen. BerufspolitikerInnen, die BürokratInnen der EU in Brüssel, alle Linken, Liberalen und Progressiven und natürlich die MigrantInnen, die mordend, vergewaltigend, brandschatzend als InvasorInnen den europäischen Kontinent stürmen und wie die White Walker in Game of Thrones nichts als Unheil bringen. Damit hat Salvini bei immerhin einem Drittel der wahlberechtigten ItalienerInnen Erfolg. Auch im Rest Europas erntet Salvini Applaus, wenn er italienische Häfen schließt und damit tausende von in Not geratene Menschen auf dem Mittelmeer dem Tod durch Ertrinken überlasst.
Er weiß wie kaum ein anderer die Vorteile des sozialen Medien für sich zu nutzen: Bilder und Statements in die Öffentlichkeit bringen, ohne sich der konventionellen Medien wie Zeitungen oder Fernsehsender zu bedienen. Während Ex-Premier und Langzeitregierungschef Silvio Berlusconi die Fernsehsender kontrollierte und tagtäglich durch seine Präsenz „beehrte“, lebt Salvini schon im digitalen Zeitalter. Diskussionen über Sicherheit und den Verlust von Kontrolle verlaufen bei Salvini immer in die selbe Richtung: „Gebt mir alle Macht, ich sorge dafür, dass die Umvolkung gestoppt wird“. Er ist unermüdlich auf den Plätzen und Straßen der Republik zu sehen, gibt sich als Volkstribun in Polizeiuniform und mit Gewehr. Unverhohlen kündigt er seinen Gegner an: „Wir sind bewaffnet“ und träumt dadurch von einem Staate wie in einst Italiens Diktator Benito Mussolini vertrat, faschistisch und militaristisch. Nicht umsonst lehnte es Salvini ab, am Tag des Gedenkens dem Ende des faschistischen Italiens zu erinnern. Stattdessen eröffnet Salvini ein Parteibüro in Sizilien und macht dadurch deutlicht: Wir sind auf dem Vormarsch, von Mailand über Rom bis ins einst verhasste Sizilien.
Führer von Europas Rechten
Die ständigen Querelen zwischen den beiden Koalitionspartnern hat Salvini bislang nicht geschadet, im Gegenteil. Er profitiert vom europäischen Zeitgeist und der sagt: Hetzerische Parolen, autoritäres Denken und nationalistische Alleingänge sind in. Überall in Europa strotzen Rechte, Rechtsextreme und Neofaschisten vor Selbstbewusstsein. Von Norwegen über Finnland, von Deutschland über die Niederlande, von Polen über Russland, Spanien, Frankreich, Österreich über die Insel nach Großbritannien. Alle wittern sie eine historische Chance, die Umformung der liberalen Demokratien mit all ihren Schwächen und Fehlkonstruktionen hin zu autoritären Staatsgebilden, in dem unliebsame Gruppen marginalisiert, verfolgt, deportiert und gegebenenfalls sogar getötet werden sollen. Es sind Staaten, in denen international verbriefte Menschenrechte offen debattiert werden können – selbstverständlich geht das immer zulasten der Schwächeren der Gesellschaft oder derer, die nicht zum Unterstützerkreis der neuen Rechten gehört.
Auch wenn es noch keine feste, organisierte Struktur der unterschiedlichen AntidemokratInnen gibt, die Bündnisse sind längst geschmiedet und sie arbeiten bereits äußerst erfolgreich, um Europas Antlitz entscheidend zu verändern. Der öffentliche Diskurs, sogar ohne Regierungsbeteiligung gelang es den Rechtsradikalen die politische Agenda zu beeinflussen. Das genügt Salvini und Co allerdings nicht, natürlich wollen auch sie an den Machthebeln sitzen, zügellos absahnen, im Stile der Vetternwirtschaft ihre Zöglinge bemächtigen und die Gesellschaft von unten umgestalten – ohne dabei auf Gewalt zu verzichten. Für die Europawahl formte Salvini mit seiner Lega zusammen mit der anderen rechtenextremen und neofaschistischen Kräften aus Finnland, Dänemark, Deutschland und Österreich (Verhandlungen mit weiteren Parteien laufen noch) eine unheilvolle Allianz namens „Europäische Allianz der Völker und Nationen“. Sie wollen die stärkste Kraft im EU-Parlament werden, mit Werten weit über 30% könnte die Lega sogar die stärkste Einzelpartei werden, noch vor der CDU.
Ihr Ziel ist klar formuliert: Sie wollen Europas Schaltzentren der Macht erobern und die Gesellschaft umkrempeln. Ihre Feindbilder sind bereits ausgemacht, von „Radfahrern und Vegetariern“ (Witold Waszczykowski, Ex-Außenminister Polens), gegen Minderheiten wie MigrantInnen, Flüchtlinge, Andersdenkende, Linke, Liberale, selbstbestimmte Frauen, Homosexuelle, Muslime. Die Liste könnte problemlos weitergeführt werden. Sie deklarieren sich als PatriotInnen, VerteidigerInnen traditioneller Werte, wettern gegen Abtreibungen, kriminalisieren ganze Menschengruppen, fordern und fördern unter ihrer Führung die Verzahnung von eigentlich getrennten Gewalten wie der Justiz und der Medien. Sie rufen einen Kulturkampf aus, der in einer Vielzahl von Ländern die Gesellschaften gespaltet, den politischen Diskurs vergiftet und eine politische Institution wie die EU zu einer wahren Farce hat werden lassen. Die Hüterin von Frieden und Wohlstand wankt wie nie zuvor und hat in ihrer aktuellen Verfassung keine Zukunft. Das weiß der Oberdemagoge Matteo Salvini nur zu gut und wird seinen Vormarsch weiter vorantreiben.