Organspende: Wer nicht widerspricht, stimmt noch lange nicht zu!

Anfang letzter Woche hat eine Gruppe von Abgeordneten um Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), Karl Lauterbach (SPD), Georg Nüsslein (CSU) und Petra Sitte (DIE LINKE) mit großer Medienbegleitung einen Gesetzentwurf zur Einführung einer Widerspruchsregelung bei der Organspende vorgestellt.

Dieser Gesetzentwurf möchte die bisherige Regelung, dass Organe für Transplantationen nur Menschen entnommen werden dürfen, die diesem Vorgang vor ihrem Hirntod zugestimmt haben, durch die Regelung ersetzen, dass jede Person ab 16, die nicht ausdrücklich widerspricht, qua Gesetz zur Abgabe ihrer Organe verpflichtet wird.

Für diese Regelung werben die Politikerinnen und Politiker mit schönen, emotional anfassenden Parolen und leider auch mit Argumenten, die einer genaueren Prüfung nicht standhalten: Die Neuregelung sei nötig, um genug Organe zu erhalten, damit die 10.000 schwer kranken Patientinnen und Patienten auf der Warteliste eine Chance hätten, ein passendes Organ zu erhalten. Sie sei Ausdruck gelebter Solidarität. Und jedem Menschen sei es zuzumuten, sich einmal im Leben mit der Frage zu beschäftigen, schließlich dürfe er ja, wenn er die Organentnahme ablehne, seinen Widerspruch in einem Transplantationsregister festhalten lassen.

Was ist daran falsch, Menschen zur Solidarität mit schwer Kranken zu zwingen, sie zumindest dann für solidarisch zu halten, wenn sie zu Lebzeiten nichts anderes verfügt haben? Es gibt dagegen ganz grundsätzliche Einwände und zugleich steckt der Teufel im Detail.

Schon die Notwendigkeit ist fraglich. Den oft zitierten 10.000 Menschen auf der Warteliste von Eurotransplant stehen zwar 2018 weniger als 1.000 Organspendenden gegenüber, die allerdings über 3.000 Organe gespendet haben, was die Versorgungslücke nicht ganz so unüberwindlich erscheinen lässt, wie Spahn & Co. behaupten. Eine Studie der Uni Kiel hat im letzten Jahr belegt, dass der Flaschenhals der Transplantationsmedizin nicht etwa die unwilligen und unsolidarischen Verstorbenen und ihre Angehörigen sind, sondern die Krankenhäuser, die mögliche Organspendenden erst gar nicht bei den zuständigen Stellen melden. So gab es im Jahr 2015 etwa 27.000 Todesfälle in deutschen Kliniken, die eventuell für eine Organspende in Frage gekommen wären. Davon wurden aber nur 2.245 gemeldet und davon 877 realisiert – eine Quote von 3,2%. Wenn es gelingt, diese Quote auf etwa 10% anzuheben, dann könnten nahezu alle Patientinnen und Patienten auf der Warteliste versorgt werden. Genau zu diesem Zweck ist am 1. April dieses Jahres ein neues Transplantationsgesetz in Kraft getreten, das die Krankenhäuser zur Meldung verpflichtet, einen neurologischen Bereitschaftsdienst zur Hirntodfeststellung einrichtet und die Kliniken besser entlohnt, damit die Organspende nicht aus finanziellen Gründen unterbleibt. Wenn dieses Gesetz seine Wirkung entfaltet (wovon auszugehen ist), dann ist ein Eingriff in die Selbstbestimmung in Form einer Widerspruchsregelung schlicht unnötig.

