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Mediale Demontage der Linkspartei

Am 17. Juni kommentierte die Journalistin Ines Schwerdtner in der taz die gegenwärtigen innerparteilichen Konflikte und Flügelkämpfe der Partei Die Linke (hier geht’s zum Kommentar: Nah am Abgrund). Paul Oehlke von der Kölner Linken wirft in diesem Debattenbeitrag einen kritischen Blick auf Ines‘ Text und formuliert seine eigene Einschätzung der Konfliktlage.

Kaum war der neue Parteivorstand konstituiert, begann Sahra Wagenknecht ihre selbstgerechte Abrechnung mit der Linken insgesamt wie mit ihrer Partei im Besonderen; bevorzugt über eher (rechts-)liberale bürgerliche Medien. Und sie setzt hier ihren Feldzug unbeirrt auf dem erneuerten Ticket als gewählte Spitzenkandidatin der NRW-Linken zur Bundestagswahl fort. Die inneren Konflikte werden gerne von außen als Richtungslosigkeit kritisiert, selbst von Ines Schwerdtner, der Chefredakteurin des deutschen Ablegers des linken US-Magazins Jacobin, in ihrem taz-Kommentar Nah am Abgrund.

Kenntnisarme Zuschreibungen

Leider scheint Ines Schwerdtner die Linkspartei vorwiegend aus der feuilletonistischen Vogelperspektive zu kennen. All das, was sie fordert, wird ja gerade von der Linkspartei, teilweise sogar kampagnenartig, in Angriff genommen: gesundheits-, renten- und weitere sozialpolitische ebenso wie wohnungs-, verkehrs- und infrastrukturpolitische, darüber hinaus migrations-, klassen- und friedenspolitische Fragestellungen. Natürlich könnte überall noch mehr geschehen! Wo gilt das aber nicht?

Da Schwerdtner Die Linke in Aktion vor Ort aber nicht wahrzunehmen scheint, folgt sie dem, was dieser von Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine seit der letzten Bundestagswahl mantraartig – wider allen Realitätsgehalt – vorgeworfen wird. Bei der Gleichsetzung eines Ausschlussantrages einiger Genoss*innen mit Sahras medienpolitischen Aktivitäten gegen zentrale Positionen und Aktivitäten der Linken vermischt Schwerdtner Aktion und Reaktion und lässt dabei jegliche Maßverhältnisse vermissen.

Blockierte Wahrnehmungen

Wagenknechts medienpolitisch errungene und von interessierten rechtsliberalen Kräften geförderte Kampagnenhoheit lässt selbst kritische Geister nicht unberührt. Wenn Ines Schwerdtner die instrumentelle Funktion der Sammlungsbewegung „Aufstehen“ völlig zu Recht kritisiert, verkennt sie jedoch zugleich, dass gerade zahlreiche Mitglieder der Linkspartei sich zunehmend in konkreten Bewegungen engagieren, teilweise diese auch mittragen, ob es sich um sozial- und umweltpolitische, antirassistische und migrationsorientierte handelt – durchaus im Widerspruch zu Sahra Wagenknechts distanzierter Haltung, auch ihrer selbstgerechten Ablehnung unter dem Etikettenschwindel der (neo-)liberalen „Lifestyle-Linken“, ob es sich um die Protestaktionen von Fridays for Future, „Unteilbar“ , für „Seebrücke“ oder gegen den Braunkohlentagebau handelt.

Komplexe Ursachenbündel

Dass insbesondere die jüngeren und mittleren Jahrgänge der männlichen Arbeiter in den östlichen Bundesländern wie in Sachsen-Anhalt die AfD wählen, lässt sich nicht allein durch eine mangelhafte soziale Ausrichtung erklären. Dies hat vielmehr auf die Existenz, den Verfall und die Abwicklung der DDR bezogene historische, sozialstrukturelle wie sozialpsychologische Ursachen, die mittlerweile auch jenseits der „Stasi“-Debatten bearbeitet werden. Angesichts der finanzkapitalistischen Aushebelung sozialstaatlich geprägter Demokratien betrifft der Aufstieg rechter Bewegungen unter dem Dreiklang „national, sozial und ethnisch homogen“ zudem mehr oder weniger alle europäischen Länder und andere kapitalistische Regionen. Dies bezeugen insbesondere der Aufstieg Donald Trumps und seine nach wie vor ungebrochene Attraktion bei breiten Wählerschichten. Sie lassen sich vor dem Hintergrund sozialer Unsicherheit in einem Kokon aus permanenten Lügen, schlichtem Unwissen und hiervon genährten Ressentiments einspinnen.

