Kassel, Halle, Hanau – an diesen Orten mussten Menschen zuletzt erleben, wie aus rassistischer Hetze tödlicher Terror wurde. Hetze, die nicht nur in den Parlamenten und an den Stammtischen dieses Landes stattfindet, sondern zunehmend auch im Internet. Die Hetze im Netz ist oft rassistisch, antisemitisch, islamophob, homo- und transfeindlich – und in vielen Fällen eben auch sexistisch und frauenfeindlich. Doch der Hass im Netz gegen Frauen findet noch recht wenig Beachtung.
Dabei müssen Frauen, insbesondere Frauen mit Migrationshintergrund oder solche, die sich hier politisch oder kritisch äußern, mit den schlimmsten Beschimpfungen bis hin zu Mord- und Vergewaltigungsdrohungen rechnen. Die Hassrede im Netz ist ein großes Problem; führt sie doch dazu, dass sich Frauen zunehmend aus den sozialen Medien zurückziehen und dass ein Nährboden auch für andere Formen von Gewalt an Frauen entsteht.
Gewalt, die Frauen nach wie vor am ehesten im privaten Bereich zu spüren bekommen. So sind die Zahlen zu häuslicher Gewalt zuletzt wieder angestiegen, die Mordrate an Frauen innerhalb einer Beziehung ist konstant hoch. Das Internet, oder in diesem Fällen die digitale Technik, sind dabei von den Tätern ein weitere Möglichkeit, an ihren „Partnerinnen“ oder Ex-„Partnerinnen“ Gewalt auszuüben. Internationale Studien zeigen: in zwei von drei Fällen benutzen Täter von häuslicher Gewalt auch digitale Mittel: Smartphones, Mail-Accounts und Kameras werden so zur Waffe.
Häusliche Gewalt, also Gewalt innerhalb einer bestehenden oder ehemaligen Partnerschaft, hat viele Ausprägungen und meistens überlappen sich die verschiedenen Gewaltformen: psychische Gewalt, Isolierung der Betroffenen, einfache bis schlimme Körperverletzungen, finanzielle Gewalt, Demütigungen, Vergewaltigungen, Mord. Was alle Formen der Gewalt eint: der Täter übt Macht und Kontrolle über die Betroffene aus, oft jahrelang, oft sehr lange erfolgreich. Oft braucht es viele Versuche, bis eine Frau es schafft sich zu trennen. Einige schaffen es nie. Jede vierte Frau in Deutschland hat schon mindestens einmal in ihrem Leben häusliche Gewalt erlebt, belegt eine Studie aus 2004. Dies sind jedoch Zahlen aus einer Zeit, in der die digitale Gewalt noch keine Rolle spielte.
Dabei eröffnen sich durch die neuen technischen Möglichkeiten auch hier für die Täter neue Möglichkeiten des Machtmissbrauchs und der Kontrolle – und somit der Gewalt. Durch das Ausspähen von Passwörtern können sie sehen, mit wem „ihre“ Frauen worüber kommunizieren, sie können sehen, welche Seiten sie im Internet besuchen. Durch die heimliche Installation von Mini-Kameras oder Spy-Ware und GPS-Trackern auf dem Smartphone können sie genau verfolgen, wo sich die Frauen aufhalten und was sie tun. Betroffene berichten auch über Bestellungen im Internet auf ihren Namen, die sie bezahlen mussten, oder von Fake-Profilen, auf denen unter ihren Namen Unwahrheiten oder angebliche Dating-Aufrufe verbreitet wurden. Die Vielfalt der „neuen“ Formen der Gewalt scheint durch das Internet unvorstellbar groß, die psychischen Belastungen für die Betroffenen daher auch ungemein größer.
