von Garry Knight from London, England (Jeremy Corbin) [CC BY 2.0], via Wikimedia Commons

Labours Programm – eine Chance für die Mehrheit!

Das Programm der Labour Party bietet eine Perspektive, um das Leben von Millionen Menschen zu verbessern. Was auch immer 8. Juni passiert, wir müssen kämpfen, um sie aufrechtzuerhalten.

Die Labour Party war nie eine sozialistische Partei, aber es waren stehts Sozialistinnen und Sozialisten Mitglieder. Und nun zum ersten Mal auch in leitender Funktion. Dies hatte sich bereits im Parteiprogramm 2017 herauskristallisiert. Mit dem Titel „Für die Vielen, nicht die Wenigen“ (Original: „For the Many, Not the Few“) stellt es den bisherigen Höhepunkt des Corbynismus dar und bietet dem britischen Volk erstmals seit einer Generation die Gelegenheit für die Politik zu stimmen, die eine große Verschiebung nach links bedeuten würde. Obwohl es moderat formuliert wurde, sind die Vorschläge des Programms tiefgreifend. Sie bauen auf der Verheißung zweier erfolgreicher Kandidaturen Jeremy Corbyns zum Vorsitzenden der Labour Party dar und bieten eine Vision, die die Ära der Austerität beendet und neues Terrain betritt. Eines das Wohlstand und Macht vom Kapital zu den Arbeitenden verlagert.

Und es deutet bisher darauf hin, dass es äußerst beliebt ist. In der Woche, in der es veröffentlicht wurde, hat sich das 128-seitige Programm viral verbreitet und wurde zehntausende Male geteilt. Es wurde besser aufgenommen als das konservative Counterpendant und katapultierte die Labour Party in einigen Umfragen bis 5%-Punkte an die bisherige Regierungspartei (den Konservativen) heran. Nach 18 schwierigen Monaten hat sich Corbyn’s Labour Party erstmals stabilisiert. Was schlägt das Programm nun vor? Und, wie kann die Vision Realität werden?

Das Versprechen

Das Programm bietet drei Sachen: die Sozialisierung der öffentlichen Daseinsvorsorge, die vorher privatisiert wurde, die Arbeitswelt dahingehend grundlegend zu verändern, dass der Wettbewerb zur Unterminierung der Arbeitsbedingungen gestoppt wird und den Aufbau einer sozialen Marktwirtschaft, in der die wesentlichen Bestandteile eines würdevollen Lebens- von Bildung und Wohnraum bis zu den sozialen Sicherungs- und Wohlfahrtssystemen- ausgebaut oder sogar frei zugänglich gemacht werden.

Die Labour Party fordert die Rückführung von Bahn-, Energie- und Wasserversorgung sowie des Postwesens in die öffentliche Hand. Sie möchte den Mindestlohn auf £ 10 pro Stunde anheben, Null-Stunden-Verträge und unbezahlte Praktika verbieten, ArbeitnehmerInnenrechte für Selbständige einräumen und Gewerkschaften das Recht geben den Arbeitsplatz von Beschäftigten zu betreten.

Unter einer Labour-Regierung würden eine Million Wohnungen gebaut werden, die Hälfte davon in öffentlicher Hand. Mietpreiskontrolle würden ebenfalls eingeführt. Die Studiengebühren an Universitäten würden abgeschafft werden, es gäbe eine kostenlose Kinderbetreuung für Kinder ab zwei Jahren, freie Schulmahlzeiten für jedeN GrundschülerIn und es würden £ 6,3 Milliarden zur Verbesserung der Schulen investiert. Die Gesundheitsversorgung würde in die öffentliche Hand zurückgeführt, ohne Beteiligung privater Investoren und die Krankenhäuser würden nicht mehr länger Parkgebühren verlangen. Ältere Menschen würden staatlich garantierte Rente bekommen in einem „triple lock“ system (Anm.: d.h. die staatliche Mindestrente würde jährlich entweder um 2,5%, die Inflationsrate oder die Lohnentwicklung steigen). Die Sozialkürzungen würden rückgängig gemacht.