Analytische Schwächen

Hierzulande zeigen die jüngsten Wählerwanderungen in Sachsen-Anhalt, dass zahlreiche Wähler der Linkspartei aus unterschiedlichen Gründen weniger der AfD, vor allem aber der CDU, dann den Grünen, auch der SPD ihre Stimmen gegeben haben – abgesehen von ihrer starken Wahlenthaltung. Es ist nur vordergründig den innerparteilichen hegemonialen Auseinandersetzungen geschuldet, hierfür primär eine mangelhafte Strategie der Linken verantwortlich zu machen, eine grassierende Verengung der Diskussion. Dies ist ein analytisches Armutszeugnis einer Partei, in der zumindest ihrem Anspruch nach die marxistischen Klassiker noch eine, wenn auch bescheidene, Rolle spielen. Selbst bessere, stärker fokussierte Aktivitäten, sogar vereint mit der im historischen Sinkflug abschmelzenden SPD, dürften viel zu geringe Wirkungsmächtigkeit haben, um einer formationsspezifischen Zeitenwende trotzen zu können, so geboten die anstehenden Widerstände nach wie vor sein mögen. Warum wandten sich wohl Marx und Engels nach ihren frühen Träumen im Kommunistischen Manifest vorwiegend der theoretischen Arbeit zu, ohne allerdings die organisatorischen Erfordernisse zu vernachlässigen?

Verbindende Klassenpolitik

Immer wieder mussten die sozialen und demokratischen Bewegungen wie nach der Revolutionsperiode um 1848, dann zwischen den beiden Weltkriegen oder mit dem inneren Zusammenbruch „realsozialistisch“ firmierender Länder um ihre pure Existenz in „Stellungskriegen“ (Antonio Gramsci) kämpfen. Ein kurzer Blick in die Geschichte der Arbeiterbewegung macht offenbar, dass solche Perioden mit Auf- und Abstiegen, heftigem Widerstreit, Grabenkämpfen, ja Spaltungen verbunden sind. Die Aufgabe besteht nun darin, sich in einer zunehmenden inneren Zerrissenheit gegen alle Angriffe von außen zu erhalten und wenigstens die Erkenntnis der existenziellen Notwendigkeit einer verbindenden Klassenpolitik zu bewahren. Es geht gerade nicht darum, die Verluste bei den traditionellen Wählerschichten gegenüber den Gewinnen in den urbanen Milieus aufzurechnen oder diese abschätzig als Lifestyle-Linke, gar als Globalisierungsgewinner, zu klassifizieren. Unbestreitbar gibt es diese zwar, aber kaum als Adressat oder gar gewichtige Gruppe innerhalb der Linken. Ein anhaltendes „Fake“ in soziologistisch aufgeheizten Debatten.

Veränderte Sozialstrukturen

Ines Schwerdtner vernachlässigt, was Sahra Wagenknecht nicht ausreichend bewertet: dass gerade unter dem transnationalen finanzkapitalistischen Regime sich mit den wissenschaftlich-technischen Produktivkräften seit den 1970er/80er Jahren die Sozial- und Klassenstruktur gravierend verändert. Entsprechend entstehen sozial-kulturell differenzierte Milieus und Bedürfniskonstellationen, die insbesondere von jüngeren Menschen artikuliert werden. Doch selbst wachsende Gruppen zunehmend qualifizierter, akademisierter Schichten erfahren prekäre Arbeits- und Lebensbedingungen: in ihrer ungesicherten Beschäftigungssituation, steigendem Arbeits- und Lebensstress, verstärkt mit mangelnden Gesundheits- und Sozialleistungen, Wohn- und Verkehrsproblemen und vor allem einer sich rapide verschärfenden sozial-ökologischen und friedenspolitischen Krisensituation. Aus dieser aktuellen, vielfältigen Erfahrungswelt speisen sich nicht nur hierzulande, sondern überall in Europa, selbst in den USA, aufbrechende Bewegungen. Hier sind gerade sich sozialistisch verstehende Kräfte gefragt, katalytisch zu wirken und konstruktiv mitzuarbeiten, wollen sie nicht in einer idealisierten Rückwärtswende marginalisiert werden.

