Kataloniens Ruf nach Unabhängigkeit wird lauter

Die Regionalwahlen für das katalanische Parlament („La Generalitat“) am vergangenen Sonntag brachten klare Sieger hervor. Es waren die Separatisten, die nun mit dieser Legitimität Verhandlungen über eine mögliche Abspaltung ihres Landesteils von Spanien vorantreiben können.

Unter Berücksichtigung der Wahlbeteiligung von über 77% bietet sich das folgende Bild. Das überparteiliche Wahlbündnis aus linken und konservativen Kräften, „Junts pel Sí“ (JxSí, Gemeinsam für ein Ja), das vor allem aus der konservativen Regierungspartei CDC (Demokratische Konvergenz) von Ministerpräsident Artur Mas und der linksrepublikanischen ERC besteht, errang 62 der insgesamt 135 Sitze.

Zusammen mit der linken CUP kann die separatistische Allianz 72 Parlamentssitze für sich reklamieren, was der absoluten Mehrheit an Sitzen gleichkommt. Eine Mehrheit der Wählerstimmen bei 47,8% hat „Junts pel Sí“ nicht erreicht, was schon ein Wermutstropfen für die katalanischen Separatisten darstellt. Immerhin werfen ihnen nun nicht nur der konservative „PP“ aus Madrid vor, nicht die Mehrheit aller Katalanen darzustellen, da mehr als 50% nicht für „JxSí“ oder als Nichtwähler erst gar nicht abgestimmt haben.

Ministerpräsident Artur Mas sieht das natürlich anders. Innerhalb von 18 Monaten möchte er liefern und den KatalanInnen möglichst die Nachricht über einen neuen, eigenständigen Staat überbringen. Dass dies verfassungsrechtlich einer Herkulesaufgabe entspricht, wird ihm in der Stunde des Erfolges weniger interessieren. Nichts Geringeres als Artikel 2 der spanischen Verfassung müsste mit einer fundamentalen Änderung bedacht werden, sodass das Königreich Spanien in seiner heutigen Form kaum bestehen bleiben dürfte. Auch Basken und Galizier bekämen Wind in ihre separatistischen Segel. Das wäre das Ende der „Unteilbarkeit der Spanischen Nation“.

Die katalanische Frage ist seit jeher eine äußerst delikate, oftmals so ideologie-geladen, dass rationale Argumente beider Seiten von der jeweilig anderen Partei nicht mehr gehört werden. An der Frage, ob Katalonien unabhängig werden sollte, scheiden sich die Geister, die Katalanen sind gespalten, manche, weil sie sich bi-national fühlen, andere, weil sie schlichtweg die ökonomischen und politischen Konsequenzen fürchten.

Fakt ist, der Wunsch Kataloniens nach mehr Selbstständigkeit bis hin zur Unabhängigkeit ist jahrhundertealt. Das Schlüsselereignis, oder wie Historiker es nennen „DER Erinnerungsort“, das identitätsstiftende Moment in der katalanischen Seele ist das Doppeljahr 1713/14. Im Spanischen Erbfolgekrieg verlor man nach blutigen Kämpfen gegen die spanischen und französischen Truppen seine Eigenständigkeit. Der Kapitulation Barcelonas als Hauptstadt Kataloniens, einem Stück Land mit eigener Kultur, Mentalität, Sprache und Geschichte, wird heutzutage jedes Jahr am 11. September gedacht („L’Onze de Setembre“ oder „La Diada“).

Diese Wunde in der katalanischen Seele wurde durch Bürgerkrieg und Diktatur immer tiefer. Kultur und Sprache waren verboten, Oppositionelle wurden eingesperrt, verfolgt, gefoltert und getötet. Die gewaltsame Unterdrückung dessen, was Katalonien als Kulturnation seit dem frühen Mittelalter geprägt hat, wirkt bis heute nach und hat zum rauen Ton beigetragen.

Die Gründe, sich für eine Unabhängigkeit der vergleichsweise wohlhabenden Region auszusprechen, reichen von politisch, zu wirtschaftlich und ideologischen. Gerade junge Katalanen beklagen die politische Dimension innerhalb der katalanischen Frage – Autonomiestatus hin oder her. Warum sollen katalanische Bürger einen Zentralstaat unterstützen, so das Empfinden, der eine Monarchie ist, größtenteils die Interessen der Oberschicht und des Finanz- und Bankensystems vertritt? Der seit der Krise mehr aus Brüssel und Berlin gesteuert wird, dessen Regierungspartei die direkte Nachfolgerin Francos „Falangistas“ ist, seit Jahren mit Korruptionsskandalen kämpft, und keinerlei Gesprächsbereitschaft signalisiert? Nicht zuletzt deshalb sind sowohl die spanische Königsfamilie als auch Fußballrekordmeister Real Madrid so verhasst. Gerade Spaniens heißestes Fußballduell „El Clásico“ demonstriert bestens die tiefsitzende Dichotomie „spanisches Zentrum“ gegen „katalanische Peripherie“.

