Der Wirtschaftskrieg gegen Syrien muss ein Ende finden!

Während sich der mit Waffen geführte Krieg in Syrien seinem Ende neigt, ist der Wirtschaftskrieg gegen Damaskus nicht nur in vollem Gange, sondern wird erheblich intensiviert. Die US-Regierung und die EU haben in den letzten Jahren ihre „wirtschaftlichen Zwangsmaßnahmen“ gegen Damaskus immer weiter verschärft.

Während auch deutsche Regierungsvertreter gebetsmühlenartig wiederholen, die Sanktionen seien allein gegen die Regierung Assad gerichtet und zögen die Zivilbevölkerung nicht in Mitleidenschaft, haben renommierte internationale Organisationen das Gegenteil belegt. Die Mehrzahl deutscher Medien transportiert dennoch ungerührt die Regierungsdarstellung und weist die Verantwortung etwa für die stark verschlechterte Gesundheitsversorgung einseitig der syrischen Regierung zu. Obwohl bereits im letzten Winter nicht ausreichend Heizgas verfügbar war und obwohl seit Jahren sogar Kinder von der Lebensmittelknappheit betroffen sind und teils gar ihr Leben dadurch bedroht ist, waren es erst die kilometerlang vor syrischen Tankstellen wartenden Autos der letzten Tage, die das Interesse westlicher Medien auf sich lenken konnten.

Ausgelöst wurde die akute Benzin- und Treibstoffknappheit, in deren Folge auch der Betrieb von Schulen und Krankenhäusern zunehmend eingeschränkt ist, durch den Beschluss der US-Administration, die Schrauben bei der Durchsetzung der ohnehin schon bestehenden und sehr weitreichenden Sanktionen anzuziehen und neue „Maßnahmen“ insbesondere im Ölsektor einzuführen. Ziel ist es, die Einfuhr von Öl nach Syrien, das zwar über Vorräte im eigenen Land verfügt, diese aber kaum nutzen kann, weil sie direkt unter Kontrolle kurdischer Kräfte und indirekt unter Kontrolle der US-Armee stehen, komplett zu unterbinden. Erst im März hat das US-Repräsentantenhaus den Beschluss gefasst, in Zukunft auch ausländische Firmen und Geschäftsleute, die mit der syrischen Zentralbank oder Regierung zusammenarbeiten, zu sanktionieren. Ganz besonders betroffen sind davon Energie- und Bauprojekte unter Kontrolle der syrischen Regierung im Rahmen ihrer so dringend notwenigen Wiederaufbaubemühungen. Im gleichen Monat drohte das US-Finanzministerium allen Reedereien, Schiffsbesitzern, Kapitänen, Finanzinstitutionen, Managern und Versicherern, die an der Belieferung Syriens mit Öl beteiligt sind, Strafen an, sollten sie ihre Geschäftsbeziehung mit Damaskus aufrecht erhalten. Weil sogar logistische Unterstützung jeglicher Art explizit mit eingeschlossen wurde, lässt die zuständige Behörde am Suezkanal seit Januar 2019 keine Schiffe mit iranischem Öl für Syrien mehr passieren. Die ebenfalls massiv verschärften US-Sanktionen gegen Iran verschlimmern die Situation zusätzlich.

Die syrische Regierung soll international isoliert und eine Rückkehr zu einem funktionierenden Leben im von acht Jahren Krieg geschundenen Syrien verhindert werden, weil dies Präsident Baschar al-Assad stabilisieren könnte. Die US-Regierung und ihre Verbündeten in der EU, den Golfstaaten und der Türkei haben es nicht geschafft, ihre Regime-Change-Pläne in Syrien mit militärischen Mitteln umzusetzen, obwohl sie dafür Milliarden von Dollar in die militärische und logistische Ausstattung von größtenteils radikalen Gruppen investiert und seit 2014 selbst militärisch eingegriffen haben. Nun versucht man, mit Hilfe einer Intensivierung des Wirtschaftskriegs doch noch das Ruder herumzureißen, obwohl in den letzten acht Jahren durch die 2011 in Kraft gesetzten EU-Sanktionen und die im selben Jahr intensivierten US-Sanktionen keines der vorgeblichen Ziele erreicht wurde, wie unter anderem die Autoren einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) vom Mai 2016 darlegen. Im Gegenteil: sie kommen zu dem Schluss, diese hätten einen „systematischen Zusammenbruch und Kollaps der Grundfesten der syrischen Wirtschaft, Infrastruktur und Institutionen“ verursacht, was in allererster Linie der Zivilbevölkerung geschadet und zum Erstarken der Terrorbanden beigetragen habe. Die UN-Kommission für Wirtschaft und Soziales in Westasien (UN-ESCWA) hat die gegen Syrien verhängten „Strafmaßnahmen“ als die „kompliziertesten und weitreichendsten Sanktionsmaßnahmen, die jemals verhängt wurden“ bezeichnet.Inzwischen spricht selbst die Denkfabrik European Council on Foreign Relations (ECFR) davon, der „Wirtschaftskrieg“ gegen Syrien sei „inhuman und zerstörerisch“ und träfe „wahllos“ die Zivilbevölkerung. Auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und das Welternährungsprogramm (WFP) haben dies in detaillierten Studien nachgewiesen.