Schaut euch zum Thema gerne auch unsere Debatte zwischen Sahra Wagenknecht und Kathrin Vogler an:

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2 Antworten

  1. Lieber Paul,
    zu Recht weist Du darauf hin, dass die Linkspartei sich in ihren Publikationen sehr wohl mit Mieten, Mindestlohn, mit Klima, Verkehr und Frieden beschäftigt, mit all den zentralen Fragen, und nicht mit Gendersternchen, wie Sahra Wagenknecht zu Unrecht unterstellt. Nur – das beschreibt leider die Realität in dieser Partei weniger als es Ines Schwerdtner in ihrem Kommentar tut. Gerade komme ich von einer Kreismitgliederversammlung, in der sich alle Redner an den innerparteilichen Querelen abgearbeitet haben und daran, wie schädlich sie dieselben finden.
    Ein anderes Beispiel: Als wir von der Rosa-Luxemburg Stiftung hier in Köln eine kritische Diskussion zur Identitätspolitik ansetzten hatten wie über 280 TeilnehmerInnen- mehr als 3000 haben sie hinterher im Netz aufgerufen. Eine Veranstaltung zum Mietendeckel, immerhin mit Andrej Holm, hatte 40 Teilnehmende.
    Und wenn man Deinen Kommentar zu Schwerdtner liest könnte man meinen, sie arbeite sich, gar wohlwollend, an Wagenknecht ab, dabei hat sie völlig zu Recht das viel wichtigere Thema, wie denn die Linke zu einem wirksameren Auftritt kommen könnte. So bestätigst Du implizit noch mal Schwerdtners These: Die Linke leidet daran, dass sie sich lieber lustvoll selbst zerfleischt. Zum Glück hat der letzte Parteitag da andere Signale gesendet. Auch dass Sahras Ehemann skurril auftritt ändert nichts daran, dass es ohne ihn die Linke gar nicht gäbe, auch das muss man beim Umgang mit ihm berücksichtigen, und das hat Susanne Henning-Wellsow zum Glück getan, und damit mehr für einen Erfolg der Linken als wenn man in das von S.W. hingehaltene Stöckchen der Lifestyle-linken hingebungsvoll hineinbeißt.

    1. Lieber Karl-Heinz,
      stimme Dir zu, dass innerparteiliche Querelen ein Grundübel in der Geschichte linker Parteien spielen –
      auch zu Henning-Wellsows „Beruhigungsfahrt“ nach Saarbrücken. Aber, aber: Bei dem „Stöckchen der Lifestyle-Linken“ gegen „selbstgerechte Linke“ handelt es sich zugleich um eine grundsätzliche Infragestellung der in den letzten Jahren herausgearbeiteten Theorie und Praxis der Linkspartei, insbesondere ihrer „verbindenden Klassenpolitik“ in einer sich strukturell differenzierenden und sozial polarisierenden Gesellschaft. Für die verstärkt aufbrechenden politischen Erfordernisse im gegenwärtigen Kapitalismus hat Bernd Riexinger in seinem zukunftsorientierten Einspruch gegenüber Sahra Wagenknechts rückwärts gewandter Streitschrift eine fundierte Antwort in der Juniausgabe der Zeitschrift Luxemburg gegeben, die Ines Schwerdtner leider versäumt hat: „Für eine plurale Gesellschaft mit sozialistischem Kompass“. Eine sorgfältige Lektüre lohnt sich. Ich gehe nach Rücksprache davon aus, dass mir mein Kritiker Heinemann in diesem Falle wohlwollend zustimmen dürfte.

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