Separatistische Forderungen speisten sich aber auch aus den guten wirtschaftlichen Daten, die die Region lange vorzuweisen hatte. Industrie und Tourismus machten aus Katalonien Spaniens wirtschaftsstärkste Region, die noch immer etwa 20% des gesamten spanischen BIP erwirtschaftet. Ein möglicher Staat Katalonien scheint so ohne größere Probleme lebensfähig, da sind sich die meisten Ökonomen einig. Multinationale Unternehmen wie Mango, Seat oder Freixenet kommen aus Katalonien.

Durch seine exponierte wirtschaftliche Stellung in Spanien ist die Autonomieregion ein Nettozahler und muss so für ärmere Regionen mehr einzahlen, als es herausbekommt. Das stört viele. 16 Milliarden Euro jährlich muss Katalonien an Madrid überweisen, das sind exakt 8% des katalanischen BIP. Dass man durch solche Klagen als unsolidarisch, nationalistisch, und geizig dargestellt wird, kratzt doch am katalanischen Image im In- und Ausland.

Nur die Fragen nach Währung und Finanzierung der öffentlichen Ausgaben bei einem Austritt Kataloniens aus Spanien und demzufolge zuerst einmal auch der EU, können Mas und Co kaum glaubhaft beantworten. Zur Wahrheit gehört nämlich auch, dass Katalonien – vor allem durch die Banken- und Immobilienkrise, dann auch gesamtstaatliche Schuldenkrise – eine hohe Schuldenlast drückt: 70 Milliarden Euro werden es 2015 sein. Dank Kredite aus Madrid und der EZB war Barcelona in der Lage, die staatlichen Ausgaben zu decken. Dass die Schuldenproblematik grundsätzlich keine genuin katalanische Ursache hatte, macht es für die Abspaltungsbefürworter umso schwerer zu akzeptieren.

Die Lage scheint verfahren. Madrid sträubt sich eines Dialogs, verweist gebetsmühlenartig auf Artikel 2 der Verfassung. Kein Ministerpräsident möchte in den Geschichtsbüchern stehen als derjenige, der für die Spaltung Spaniens verantwortlich ist, denn der Dominoeffekt mit dem Baskenland oder Galizien wäre dann nicht mehr aufzuhalten. Statt sich auf Gespräche mit Barcelona einzulassen, verschärft Rajoy und seine rechtskonservative Partei die Situation, indem sie per Gesetz die Interventionsrechte Madrids stärken, im Falle eines katalanischen Alleingangs. Demokratisch gewählter Ministerpräsident und Regierung könnten dann per Dekret abgesetzt und angeklagt werden.

In diesem Konflikt stehen sich verfasste territoriale Integrität und demokratische Selbstbestimmung einer Nation, die sich rechtlich nicht als solche bezeichnen darf, gegenüber. Beobachter sprechen in Katalonien von einer „zivilen Revolution“, von „Erneuerung der Demokratie“ und einer „historischen Chance“ und „der Stimme deines Lebens“.

Wer wie den nun eingeschlagenen Weg in Richtung Unabhängigkeit fortführen wird, ist unklar. Zwar konnten Mas und Mitstreiter als Sieger hervorgehen, ein Referendum werden sie trotzdem nicht bekommen. Bereits im November 2014 sollte dieses stattfinden und wurde kurzerhand vom Verfassungsgericht verboten. Seit Mitte dieser Woche ermittelt nun auch die Staatsanwaltschaft Barcelona gegen Mas wegen „zivilen Ungehorsams“.

Mas ist unter den Wahlsiegern selbst umstritten, da auch er für die schlechter werdende wirtschaftliche Lage und Korruptionsvorwürfe in seiner Partei verantwortlich gemacht wird. Viele vermuten deshalb, dass er sich nun als Volksheld an die vorderste Front stellt, für ein eigenständiges Katalonien kämpft und dabei sogar die auf dem politischen Spektrum weit entfernte Republikanische Linke ins Boot holt. Die linke CUP-Partei verweigert die Wiederwahl Mas und erschwert so die Koalitionsverhandlungen erheblich.

Der Kampf um Katalonien wird weitergehen. Spanien braucht Katalonien, Katalonien profitierte auch von Spanien. Kulturell, politisch und wirtschaftlich sind die beiden Pole eng miteinander verbunden, die Bevölkerung wurde nicht nur einmal anhand dieser Konfliktlinie gespalten. Katalanen haben ihre natürliche Identität teuer bezahlen müssen, besonders im Bürgerkrieg und anschließend faschistischen Spanien ließen unzählige ihr Leben.

Es sind vor allem diese unheimlich tiefen Wunden und die aktuelle Lage, die so viele katalanische Bürger gegen Spanien aufbringen. Nicht alle führen einfach nationalistische Gründe an, wollen die Unabhängigkeit um jeden Preis und verfallen im „Klein-Klein“ des europäischen Nationalismus. Viele Argumente sind nachvollziehbar und unterstützenswert. Barcelona gilt als jung und innovativ, weltoffen, progressiver als das spanische Zentrum. Menschen gehen für ihre Sache auf die Straße, wollen ihre sozio-ökonomische Situation verbessert sehen, lehnen die strikten Gesetze Rajoys in Sachen Bürgerrechte (Demonstrationsrecht, Abtreibungsverbot, Austeritätspolitik) auf das Schärfste ab.

