Rechte auf dem Vormarsch – Wir brauchen mehr Feminismus!

Mehr Feminismus ist nötig, und zwar europa- und weltweit: Ob Front National, FPÖ, Trump oder die AfD: Der Antifeminismus ist fester Bestandteil der Programmatik rechter Parteien und Strömungen – die offenbar immer mehr erstarken, in die Parlamente einziehen, an Regierungen beteiligt sind. Sie wollen die Gender Studies abschaffen, öffentliche Kinderbetreuung als schädliche Fremdbetreuung diffamieren, die traditionelle Kleinfamilie als Keimzelle der Nation propagieren, Migrant*innen die Schuld für Gewalt an Frauen zuschieben.
Sie organisieren Märsche für das Leben, wollen das Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen weiter verschärfen. Dass es auch die eine oder andere Frau in diesen rechten Bewegungen gibt, ändert daran nichts: Verbindendes Element ist ein traditionelles, konservatives und patriarchalisches Geschlechterbild, dass der Frau eine rein biologische und naturalisierte Rolle zuschreibt.

Doch während Rechte und ihre Vereinigungen in einem Teil der Gesellschaft auf Stimmenfang gehen und das gesellschaftliche Klima so beeinflussen, dass selbst in den Nachrichten und Talkshows die „Flüchtlingsfrage“ rauf und runter thematisiert wird, öffnet sich ein anderer Teil der Gesellschaft immer mehr, mobilisiert gegen diese reaktionären Positionen. Tausende von Menschen gehen auf die Straße, fordern Vielfalt des Lebens. Das kommt natürlich auch in den Parlamenten an: Beschlossen wurde im letzten Jahr die Verschärfung des Sexualstrafrechts, die Abschaffung des homophoben § 175 StGB. Seit Monaten befassen sich Bundestag, Landesparlamente und Landesregierungen mit dem Informationsrecht für ungewollt Schwangere und der freien Berufsausübung von Ärzt*innen, hervorgerufen durch eine breite, wachsende und kämpferische Frauenbewegung. Rein rechnerisch gibt bereits eine Mehrheit im Bundestag für die Streichung des § 219a StGB. Und nun kommen auch die kostenlose Verhütung und bald die Abschaffung der Beratungspflicht nach § 218a StGB auf die Agenda des Parlaments. Ist das alles Zufall? Oder Abwehrkampf?

Sexualstrafrecht, Schwangerschaftsabbrüche, Verhütung – zusammengefasst: sexuelle und reproduktive Rechte – stehen eigentlich seit langem im Pflichtenheft der Bundesregierung. Internationale Verträge und Abkommen, wie CEDAW und die UN-Frauenrechtskonvention, erfordern bereits seit Jahren aktives Regierungshandeln.

Doch die gebündelte Präsenz dieser vermeintlich weichen „Frauenthemen“ zeigt, welcher Druck in der Bevölkerung nach einem emanzipatorischen Befreiungsschlag, nach mehr persönlicher Freiheit in der Lebens- und Familienplanung bereits vorhanden ist. Die Bewegung hat ein revolutionäres Element: Die individuelle Gestaltung der eigenen Lebensweise kann nur kollektiv durchgesetzt werden, braucht Widerstand gegen das Establishment. Sie ist zugleich Voraussetzung für die Überwindung der (kapitalistischen und patriacharchalen) herrschenden Ordnung, die sich auf Macht, Hierarchien, Ausgrenzung, Abhängigkeiten, Ausbeutung und Unterdrückung begründet. Viele der „Frauenthemen“ sind mehrheitsfähig, weil bürgerliche und proletarische Frauenbewegungen hier Gemeinsamkeiten finden, wenn auch die bürgerliche sich nur mit Reformen zufrieden geben mag.

In diesen Bewegungen entsteht ein politisches Selbstbewusstsein. Linker Feminismus nimmt darauf Einfluss und befördert es, indem wir die soziale Frage in diese Kämpfe tragen. Es liegt an uns, die Frage nach Schwangerschaftsabbrüchen auch mit der Diskussion zu verbinden, wer und wie eigentlich Kinder bekommen und gesichert aufziehen kann. Denn die ökonomischen Verhältnisse machen dies so schwer oder für viele sogar schwerer, als eine ungewollte Schwangerschaft abzubrechen.

