Ein Leben in Würde heute und in hundert Jahren

Den internationalen Frauentag zu begehen, heißt auch immer, auf eine über hundertjährige Tradition zurückzuschauen. Ins Leben gerufen wurde er von Clara Zetkin, Frauenrechtlerin und Sozialistin, als Aktionstag einer feministischen Internationalen.

Das Datum, der 8. März, geht zurück auf die Proteste der Arbeiterinnen, Bäuerinnen und Soldatenfrauen in Petrograd, die am 8. März 1917 mit Plünderungen und Streiks die Februarrevolution auslösten und damit weit über diesen Tag hinaus Geschichte schrieben.

Nun haben wir seit langem die zentralen Forderungen dieser ersten Stunden erfüllt: Frauen dürfen wählen und in Parlamenten reden, sie sind den Männern juristisch gleichgestellt. Das ist für uns aber noch lange kein Grund, uns zur Ruhe zu setzen. Die letzten Jahre haben international gezeigt – und in diesem Jahr hat sich auch Deutschland angeschlossen: Der achte März ist nicht nur ein Feiertag zu Ehren der Frauen – er ist ein Tag des Streiks. Denn unsere Gesellschaft und auch die Wirtschaft sind auf die Arbeit von Frauen zwingend angewiesen. Auf die bezahlte Arbeit in allen Sektoren, aber auch und vor allem auf die ungezählten Stunden unbezahlter Arbeit.

Würden Angehörige, in der überwiegenden Mehrzahl Frauen, nicht kostenlos überall dort einspringen, wo unsere Sozialsysteme versagen – Kitaplatzmangel, Krise in der Altenpflege, Investitionsstau an Schulen – das System würde schlicht kollabieren.

21 Prozent Lohnungleichheit – das haben wir uns nicht ausgedacht: Frauen arbeiten überwiegend in zu schlecht bezahlten Berufen. Und nein, das liegt nicht an individuellen Entscheidungen und fehlendem Karrierewillen. Das liegt in der großen Masse schlicht an der Missachtung von fundamental wichtigen Berufszweigen. Es liegt daran, dass die Profitmaximierung auch Einzug in die Daseinsvorsorge gehalten hat und nur die Erwerbsarbeit als wertschöpfend gilt, die Güter produziert. Dass Pflegerinnen, Hebammen, Erzieherinnen und Reinigungskräfte so schlecht bezahlt werden, dass der Nachwuchs fehlt, ist schlicht ein Skandal. Und auch bei gleicher Qualifikation und gleicher Arbeit erhalten Frauen sechs Prozent weniger Lohn als männliche Kollegen – da haben wir über sexistischen und übergriffigen Umgang am Arbeitsplatz noch gar nicht gesprochen.

Marie Shear prägte den Satz: „Feminismus ist die radikale Idee, dass Frauen Menschen sind.“
Dass dieser einfache Grundsatz noch lange keine Selbstverständlichkeit ist, hat sich vor wenigen Wochen erst erneut gezeigt. Die Abstimmung zum neuen §219a hat ganz klar das fatale Signal gesendet: Frauenkörper sind antastbar. Und die beispiellos teure und unnötige Studie von Gesundheitsminister Jens Spahn legt noch eins oben drauf: Die Psyche der Frau ist Verhandlungsmasse – von Männern.

Wer ehrlich Leben schützen will, muss Grundlagen dafür schaffen, dass Frauen sich wirklich frei entscheiden können, auch für ein ungeplantes Kind. Verhütungsmittel müssen kostenlos für alle sein. Die medizinische Versorgung aller Menschen muss radikal verbessert werden. Schluss mit der Kitakrise. Das Ehegattensplitting gehört endlich abgeschafft, Familien auf Höhe der Zeit gefördert – unabhängig von Beziehungsstatus und Geschlecht der Eltern. Wir brauchen eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich statt Hamsterrad und Burnout und so vieles mehr für ein Leben in Würde und Sicherheit für alle Menschen, die geboren worden sind.

Das alles wäre umsetzbar: Indem wir nicht nur über Frauenquoten in Manageretagen sprechen, sondern über Spitzensteuersätze. Indem die öffentlichen Kassen sich nicht länger von Immobilienkonzernen auf der Nase herumtanzen lassen und statt Wohngeld an Privatinvestoren zu zahlen, selbst Wohnraum stellen. Indem wir auch international tatsächliche Verantwortung übernehmen und aufhören immer mehr Geld in brandgefährliche Rüstungsdeals zu stecken. Denn jede Waffe findet ihren Krieg und das immer auf dem Rücken der dortigen Zivilbevölkerung.

Und zu guter Letzt: Indem wir aufhören, Kosten immer weiter in die Zukunft zu verschieben und so zu tun als wären sie nicht vorhanden. Die Klimastreiks der Schülerinnen zeigen uns: Schäubles schwarze Null ist eigentlich gar keine. Statt Kredite bei Banken nehmen wir Kredite an der Zukunft unserer Kinder.

Ausbaden müssen das weltweit in erster Linie Frauen. Denn sie sind es, die wieder einspringen werden, wenn zerstörte Gesellschaften wieder aufgebaut, wenn Kinder und Kranke versorgt werden müssen. Sie sind es, die im globalen Süden trotz Wassermangel Familien ernähren. Und Sie sind es, die hier in Deutschland trotz Armutsrenten, Lohnungleichheit und sexistischer Gewalt noch über Ehrenämter und private Arbeit das gesellschaftliche Leben erhalten. Für sie alle kämpfen wir, denn das ist linker Feminismus: Die radikale Idee, dass alle Menschen – und das schließt Frauen ein – ein Recht auf Leben in Würde und auf die Bestimmung über ihren eigenen Körper haben. Heute und in hundert Jahren.


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