Doch auch wenn die Gewalt an Frauen durch die digitalen Möglichkeiten neue Dimensionen erreicht, Ursache und Motive bleiben die gleichen: lang tradierte Vorstellungen von Männlichkeit und der Ungleichheit zwischen den Geschlechtern, die bei den Tätern dazu führen, über Frauen zu bestimmen, sie wie ihren Besitz zu behandeln, ihnen kein eigenständiges – und vor allem nicht ein von ihnen losgelöstes – Leben zuzugestehen. Die schlimmsten Gewalttaten finden daher genau dann statt: bei bzw. kurz nach einer Trennung. Wer also langfristig für die Beendigung von Gewalt an Frauen kämpfen will, der muss an den patriarchal geprägten Vorstellungen von Männlichkeit ansetzen und ungleiche Geschlechterverhältnisse beenden, kurz: den Sexismus unserer Gesellschaft bekämpfen.
In akuten Gewaltsituationen ist der Verweis auf den notwendigen Kampf gegen strukturelle Ursachen aber natürlich keine Hilfe für die Betroffenen. Hier muss der Staat noch viel mehr als bisher seinem Schutzauftrag nachkommen und darf das Internet nicht als rechtsfreien Raum betrachten. Betroffene von Gewalt dürfen nicht alleine gelassen werden. Das gilt genauso für Betroffene von Hassrede wie für Betroffene von (digitaler) häuslicher Gewalt. Denn auch wenn die Motive von Gewalt an Frauen gleichbleibend sind: die Antworten auf diese neue Dimension der Gewalt können es nicht sein.
Das komplette Hilfesystem von Polizei über Justiz bis zu den Beratungsstellen und Frauenhäusern braucht ein „Update“. Polizei und Justiz müssen sensibilisiert werden, damit das Problem von ihnen überhaupt ernst genommen wird. Viel zu oft berichten Betroffene, dass die Polizei nicht nur hilflos vor ihren Problemen steht, sondern der alte Reflex bei häuslicher Gewalt wieder einsetzt: die Gewalt wird als ein privates Problem abgetan, den Opfern wird eine Mitschuld gegeben. Zudem scheitert es oft am technischen Wissen der Beamten und an dem Willen, Beweise aufzunehmen. Eine forensische Analyse der Geräte, um deren Missbrauch festzustellen, erfolgt in den seltensten Fällen. Es braucht daher spezialisierte Staatsanwaltschaften und Sonderdezernate für digitale Gewalt bei der Polizei.
Aber auch Beraterinnen in den Beratungsstellen sind mit dem Thema häufig überfordert. Ihnen fehlt das technische Wissen, um zum Beispiel Geräte auf Spy-Ware zu überprüfen oder Betroffene entsprechend beraten zu können. Gleichzeitig sind und sollen Beraterinnen auch keine IT-Spezialistinnen werden. Deshalb müssen spezialisierte Fachberatungsstellen eingerichtet werden, an die sich Beraterinnen aus den Frauenhäusern und Beratungsstellen bei Bedarf wenden können.
All diese Maßnahmen sind notwendig, auch wenn gleichzeitig klar ist, dass vieles davon Symptombekämpfung ist. Ein erster Schritt, um an die Ursachen zu gehen, wäre endlich damit aufzuhören, Gewalt an Frauen zu individualisieren, zu bagatellisieren oder gar zu ignorieren. Dass es bei Gewalt an Frauen keinen großen Aufschrei gibt, zeigt wie normalisiert sie ist: Sie ist zu „alltäglich“ in unserem Land, als dass es dafür Sondersendungen, Brennpunkte oder Talkshows geben würde. Um ein Bewusstsein für die quantitative als auch qualitative Dimension zu schaffen, braucht es daher dringend ein umfassendes Lagebild zu Gewalt an Frauen. Digitale Gewalt muss auch in die polizeiliche Kriminalstatistik Einzug erhalten. Und ja, bei allen politischen Vorhaben muss von Anfang an die Geschlechterdimension berücksichtigt werden. Bei allem ist aber auch klar: Aufklärung ist notwendig, damit daraus aber auch wirksame Konsequenzen folgen, braucht es den gesellschaftlichen Druck, braucht es feministische Bewegungen, die laut und deutlich ein Ende der Gewalt einfordern.