Um diese Veränderungen zu erreichen, kehrt das Programm zur alten Tradition der Arbeiter und Sozialdemokratie zurück: die Umverteilung des Wohlstands. Die £ 52,5 Milliarden die notwendig sind, um die Vorschläge des Programms zu finanzieren, sollen aus der (Anm.: höheren) Besteuerung von Unternehmen und Einkommen über £ 80.000 pro Jahr kommen, sowie weiteren Vorschlägen, wie zum Beispiel einer Kampagne gegen Steuervermeidung und -hinterziehung, der „Robin-Hood-Steuer“ auf Finanzinstitutionen und der Erhebung von Privatschulgebühren. Die Mehrheit der britischen Bevölkerung würde durch Maßnahmen profitieren, die von den oberen 5% bezahlt werden. To the many, from the few (Anm.: In Anlehnung an den Wahlslogan).

Im Gegensatz zu den letzten Programmen ist „For the Many, Not for the Few“ eine entscheidende Linkswende der Labour Party im Kampf um die Regierung. In den letzten zwei Jahren seit der letzten Wahl (Anm.: Unterhauswahl) hat sich die politische Strategie der Partei gewandelt. Von einer, die die Folgen des Neoliberalismus abschwächt, hin zu einer, die tiefgreifende Reformen unternimmt, um ihn zu beenden. Wo Ed Millibands Labour Party noch plädierte Energiepreise zu deckeln, einer damals noch als marxistisch verschrien Maßnahme, plädiert Corbyns Labour Party direkt auf den Energiemärkten zu intervenieren, indem kommunale, demokratisch kontrollierte Energierunternehmen geschaffen werden und das Energienetz in die öffentliche Hand übergeht. Vor zwei Jahren haben Miliband und Balls versucht, nur die „unfairen“ Null-Stunden-Verträge abzuschaffen. Heute versuchen Corbyn und McDonell sie komplett zu untersagen. 2015 trat die Labour Party mit der Forderung an, die Studiengebühren zu reduzieren, wohingegen sie sich jetzt verpflichtet, sie gänzlich abzuschaffen. Wenn man den Brexit als vagen und widersprüchlichen Aufruf ansieht „(to) take back control“ (Anm.: das war der Slogan der Leave-Kampagne zum Brexit, Übersetzung: „die Oberhand zurückgewinnen“), ist das Labour Party-Programm ein Weg das Ziel tatsächlich zu erreichen. Es ist ein Programm, das eine Alternative darstellt, die vor Langem durch den Thatcherismus begraben wurde. Inspiriert wurde das Programm von den radikalsten Aspekten der Sozialdemokratie, der Dekommodifizierung, befreit die Grundlagen des alltäglichen Lebens von Marktzwängen und macht sie öffentlich und allgemein zugänglich.

Das Programm würde radikal die Lebensunterhaltskosten senken, die ArbeitnehmerInnen weniger unter Druck setzen, den Wünschen ihrer Vorgesetzten, für weniger Lohn oder länger zu arbeiten, zu entsprechen. Es würde die Idee der Selbstbestimmung wiederbeleben, für dessen Diskreditierung sich Konservative eingesetzt haben und die Entwicklung hin zu einer Volkswirtschaft stoppen, in der sämtliche öffentlichen Güter nach „pay-per-service“-System funktionieren. Es würde auch die Perspektive verändern, wie die Bevölkerung die Bereitstellung von wichtiger öffentlicher Güter sieht. Es stellt die Ansicht in Frage, dass es nur im Sinne eines Austausches stattfinden kann, indem man nur das erhält, was man auch tatsächlich leistet.