Und so liefern auch die aktuellen Länderstudien der Rosa-Luxemburg-Stiftung aufschlussreiche Ergebnisse zu der Frage, welche feministischen Antworten auf die ökonomische Krise in Europa und für eine andere Lebensweise eigentlich nötig wären. Untersucht wurden die Folgen der Austeritätspolitik in Europa auf das Leben von Frauen. Die Autorinnen haben hierfür Daten zur Beschäftigung, zum Einkommen von Frauen, zur Zeitverfügung und zum staatlichen Regierungshandeln ausgewertet. Insbesondere wurden Sparmaßnahmen, die direkt die Gleichstellung und Diskriminierungsformen betrafen, unter die Lupe genommen, sowie Gesetzesänderungen und Neuregelungen  dahingehend untersucht.  Zusammengefasst hat die „gigantische Kürzungswelle, die durch die Sozialsystem in Europa rollte“, so Elsa Köster in einer zusammenfassenden Bewertung aktuell in DER FREITAG vom 27. Juni 2018 eine Care-Krise ausgelöst. „Aus der Finanzkrise wurde eine Wirtschaftskrise, dann eine dann eine Haushaltskrise schließlich eine Krise der Pflege- und Sorgearbeit.“ Folge: Frauen verloren massiv an Einkommen, wurden zwar nicht aus ihren Jobs gedrängt, aber durch unbezahlte Sorgearbeit verstärkt mehrfach belastet. Ein Zusammenhang zwischen erstarkenden Antifeminismus und der ökonomischen Krise konnte in den Studien zwar nicht explizit nachgewiesen werden, es gibt aber durchaus die Vermutung, dass die Retraditionalisierung der Geschlechterrollen eine Antwort auf männliche Krisenerfahrung oder den Rückzug des Sozialstaates sein könnten. Jedenfalls braucht es auf die vermeintlich einfache rechte Antwort auf Individualisierung und soziale Verunsicherung, eine linke feministische. Das belegen die Studien für alle Länder. Die Verknüpfung sozialer Politik mit Fragen der Lebensweise: eine Reduzierung der Erwerbsarbeitszeit auf 20-25 Stunden, die Förderung von Elternzeit für Väter, massive staatliche Investitionen in Bildung, Gesundheit und Pflege, die Durchsetzung und Sicherung von Gewaltprävention und Schutz vor Gewalt, um nur einige Beispiele zu nennen.

Wie stark die Gegenbewegungen sind und werden können, zeigt sich an Massendemonstrationen von Frauen wie in Spanien und Polen, aber auch an der Bewegung um den § 219a StGB. Die immer lautet werdenden Forderungen nach mehr Selbstbestimmung haben ein revolutionäres Element: Die Selbstbestimmung über unsere Körper, die Rückgewinnung an Souveränität über unsere Lebensweise ist eine wesentliche Voraussetzung für die Überwindung der gesellschaftlichen Verhältnisse.
Forderungen und Bewegungen für sexuelle und reproduktive Rechte mögen zwar als Abwehrkämpfe entstehen, sie sind aber weit mehr als eine Reaktion und sie können starke Durchsetzungskraft erreichen.
Sie haben mit ihrer Ausrichtung auf eine selbstbestimmte Lebensweise zudem eine zutiefst soziale Dimension angesichts der gesellschaftlichen Realitäten, wie die Armutssituation von Frauen und Familien, der völlig unzureichende Regelsatz für nach Hartz IV und Sanktionen, die wachsende Gruppe an Menschen, die in prekäre Situationen gerät und leben müssen, die immer schlechter werdenden Perspektiven für junge Menschen, würdelose Zustände für Alte. Fragen der Ökologie und demokratischen Freiheiten mitgedacht, haben sie gesellschaftsveränderndes Potential.
Kostenlose Verhütungsmittel, wie von der Linksfraktion gefordert, sind deshalb nicht nur ein kleiner Teil von sozialem Ausgleich. Sie würden die Durchsetzung des Menschenrechts auf reproduktive Entscheidungsfreiheit erleichtern und sind faktisch eine Verknüpfung der Politikfelder.
Mit der Forderung die Beratungspflicht nach § 218a StGB abzuschaffen und gleichzeitig Beratungsangebote auszubauen, geht es ebenso darum sexuelle und reproduktive Rechte – und den Kampf darum – mit Fragen von Demokratie und Selbstbestimmung zu verknüpfen. Der § 218 StGB wird seit Jahrzehnten von den Frauenbewegungen bekämpft. Er ist Ausdruck eines strukturellen Sexismus. Seit jeher sind Verbote von Schwangerschaftsabbrüchen Instrument von Bevölkerungspolitik und Ideologien: Ob religiös motiviert, um kriegsführenden Nationen ausreichend Kanonenfutter zu liefern oder um Frauen im patriarchalen Korsett zu halten.

Schwangerschaftsabbrüche haben generell nichts im Strafgesetzbuch zu suchen. Die Streichung der §§ 219 und 219 StGB wären ein Meilenstein für den gesellschaftlichen Fortschritt. Die Umwandlung der Beratungspflicht in ein Beratungsrecht wäre ein wichtiger Schritt auf dem Weg dahin.

Die „Kunst der feministischen Politik“ gegen Rechts besteht – frei nach Rosa Luxemburg – darin, die soziale Opposition mit Fragen der Lebensweise, der Demokratie, Ökologie zu verknüpfen und für umfassende reproduktive Gerechtigkeit zu kämpfen.

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