Laut den Internationalen Ärzten für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW) haben nach acht Jahren Krieg 11 Millionen Menschen in Syrien keinen Zugang zu einer adäquaten Gesundheitsversorgung. Sauberes Wasser ist Mangelware, der Zugang zu Nahrungsmitteln ist für mindestens 6,5 Millionen Syrerinnen und Syrer begrenzt. Hilfsorganisationen wie Oxfam fordern eindringlich ein Ende der Sanktionen und die Entpolitisierung der humanitären Hilfe. Tatsächlich spricht der Fakt, dass die EU und damit auch die Bundesregierung 2011 nicht nur Konten- und Einreisesperren sowie ein Waffenembargo verhängten, sondern auch die Entwicklungszusammenarbeit mit Syrien aussetzten, gegen ihre Behauptung, die Sanktionen hätten zum Ziel, Gewalt zu verhindern und Demokratie zu fördern. Auch die Lockerung des Ölembargos für Gebiete unter Kontrolle der Opposition im Frühjahr 2013 erscheint vielmehr als Unterstützungsprogramm für die „gemäßigte“ Opposition, welche die betroffenen Gebiete allerdings kurze Zeit später an den al-Qaida-Ableger Nusra-Front verlor, die fortan unbehelligt syrisches Öl verkaufte und damit ihren Terror finanzierte. Ganz ähnlich wurde jahrelang auch die humanitäre Hilfe in Syrien als politisches Mittel eingesetzt: in absolutem Widerspruch zum international anerkannten Neutralitätsgebot wurden nur diejenigen Bedürftigen versorgt, die in Gebieten unter Kontrolle der so genannten moderaten Opposition lebten.

Der UN-Sonderberichterstatter zu den negativen Auswirkungen einseitiger Zwangsmaßnahmen, Idriss Jazairy, konstatiert in einem ausführlichen Bericht aus dem Jahr 2017, die Sanktionen trügen in hohem Maße zum Leid der syrischen Zivilbevölkerung bei und gefährdeten die Wahrung ihrer Menschenrechte. Sowohl die weit verbreitete Armut als auch die Inflation und der Mangel an Nahrungsmitteln sind seiner Überzeugung nach durch die Sanktionen zumindest mitverursacht. Wie bereits zuvor die WHO betont Jazairy vor allem die extrem negativen Auswirkungen der Sanktionen auf das syrische Gesundheitssystem, von denen Vertreter der Bundesregierung und des Auswärtigen Amtes mir gegenüber behauptet haben, es lägen darüber keine Informationen vor. Jazairy hingegen legt dar, dass der medizinische Standard in Syrien vor dem Krieg einer der höchsten in der Region war. Über 90% der benötigten Medikamente wurden im Land selbst hergestellt und darüber hinaus auch exportiert. Die Sanktionen, die in hohem Maße auch die Einfuhr von für die Produktion von Medikamenten benötigten Rohmaterialien behindern, haben die Produktion aber deutlich sinken lassen – während der Bedarf an Medikamenten infolge des Krieges gestiegen ist. Hinzukommt, dass oft lebenswichtige Medikamente aufgrund der Sanktionen nicht mehr eingeführt werden können, so etwa spezielle Antibiotika oder Arzneimittel zur Behandlung von Krebs.

Wirtschaftssanktionen dürfen kein Mittel der Politik sein, denn sie verschärfen das Leiden der Zivilbevölkerung und sind völlig ungeeignet, Demokratie zu fördern. Menschenrechte und Sanktionen passen nicht zusammen – genauso wenig wie Rüstungsexporte oder die Entsendung und Ausrüstung terroristischer Banden und Menschenrechte. Die Syrerinnen und Syrer haben ein Recht auf Wiederaufbau ihres Landes und auf ein Leben in Frieden. Diejenigen, die an der Zerstörung des Landes beteiligt waren, haben eine besondere Verantwortung, dies zu realisieren. Aber die EU hat stattdessen in ihrer Syrien-Strategie vom April 2017 festgeschrieben, dass eine Beteiligung an den Kosten des Wiederaufbaus, die auf bis zu 1,2 Billionen US-Dollar geschätzt werden, genau wie die Aufhebung der Sanktionen nur in Frage käme, wenn es in Syrien einen „echten politischen Übergang“, also ein Ende der Regierung Assad, gebe. Artikel 31 der Wiener Erklärung der Weltkonferenz über Menschenrechte fordert die Staaten auf, „sich jeder einseitigen, nicht dem Völkerrecht und der Satzung der Vereinten Nationen entsprechenden Maßnahme zu enthalten, die Hindernisse für die Handelsbeziehungen unter den Staaten schafft und die volle Verwirklichung der in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und den internationalen Menschenrechtsinstrumenten verankerten Menschenrechte behindert […]. Die Weltkonferenz über die Menschenrechte stellt nachdrücklich fest, dass Nahrungsmittel nicht als Werkzeug zur Ausübung politischen Drucks verwendet werden dürfen.“ Es ist dringend an der Zeit, dass sich die Bundesregierung an ihre aus dieser Erklärung resultierende Verpflichtung erinnert.


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