Ganz Grundsätzlich ist es mit der Menschenwürde, dem Recht auf Selbstbestimmung und mit dem Recht auf körperliche Unversehrtheit nicht vereinbar, Menschen, auch schwer erkrankte und sterbende, gegen ihren Willen medizinischen Eingriffen zu unterziehen. Das ist nicht nur eine ethische Frage, sondern auch eine strafrechtliche: Genauer gesagt handelt es sich bei jedem medizinischen Eingriff, der ohne Zustimmung oder gar gegen den Willen des/der Betroffenen durchgeführt wird, um einen Fall von Körperverletzung, es sei denn, dieser Eingriff wäre lebensnotwendig und die Zustimmung der Person nicht zu bekommen (z.B. bei einem schweren Unfall oder Schlaganfall). Bei Eingriffen, die nicht dem Wohl des/der Betroffenen dienen, sondern zum Nutzen Dritter durchgeführt werden, muss die Zustimmungspflicht besonders hart ausgelegt werden. Nun ist ein Mensch, der im Krankenhaus an lebenserhaltenden Systemen angeschlossen ist, dessen Herz-Kreislauf-System noch funktioniert, dessen Organe durchblutet werden und dessen Stoffwechsel weiterhin arbeitet, rein rechtlich noch so lange lebendig, bis der vollständige Ausfall aller Hirnfunktionen von zwei unabhängigen Ärztinnen und Ärzte festgestellt wurde. Erst nach der Feststellung des Hirntods dürfen entweder die lebenserhaltenden Systeme abgestellt oder der nun tote Körper unter Beibehaltung der maschinellen Lebenserhaltung auf die Organentnahme vorbereitet werden. Bereits die Feststellung des Hirntods, die der Organentnahme vorausgeht, ist mit Eingriffen verbunden, die einem noch empfindungsfähigen Menschen schwer schaden können: Beim sogenannten Apnoe-Test etwa wird die Beatmung eingestellt und geprüft, ob die Atmung selbstständig wieder einsetzt. Um die Empfindungsfähigkeit zu testen, werden Schmerz- und Beruhigungsmittel abgesetzt und dann mit einem starken Schmerzreiz geprüft, ob der Körper noch Reflexe zeigt. Nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft spürt ein Mensch, dessen Hirnfunktionen vollständig erloschen sind, davon nichts. Aber sowohl diese wissenschaftliche Mehrheitsmeinung als auch das Konzept des Hirntods sind nicht unumstritten. Deswegen ist es notwendig, Menschen, die man für die Organspende nach dem Hirntod gewinnen will, vollständig, verständlich und ergebnisoffen über die damit verbundenen Prozeduren aufzuklären, so dass sie zu Lebzeiten eine informierte Entscheidung darüber treffen können. Da sich persönliche Haltungen und Überzeugungen, aber auch Ängste im Laufe des Lebens verändern, muss diese Entscheidung so dokumentiert werden, dass sie jederzeit ohne große Hürden verändert werden kann. Das ist heutzutage der Fall, indem man seine Entscheidung auf einem Pappkärtchen, dem Organspendenausweis, ankreuzt, vielleicht noch durch eigene Vorlieben ergänzt und dieses Pappkärtchen mit der Krankenkassenkarte oder dem Personalausweis ins Portemonee steckt. Den Organspendenausweis kann ich jederzeit neu verfassen, austauschen oder einfach vernichten, wenn sich meine Entscheidung geändert hat.

Nach den Vorstellungen der Gruppe um Jens Spahn soll genau das in Zukunft nicht mehr möglich sein: Ihr Gesetzentwurf sieht nur noch die Möglichkeit vor, die Entscheidung „Organspende oder nicht“ in einem Transplantationsregister festhalten zu lassen. Diese Register soll jedoch nicht für die Bürgerinnen und Bürger selbst mit einem Sicherheitsverfahren zugänglich sein, sondern nur den von der Bundesregierung noch zu bestimmenden Stellen, möglicherweise den Rathäusern oder den Gesundheitsämtern, möglicherweise aber auch einer privaten Stiftung oder einer anderen Institution. Konkret: Um den Widerspruch gegen die Organentnahme aktenkundig und damit sicher zu machen, muss man künftig irgendeine Behörde oder Institution aufsuchen, sich dort ausweisen und ein Formular ausfüllen. Der Organspendenausweis soll komplett abgeschafft werden. Die Verpflichtung der Meldebehörden, der Krankenkassen und der Bundeszentrale für Gesundheitliche Aufklärung, Organspendenausweise bereitzuhalten und zu verteilen, wird aus dem Transplantationsgesetz gestrichen. Wer also nicht will, dass seine Entscheidung zur Organspende in einem Register festgehalten wird, muss sich selbst eine entsprechende Vorlage basteln und hoffen, dass sie juristisch wasserdicht ist.

