By European Parliament, Flickr, licensed under CC BY 2.0 (edited by Jakob Reimann).

Die Hüterin des Heimatschutzes

Ursula von der Leyen lobt die militarisierte griechisch-türkische Grenze als „europäischen Schild“. Mit einem Frontex-Einsatz unterstützt die Kommissionspräsidentin die Migrationsabwehr.

Im September, zwei Monate vor Beginn ihrer Amtszeit als Präsidentin der EU-Kommission, hatte Ursula von der Leyen (CDU) die Stellenbeschreibung des neuen Migrationskommissars veröffentlicht. Der konservative griechische Politiker Margaritis Schinas sollte demnach den „Schutz der europäischen Lebensweise“ sicherstellen. Das sorgte nicht nur in Deutschland, wo von der Leyen zuvor den Posten als Verteidigungsministerin innehatte, für Kritik. Man dürfe sich Begriffe „von Europas Gegnern nicht nehmen lassen“, konterte die CDU-Politikerin. Am Ende hat von der Leyen das Amt dann doch neuetikettiert. Schinas ist nunmehr für die „Förderung des europäischen Lebensstils“ zuständig.

Das Gegenteil von Förderung ist Behinderung und Störung. Damit sind die ersten 100 Tage der neuen Kommission im Bereich Asyl und Migration recht gut beschrieben. Kompromisslos unterstützt von der Leyen den Kurs der griechischen Regierung, Zehntausende Geflüchtete in überfüllten Lagern auf den Ägäis-Inseln festzuhalten. So war es nur konsequent, dass die Kommissionspräsidentin der Regierung in Athen auch nach der „Grenzöffnung“ durch den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan den Rücken stärkte. Mit Presse an Bord reiste von der Leyen am 3. März gemeinsam mit dem EU-Ratschef Charles Michel und dem Präsidenten des Europaparlaments David Sassoli nach Griechenland.

Von der Leyen dankte dem griechischen Ministerpräsidenten Kyriakos Mitsotakis für dessen Migrationsabwehr mit Militär, Grenztruppen, NATO-Draht, Tränengas, Wasserwerfern und tödlichen Schüssen.

Aufstandsbekämpfung am Evros

Aus der Hüterin der Verträge ist also eine Hüterin des Heimatschutzes geworden: Über die tagelangen Menschenrechtsverletzungen an der Grenze, brutale Misshandlungen und die einmonatige Aussetzung von neuen Asylanträgen verloren von der Leyen, aber auch Sassoli und Michel, kein Wort. Dabei wäre es Aufgabe der Kommissionspräsidentin, über die Umsetzung des europäischen Asylsystems und damit die Einhaltung der EU-Verträge zu wachen. Stattdessen lobte die CDU-Politikerin die griechische Migrationsabwehr als „europäischen Schild“.

Die Kommissionspräsidentin ist auch für die EU-Agenturen verantwortlich. Nach ihrer Visite an der griechisch-türkischen Grenze versprach von der Leyen Unterstützung durch Frontex. Wie es die Regeln der EU-Grenzagentur für „Rapid Border Intervention Teams“ (RABITs) vorsehen, begann der Soforteinsatz zehn Tage nach der Anforderung durch die griechische Regierung.

Dabei handelt es sich nicht um eine gewöhnliche Mission, denn die griechisch-türkische Landgrenze am Fluss Evros ist militarisiert wie keine andere Region in der Europäischen Union. Anders als etwa in Italien, Kroatien oder Albanien marschierten die Frontex-Truppen für den „europäischen Schild“ deshalb zur Aufstandsbekämpfung auf.

Die über 100 Polizistinnen und Polizisten aus Polen, Italien, Spanien, Österreich, Slowenien und den Niederlanden tragen Protektoren, Schilde und Helme mit Nackenschutz. Österreichs Sondereinsatzkommando COBRA kam mit einem gepanzerten „SurvivorR“, der Sonderwagen soll die türkische Jandarma auf der anderen Seite der Grenze beeindrucken. Medienberichten zufolge ist dies auch gelungen.

Lieber Solidarität statt Grenztruppen

In Griechenland zeigt sich der neue Stiefelabdruck einer EU, die in Bezug auf Migration eine kompromisslose Abwehr verfolgt. Erstmals werden EU-Außengrenzen durch Frontex regelrecht verteidigt. Gleichzeitig hält von der Leyen an der Unterstützung der EU-Türsteher fest. Die libysche Küstenwache soll Geflüchtete im zentralen Mittelmeer zurückholen, Frontex übernimmt hierfür mit einem neuen Flugdienst die Luftüberwachung. Eine ähnliche Aufgabe übernimmt die Türkei im Rahmen des Flüchtlingsdeals mit der EU. Diese Politik stabilisiert autoritäre Regime und macht die EU erpressbar. Erdoğan benutzt Geflüchtete dabei genauso schonungslos wie Mitsotakis – beide Präsidenten gehen über Leichen.

Die Türkei nimmt hier eine besondere Doppelrolle ein. Denn einerseits ist sie durch die Unterstützung der Terrormilizen in Syrien und durch ihren völkerrechtswidrigen Einmarsch in das Nachbarland mitverantwortlich für die enorme Zahl Geflüchteter aus Syrien. Andererseits stimmt es auch, dass die türkische Regierung bei der Versorgung dieser Menschen eine zentrale Rolle spielt. Darüber hinaus leben Hunderttausende auf der Flucht aus anderen Kriegsgebieten in dem Land. Es ist deshalb grundsätzlich richtig, dass die EU-Kommission ihre Nachbarn bei der Versorgung von Geflüchteten unterstützt. Dies darf aber nicht dazu führen, sich erpressbar zu machen, indem – wie zuletzt wieder geschehen – die Geflüchteten als Druckmittel genutzt werden. Und nie darf vergessen werden, dass der humane Umgang mit Schutzsuchenden zwar das Gebot der Stunde ist, dass am Ende aber entscheidend ist, die Ursachen der Flucht zu beseitigen.

Anstatt also die griechische Regierung für ihre brutale Migrationspolitik auch noch zu belohnen, muss von der Leyen ein Vertragsverletzungsverfahren wegen Nichtumsetzung der EU-Asylrichtlinie einleiten. In diesem fortgesetzten Rechtsbruch darf die Kommission auf keinen Fall ihre Agenturen entsenden. Die EU sollte Griechenland mit Solidarität und nicht mit Grenztruppen unterstützen. Gerade in der Corona-Krise bedeutet dies auch, die Geflüchteten der überfüllten Lager in Lesbos, Chios, Samos, Kos und Leros aufzunehmen und auf die Mitgliedstaaten zu verteilen. Gleichzeitig muss die Außenpolitik konsequent auf die Bekämpfung bestehender und die Entstehung neuer Fluchtursachen ausgerichtet werden.

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