Vor kurzem jährte sich der Brandanschlag von Mölln zum fünfundzwanzigsten Mal. In der Nacht zum 23. November 1992 hatten zwei Neonazis die Wohnhäuser zweier türkischer Familien in der norddeutschen Kleinstadt mit Molotowcocktails angezündet. Zwei Mädchen, 10 und 14 Jahre alt, und ihre Großmutter starben. Diese Brandanschläge waren nicht vom Himmel gefallen. Bereits im Jahr davor hatten Neonazis in der Stadt Hoyerswerda Unterkünfte von Vertragsarbeitern und Flüchtlingsheime pogromartig angegriffen und, nachdem die terrorisierten Bewohner vertrieben waren, die Stadt für „ausländerfrei“ erklärt.
Und im August 1992 brannte das Sonnenblumenhaus in Rostock-Lichtenhagen mit der zentralen Aufnahmestelle für Asylbewerber und einem angrenzenden Wohnhaus für vietnamesische Vertragsarbeiter unter johlendem Beifall eines rassistischen Mobs. Der damals amtierende Bundesinnenminister Rudolf Seiters nutzte die Geschehnisse in einer Bundestagsdebatte zu einem Generalangriff auf das Asylrecht: „Wir müssen handeln gegen den Missbrauch des Asylrechts, der dazu geführt hat, dass wir einen unkontrollierten Zustrom in unser Land bekommen haben…“
Schon damals also wurden die Pogrome der Rechten in der sogenannten bürgerlichen Mitte genutzt, um gegen ihre Opfer, Asylsuchende und Kriegsflüchtlinge, Stimmung zu machen und damit Druck auf die SPD auszuüben, sich der Verunstaltung des Artikels 16 im Grundgesetz nicht länger zu verschließen. Am 6. Dezember 1992 beschlossen dann die Fraktionen der CDU/CSU, der SPD und der FDP eine Grundgesetzänderung, die das Asylrecht weitgehend einschränkte und zum Beispiel die Festlegung so genannter sicherer Herkunftsstaaten ermöglichte. Die Opfer des Pogroms wurden nie entschädigt, sie erhielten auch kein Bleiberecht in Deutschland.
Das war das erste Mal in der Geschichte der Bundesrepublik, dass ein rechter Mob die Diskurse und die Gesetzgebung maßgeblich beeinflusste. Und Parallelen zur heutigen Zeit sind nicht von der Hand zu weisen. In der Debatte um die EU-Außengrenzen und den Umgang mit Hunderttausenden von Kriegsflüchtlingen dominieren Begrifflichkeiten wie „Kontrollverlust“ und „Krise“. Ein sicheres „Grenzmanagement“ und die Ausbremsung der Flüchtlingsbewegungen in den ohnehin schon überforderten Nachbarstaaten in Nahost und Nordafrika wird mit Sprachbildern von „illegitimer“ oder „illegaler“ Migration, von „Bekämpfung des Schlepperwesens“ und dem Vorwurf der „Wirtschaftsflucht“ legitimiert. Die legitimen Interessen der Menschen auf der Flucht, nicht nur das nackte Überleben zu sichern, sondern wirklich in Sicherheit zu leben und eine Lebensperspektive für sich und ihre Familien aufzubauen, fallen dabei unter den Tisch. Gleichzeitig werden die Bedürfnisse derjenigen, die aufgrund ihrer eigenen Lebenssituation Angst vor noch mehr Konkurrenz um Arbeitsplätze, bezahlbaren Wohnraum und die Bildungsmöglichkeiten ihrer Kinder haben, instrumentalisiert. Das Ganze paart sich zu einer von oben und von unten gefütterten Hassgeschichte, in der die Zugewanderten an allem schuld sind.
Vor 25 Jahren hatte der Rassismus in der CDU/CSU eine verlässliche Adresse. Nicht zufällig sind heute ehemalige CDU-Abgeordnete wie der Rechtsausleger Alexander Gauland oder der Antisemit Martin Hohmann erneut als Abgeordnete tätig – diesmal für die AfD. Diese hat an den ersten Sitzungstagen des neu gewählten Parlaments gleich deutlich gemacht, wes Geistes Kind sie ist – unter anderem mit einer Rede, in der ihr Abgeordneter die Bundeswehr verdächtigt, im Mittelmeer als Schlepper zu fungieren und mit der Forderung nach einem Rückführungsabkommen für Kriegsflüchtlinge mit der syrischen Regierung ungeachtet der Tatsache, dass eine erhebliche Zahl der syrischen Flüchtlinge ja gerade vor der Regierung Assads und seinen Truppen geflohen sind.
Interessant ist jedenfalls, dass neben der AfD nun auch die FDP an einem Gesetzentwurf gegen den Familiennachzug für Geflüchtete arbeitet. Damit will die Lindner-FDP nun offenbar selbst die CSU mit ihrem nervigen Obergrenzen-Gemaule noch rechts überholen. Offenbar geht es dem bürgerlichen Lager nicht darum, dem rassistischen Diskurs entgegenzutreten, sondern eher darum, sich als bessere Sachwalter des „Volkszorns“ darzustellen. Das ist umso verwerflicher, als sich der inzwischen auch ganz handgreiflich gegen konservative Politiker und Politikerinnen richtet, die sich dem rassistischen Mainstream verweigern. Sowohl die parteilose, aber von der CDU unterstützte, Bürgermeisterin von Köln als auch der CDU-Bürgermeister von Altena wurden Opfer rechtsextremer Messerattentate. Wer den rassistischen Mob ermutigt, trägt auch dafür die Mitverantwortung.
Aufgabe der Linken, innerhalb wie außerhalb des Parlaments, muss es nun umso mehr sein, die Perspektive der Betroffenen einzunehmen und deutlich zu machen, dass offene Grenzen für Menschen in Not die einzig richtige Antwort auf eine in den Wurzeln erschütterte Welt sein kann. Fluchtursachen wirklich zu bekämpfen – und nicht wie die Regierungspolitik unter Fluchtursachenbekämpfung doch nur wieder die Flucht zu behindern – ist dabei ebenso wichtig, wie soziale Umverteilung und Investitionen in die öffentliche Daseinsvorsorge, damit nicht die Armen gegen die Ärmsten ausgespielt werden können.
Linke Politik darf Menschen niemals als Objekte fremder Interessen oder als anonyme Verschiebemasse betrachten. Sie sind auch politische Subjekte, die ihre eigenen Interessen selbst ausdrücken und mit uns gemeinsam kämpfen können: für eine wirksame, zivile Friedenspolitik, gegen Rüstungsexporte und globale Ausbeutung und für eine Welt, in der wirklich alle gut, sicher und in Würde leben können.
Die letzten 25 Jahre nach Rostock, Mölln und Hoyerswerda belegen: Rassismus bekämpft man nicht, indem man seine Forderungen aufnimmt. Insofern wird sich auch die SPD fragen lassen müssen, ob sie sich in möglichen Verhandlungen mit der Union nun auf weitere Einschränkungen des Asylrechts und auf die Verhinderung des Familiennachzugs für Bürgerkriegsflüchtlinge einlassen wird. Die Linke tut jedenfalls gut daran, die Reste des Asylrechts mit Zähnen und Klauen zu verteidigen und die Vision von einer Welt, in der der Krieg gebannt ist, überall Menschenrechte garantiert werden und jeder frei entscheiden kann, an welchem Ort er lebt, arbeitet und politisch mitbestimmt, weiter aufrecht zu erhalten.