Seit 41 Jahren wird Großbritannien von Konservativen und New Labour nach dem Rezept regiert, dass der Markt alles regle und das die Marktorientierung der öffentlichen Daseinsvorsorge eine natürliche Entwicklung ist. Durch den Versuch, die Interessen des Marktes, dem Interesses der Bevölkerung unterzuordnen, hinterfragt Corbyns Labour Party die Logik, die der Partei 1976 vom Internationalen Währungsfonds (IWF) auferlegt wurde. Eine Logik, die den damaligen Premierminister James Callaghan auf einer im gleichen Jahr stattfindenden Konferenz veranlasst hat, zu verkünden, dass sozialdemokratische Losungen „nicht mehr länger existieren“.

Der Standard

Jeremy Corbyn überrascht seine Kritiker während dieser Wahlkampagne. Zwei Jahre permanenter Angriffe durch britische Medien und die Unterminierung durch die Parteirechte der Labour Party ließen ihn bei Umfragen straucheln. Der Abstand zu den Konservativen betrug 24 Punkte (Anm.: Prozentpunkte) als der Wahlkampf begann.

In den gleichen Umfragen lag Jeremy Corbyn in den Beliebtheitswerten ganze 52 Punkte (Anm.: Prozentpunkte) hinter Theresa May. Einen Tag vor den Terroranschlag von Manchester Anfang dieses Monats konnte er mit einem Abstand von 2 Punkten nahezu vollständig aufschließen. Er ist mittlerweile der beliebteste Politiker der Labour Party in Großbritannien, mit einem komfortablen Vorsprung auf die potentiellen Rivalen um den Vorsitz der Partei.

Der eindrucksvolle Aufschwung ist größtenteils dem Programm geschuldet, das sehr gut ankommt. Eine kürzlich durchgeführte Umfrage von ComRes hat ergeben, dass 52% der Wahlbevölkerung die Verstaatlichung des Britischen Schienennetzes begrüßt, wogegen es nur 22% ablehnen. Die gleiche Umfrage ergab, dass die Hälfte der Befragten die Forderung nach der Rückführung von Royal Mail in die öffentliche Hand begrüßt. Weitere 71% unterstützen die Abschaffung von Null-Stunden-Verträgen und 64% die Forderung der Labour Party nach der Anhebung der Einkommenssteuer für Einkommen über £80,000 pro Jahr. Die einzige Forderung der Labour Party, die keine Mehrheit unter den Befragten gemäß der Umfrage von ComRes fand, war die nach der Rückführung der Energieversorgung in die öffentliche Hand, wobei 49% der Befragten dem Vorschlag zustimmten und 24% dagegen waren. Doch es war nicht nur das Programm, dass beliebt war, sondern auch die Art und Weise, wie die Ideen nähergebracht wurden. Monatelang hat der Corbynismus versucht die radikale Politik von den Hallen Westminsters aus aufzubauen und dabei die Spielart der hohen Politik zu nutzen, die seine Gegner besser beherrschen. In Rahmen dieser Wahlkampagne hat sich Corbyns Team von diesen Fesseln befreit, indem es Kundgebungen im ganzen Land veranstaltet und sich die Bühne mit Wahlkämpfern aus unterschiedlichen sozialen Hintergründen teilt. Dabei wird sich mit sozialistischen Forderungen an die gewandt, die sie betreffen. Dieser dynamische Graswurzel-Wahlkampf hat geholfen, die öffentliche Wahrnehmung Corbyns positiv zu verändern und Tausende dazu bewegt, sich dem Projekt der sozialen Transformation anzuschließen.

Es hat auch gezeigt, dass es Theresa May, die einst als benötigte Kapitänin dargestellt wurde, die das Schiff Brexit sicher in den Hafen manövriert, nicht nur unmöglich ist, ihre politische Vision unter das Volk zu bringen, sondern sie auch unfähig ist, die Vision umzusetzen. Ihre Entscheidung, nicht mit Corbyn ein Duell einzugehen, beschädigt in der verbleibenden Zeit ihre ohnehin schon furchtbare Kampagne. Nichts von all dem wäre passiert, wenn der Kampf weiterhin in Westminster ausgetragen worden wäre, mit Skripten, die von der Mainstream-Presse geschrieben werden und einer schlechten Maskerade Corbyns. Es ist die Politik für die Massen, mit der Linke Wahlen gewinnen. Das gleiche gilt auch für das Wahlprogramm.