Dieser Gesetzentwurf atmet den obrigkeitsstaatlichen Geist einer Gesellschaft, die Menschen nicht zu informierter Selbstbestimmung befähigen, sondern ihnen vorschreiben will, wie sie sich zu verhalten haben. Er ist Ausfluss einer Haltung, dass der Staat das Recht habe, über die Bürgerinnen, Bürger und deren Körper zu verfügen. Die Materialien, die die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung bereitstellen soll, sollen ausdrücklich nicht mehr ergebnisoffen informieren. Die Verpflichtung der Krankenkassen, ihren Mitglieder mitzuteilen, wo sie sich fachlich und neutral beraten lassen können, entfällt ersatzlos. Eine Beratung durch Ärztinnen und Ärzte ist nicht vorgesehen.

Dieser Gesetzentwurf ist so keinesfalls solidarisch, sondern sozial diskriminierend. Menschen, die schriftliche Informationen nicht gut verstehen, werden nicht oder nur unzureichend über ihre Rechte und Pflichten aufgeklärt. Die Hürde für die Eintragung eines Widerspruchs in das Register ist besonders für wenig mobile sowie sozial ausgegrenzte Gruppen und für Menschen mit niedriger Bildung riesig. Von Informationsmaterial in Fremdsprachen ist ebenso wenig die Rede wie von barrierefreien Informationen für Menschen mit Seh- oder Lernbehinderung.

Insgesamt entsteht so der Eindruck, dass es den Verfasserinnen und Verfasser des Gesetzentwurfs ganz recht ist, wenn möglichst viele Menschen die persönlichen Konsequenzen dieses Gesetzes nicht verstehen. So darf man mit Menschen nicht umgehen. Wer nicht widerspricht, stimmt noch lange nicht zu. Eine derart instrumentelle und arrogante Haltung des Staates gegenüber Menschen, deren Organe anderen Menschen ein neues Leben schenken sollen, ist inakzeptabel.

Der Gipfel der Ungehörigkeit aber ist, dass Jens Spahn, der diesen Gesetzentwurf als Abgeordneter und nicht im Auftrag der Bundesregierung einbringt, trotzdem den Zugriff auf das Gesundheitsministerium nutzt, um Öffentlichkeitsarbeit für sein Anliegen zu machen. So missachtet er nicht nur das Parlament, sondern zeigt auch, wie egal es ihm ist, was seine Kolleginnen und Kollegen in der Bundesregierung denken und was die große Koalition (nicht) vereinbart hat. Ein kleiner Hinweis darauf, was der CDU erspart geblieben ist, weil sie ihn nicht zum Vorsitzenden wählte.


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3 Antworten

  1. Vielen Dank für den aufklärenden Artikel, wovon es ja nur wenige gibt. Aber kleine Korrektur: Wenn der
    Hirntod durch die sehr belastende und schmerzhafte Hirntoddiagnostik festgestellt wurde, ist das Gehirn tot, der Körper ist, wenn er beatmet wird, noch lebendig! Von einer Leiche kann man keine Organe gebrauchen. „Bei Menschen mit totem Hirn gibt es viele Lebenszeichen. Solange sie beatmet und ernährt werden, regulieren sie die Körpertemperatur, bekämpfen Infektionen, heilen Wunden. Hirntote Kinder wachsen und kommen in die Pubertät und schwangere hirntote Frauen können per Kaiserschnitt gesunde Kinder zur Welt bringen.“(aus der Petition von ÄPOL). Hirntote Menschen sind sterbende Menschen. Das macht die Angelegenheit noch schlimmer.
    Mit freundlichem Gruß Inge Jacob

  2. Kleiner Anhang zu meiner eben geschickten Mail. Diese Info habe ich von KAO bekommen. Ich empfehle den Artikel in der Schweizerischen Ärztezeitung.
    Heute ist übrigens eine Arbeit von uns in der Schweizerischen Ärztezeitung publiziert worden, sowie eine Replik einer Ethikerin.
    https://doi.org/10.4414/saez.2019.17647 https://doi.org/10.4414/saez.2019.17722
    Bei KAO gibt es übrigens Ausweise zum OrganspendeWiderspruch, die sich deutlich vom offiziellen
    Organspendeausweis unterscheiden. (www.initiative-KAO.de)
    Mit freundlichen Grüßen Inge Jacob

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