Marokko gilt gemeinhin als eines der stabilsten Länder der arabischen Welt, der arabische Frühling streifte das Land nur und Massenproteste fanden nur kurze Zeit statt. Die Ruhe könnte aber bald der Geschichte sein, denn seit Freitag gehen im nordafrikanischen Königreich Hundertausende auf die Straße gegen Polizeigewalt und Korruption.
Auslöser der Proteste war die Ermordung des Fischhändlers Mouhcine Fikri in der Küstenstadt Al Hoceïma. Fikri wurde von einer Müllpressezerquetscht, als er und zwei Kollegen den gefangenen Fisch aus dem Müllwagen, in den die Polizei den Fisch geworfen hatte, retten wollte. Als die Müllpresse sich bewegt springen zwei raus, Fikri schafft es nicht und wird brutal zerquetscht. Marokkos Behörden sprachen von einem Unfall, doch Umstehende berichten davon, dass es kein Versehen war, sondern Absicht, denn ein Polizist soll den Fahrer des Lastwagens befohlen haben, die Müllpresse zu starten. Die Polizei leugnet dies, doch für viele Menschen in Marokko bestehen kaum Zweifel, dass es sich eher um Absicht denn um ein Zufall gehandelt hat, denn Polizeigewalt ist keine Rarität.
Die Nachricht des Todes verbreitete sich wie ein Lauffeuer und Hundertausende demonstrierten im ganzen Land gegen Polizeiwillkür und den staatlichen Machtapparat. Auf den Demos war nicht nur Kritik an der Polizei zu hören, sondern auch an der islamisch-konservativen Regierung und dem Königshaus, eine Seltenheit in der Monarchie. Rufe wie „Mouhcine wurde ermordet, die Regierung ist Schuld“ oder „Mouhcine ruhe in Frieden, wir kämpfen weiter“ waren von Tanger bis Rabat zu hören.
Arabischer Frühling 2.0?
So impulsiv die Massenproteste, so besorgt die marokkanische Regierung vor einem neuen arabischen Frühling, der dieses mal ihr Land nicht nur leicht berührt, sondern seinen Ausgangspunkt in Marokko findet. In Sozialen Medien finden sich Aufrufe zu einer Verschärfung der Massenproteste und einer Beendigung der staatlichen Willkür, von einem neuen Frühling kann noch nicht gesprochen werden, doch die soziale Basis ist da. Denn immernoch leben viele Marokkaner in Armut, immernoch dominieren reiche Eliten das Land und trotz aller Versprechen von mehr Demokratie und Gleichberechtigung dominiert das Königshaus und die ihm ergebenen Parteien das Land.