Alte Spaltungen, neuer Bundeswehreinsatz

Abseits der öffentlichen Aufmerksamkeit bereiten die Regierungsfraktionen einen neuen Einsatz der Bundeswehr vor – in einem altbekannten Konfliktgebiet. Erneut sollen bewaffnete deutsche Streitkräfte nach Bosnien und Herzegowina geschickt werden. Die Regierung bezeichnet den Vorgang als „Wiederaufnahme“ eines älteren Einsatzes, dem Eufor-Althea-Mandat, an das sich heute kaum noch jemand erinnern kann. Auf diese Weise lässt sich der Militäreinsatz als Mandat des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen, mit einem Beschluss des Rates der Europäischen Union absichern, keine deutschen Alleingänge also.

Trotzdem ist dieser neue Auslandseinsatz problematisch. Die Militärs, bisher ist die Rede von bis zu 50 Soldatinnen und Soldaten aus Deutschland, werden die Aufgabe haben, die Einhaltung der Dayton-Friedensvereinbarung von 1995 zu unterstützen. Für die erste Phase bis 30. Juni 2023 liegen die Kosten für den Steuerzahler in Deutschland bei rund 5,3 Millionen Euro, keine große Sache, könnte man meinen. Unter Führung des Nato-Hauptquartiers in Sarajewo werden die Truppen allerdings ausdrücklich ermächtigt, militärische Gewalt anzuwenden.

Warum muss mehr als ein Vierteljahrhundert später ein Friedenvertrag von ausländischem Militär gesichert werden? Als die westlichen Staaten nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion daran gingen, das letzte sozialistische Land in Europa, Jugoslawien, zu beseitigen, setzten sie vor allem auf die bekannte Herrschaftstechnik der alten imperialen Mächte, divide et impera, teile und herrsche. Sie unterstützten nationalistische Tendenzen im Vielvölkerstaat Jugoslawien, um unterschiedliche Gruppen der Bevölkerung entlang kultureller und religiöser Grenzen gegeneinander auszuspielen.

Territoriale Integrität und staatliche Souveränität, die Grundlagen des modernen Völkerrechts, wurden seitens des Westens aus geopolitischen Machtinteressen mit den Füßen getreten und damit Präzedenzfälle geschaffen, die bis heute im post-sowjetischen Raum wirken. Anstelle der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien entstand eine Gruppe von Kleinstaaten, die bis heute kaum souverän handlungsfähig sind, in denen zudem die von außen verschärften kulturellen Differenzen fortbestehen. In Bosnien und Herzegowina leben weniger Menschen als in Berlin, gespalten in Bosniaken, also bosnisch-stämmige Muslime, Kroaten und Serben.

Gut die Hälfte der Bevölkerung versteht sich als Bosniaken, die größtenteils einen muslimischen Religionshintergrund haben, etwa 30 Prozent definieren sich als Serben, sie sind größtenteils christlich-orthodox, weitere 15 Prozent sind Kroaten und damit größtenteils Katholiken. Der Rest der Bevölkerung gehört entweder offiziell anerkannten Minderheiten wie Roma oder der jüdischen Gemeinde an, einige Menschen ordnen sich ethnisch gar nicht zu. Wichtig für den politischen Alltag ist natürlich, dass Serben und Kroaten in benachbarten Republiken jeweils die Mehrheit bilden, nämlich in Serbien und Kroatien.

Während die bosnischen Kroaten nach Zagreb, Berlin, Brüssel und Washington schauen, versuchen die Bosniaken den Spagat zwischen dem Westen und der Türkei. Die Serben hingegen schauen nach Belgrad und Moskau. Infolge des Dayton-Abkommens sind die politischen Verhältnisse innerhalb von Bosnien-Herzegowina auch regional gespalten: in der einen Hälfte des Landes, der Region Srpska, dominieren serbisch-stämmige Bosnier, in der anderen Hälfte Bosniaken, wobei Srpska über eigene staatliche Strukturen verfügt. Diese Institutionalisierung unterschiedlicher ethnischer und kultureller Interessen trägt dazu bei, dass sich im Land bis heute kein moderner Staat als Vertretung für die gesamte Bevölkerung unabhängig von Herkunft und Kultur entwickeln konnte. Stattdessen ist die gesamte Politik in den ehemals jugoslawischen Teilrepubliken von ethnischem und konfessionellem Proporz geprägt.

Genau an dieser Bruchlinie treten seit Monaten neue Konflikte auf. Vertreter der Republika Srpska orientieren sich international eher an Serbien, die Vertreter der bosnisch-kroatischen Föderation in Bosnien-Herzegowina an den transatlantischen Strukturen. Hier setzt die Bundesregierung mit ihrer Erklärung für den neuen Auslandseinsatz an: Ziel sei die Einbindung Bosnien und Herzegowinas in die EU und die euroatlantische Gemeinschaft. Die verstärkte militärische Präsenz kann also als Versuch gesehen werden, Bosniens Weg in die westliche Einflusszone abzusichern und die bosnischen Serben abzuschrecken. Die Stationierung von Soldaten in Bosnien-Herzegowina könnte die ohnehin angespannte Situation weiter verschärfen, indem sie etwa die weitere Aufrüstung auf Seiten der Republika Srpska legitimiert.

Gleichzeitig macht sich Deutschland mit einem solchen Schritt, sollte die Situation wieder eskalieren, natürlich erneut zum direkten Kriegsakteur auf dem Balkan. Richtig wäre hingegen, gemeinsame wirtschaftliche, kulturelle und letztlich auch politische Institutionen aller ehemaligen Republiken Jugoslawiens zu fördern, die nicht von kulturellem Sektierertum geprägt sind und eine gemeinsame Beitrittsperspektive für die Staaten der ehemaligen Jugoslawiens unterstützen, auch wenn dies bedeutet, dass diese Länder nicht auch der Nato beitreten. Dies können gemeinsame Infrastrukturprojekte sein, aber auch gemeinsame Bildungsprogramme und übergreifende Kultureinrichtungen, kurz, alles was dazu beiträgt, dass die gesamte Bevölkerung der Region Kooperation unabhängig von ethnischer und kultureller Herkunft als vorteilhaft und lohnenswert erlebt.

Militärische Stationierungen, Abschreckung und Sanktionen laufen wie immer Gefahr, negative Dynamiken, Konflikte und Spaltungen zu verstärken – sie sollten das allerletzte Mittel bleiben. Eine Renationalisierung lässt sich damit als allerletztes verhindern.

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