Kein Programm zu einer bedeutsamen Umverteilung von Wohlstand und Macht kann durch parlamentarische Arbeit allein umgesetzt werden. Auch wenn die Labour Party am 8. Juni die Parlamentswahlen gewinnt; sie wird auf eine harte Opposition treffen, die vom rechten Teil der Labour Party, den Medienimperien, der höheren staatlichen Verwaltungsebene und dem Kapital ausgeht. Die einzige Möglichkeit das Programm umzusetzen, ist es, außerparlamentarisch für das Programm zu organisieren, in Form von sozialen Bewegungen, die die Forderungen übernehmen, Gewerkschaften, die für die Forderungen am Arbeitsplatz kämpfen und eine runderneuerte Labour Party, die das Vehikel für die breite Bewegung auf lokaler sowie auf nationaler Eben darstellt.

Im wahrscheinlicheren Fall, dass die Labour Party eine Wahlniederlage einfährt, wird die Parteirechte die Niederlage mit der zu linken Führung der Partei erklären. Wie wir nun wissen, ist das nicht wahr. Die überwiegende Mehrheit des Landes unterstützt eine linke Politik. Es ist vielmehr die innerparteiliche Rechte und ihre Verbündeten in Politik, Wirtschaft und Medien, die eine Minderheit darstellen. Im nächsten Kampf geht es um die Verteidigung des Parteiprogramms gegenüber diesen Angriffen.

Erstmals seit Jahrzehnten können wir uns sicher sein, was eine linke Labour Party-Regierung vorhat. Es besteht eine realistische Möglichkeit über Jahre hinweg ein Projekt zu beginnen, dass das Leben von Millionen Menschen verbessert. Die Verpflichtung der Linken Großbritanniens liegt darin, die Vision aufrechtzuerhalten- was auch am 8. Juni passiert- für sie zu organisieren und zu gewinnen.

Ein Artikel von Max Shanly und Ronan Burtenshaw der im JacobinMag veröffentlicht und von Tom Bauermann ins Deutsche übersetzt wurde.

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3 Antworten

  1. „Unsere Revolution“ – Bernie Sanders Buch ist gerade erschienen. Ullstein-Verlag. Der Untertitel lautet: „Wir brauchen eine gerechte Gesellschaft“.

    Und: Wir brauchen Politiker wie Sanders und Corbyn, die erkannt haben:

    Notwendig ist ein Weg, der „sich auf Prinzipien wirtschaftlicher, sozialer, ethischer und ökologischer Gerechtigkeit gründet“. „Es ist ein Weg“, schreibt Sanders im Vorwort, „den wir fortsetzen und ein Kampf, den wir gewinnen müssen – für unsere Kinder und Enkelkinder.“

    Das gilt auch für Deutschland – die EU, den Westen und darüber hinaus.

    Es ist die hohe Zeit der Jugend, sich hinter den „alten Revolutionären“ dezentral zu versammeln, um eine starke globale Bewegung Richtung Nachhaltigkeit (siehe dazu die Jahreskonferenz des Nachhaltigkeitsrats mit Rede der BK und die sich stellende Frage nach ihrer Glaubwürdigkeit) unaufhaltsam zu initiieren und vernetzt in die Tat umzusetzen.

    Nur das ist der Ausgang aus der – neoliberalen – Unmündigkeit.

    Suchen und finden wir einen deutschen Sanders, der sagt, was er denkt und tut, was er sagt! Nur dadurch ersteht Glaubwürdigkeit und Legitimation.

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