Katalonien ist und bleibt ein Teil Europas, auch wenn es sich jemals abspalten sollte. Es heißt bekanntlich „Europa der Völker“ und nicht „Europa der Staaten“. Europa kann einen Staat mehr durchaus verkraften. Mehr Demokratie, republikanisch-föderalistische Werte des 21. Jahrhunderts, trotz Don Juan Carlos couragierten Einsatzes für die junge spanische Demokratie 1981 eine Abkehr von der Erbmonarchie. Barcelona ist nun mal Hauptstadt Kataloniens, die Sprache der Katalanen ist katalanisch, man lebt für „Barça“ (FC Barcelona), das identitätsstiftende Produkt schlechthin, und hängt die „Senyera“ (die katalanische Flagge) aus dem Fenster. Wer den dialogbereiten und progressiven Katalanen dies alles abspricht, verkennt nicht nur die Realitäten, sondern versperrt auch jeglichen Ausweg aus diesem Konflikt.

Martin Dudenhöffer, Master „International Relations“ an der Universität Aalborg, Dänemark

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3 Antworten

  1. Insgesamt ein schöner, ausgewogener Artikel der die Situation ganz gut darstellt.
    Allerdings wird nicht so genau herausgestellt, was ein katalanischer Alleingang für den Rest Spaniens bedeuten würde (Bezieht sich auf den Vorwurf unsolidarisch zu sein).

    Zudem: „Nur die Fragen nach Währung und Finanzierung der öffentlichen Ausgaben bei einem Austritt Kataloniens aus Spanien und demzufolge zuerst einmal auch der EU, können Mas und Co kaum glaubhaft beantworten.“

    Es ist überhaupt noch nicht klar ob Katalonien im Falle einer Unabhängigkeit nicht mehr in der EU wäre! Das liegt ganz einfach daran, dass dieser Fall von der EU nicht vorgesehen ist. Oftmals wird auch argumentiert, dass Katalonien ja derzeit (im spanischen Staatenverbund) EU-Mitglied ist und auch die Vorgaben hierfür erfüllt. Das wiederum könnte bedeuten, dass ein unabhängiges Katalonien automatisch EU-Mitglied sein (bleiben) würde. Das ist also eine sehr umstrittene EU-rechtliche Frage und mitnichten geklärt, so wie der Autor es darstellt.

    1. Der Autor meldet sich zu Wort: Danke für das positive Feedback!

      Zunächst einmal muss ich noch einmal betonen, wie komplex die Frage um Kataloniens Unabhängigkeit ist, ob man sie nun politisch, ökonomisch, historisch oder rechtlich beleuchtet, man wird zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Aus Kapazitätsgründen musste ich natürlich auch auf den einen oder anderen erwähnenswerten Aspekt verzichten, u.a. wohl auch auf das, von dem Sie gesprochen haben.

      Eine Abspaltung Kataloniens würde für den Rest bedeuten, dass Artikel 2, CE, für andere comunidades autónomas genauso wenig gilt. Die territoriale Disintegration Spaniens würde ihren Lauf nehmen. Nehmen wir an, dass es nicht sofort einen baskischen Austritt zur Folge hätte (Basken wäre die nächsten in Reihe), dann bricht Madrid und dem Rest eben der wichtigste Wirtschaftsteil Spaniens weg, Abgaben aus Barcelona zum Zentralstaat würden wegfallen, was den Haushalt und damit auch die finanzielle Versorgung anderer comunidades betreffen würde. Der Geldfluss aus den comunidades und dem Zentrum beruht auf einem ähnlichen Modell wie dem Länderfinanzausgleich in Deutschland. Natürlich könnte man noch weiter auf die möglichen Folgen diesbezüglich eingehen, das müsste aber dann in einem weiteren Text erfolgen.

      Und zur rechtlichen Situation in Bezug auf einen Austritt CAT aus Spanien und der EU. Richtig ist, dass Staatsrechtler mit der Meinung hierbei auseinandergehen. 100% sicher wäre ein automatischer Rausschmiss CAT (Stand jetzt) nicht, dazu müssten sich aber Juristen äußern, aber sehr wahrscheinlich. Ich bin kein Staatsrechtler, das wär eine Frage für sich. Laut der EU-Kommission ist die Sicht auf die Dinge allerdings doch relativ klar: Der Sprecher von Kommissionspräsident Juncker äußerte sich auf den unten folgenden Seiten so, dass CAT ein „dritter“ Akteur würde, neben Spanien und der EU und müsste eine Neubewerbung vornehmen. Das sei die Meinung der Kommission seit 2004 (KP Prodi damals).

      Link dazu: http://www.catalannewsagency.com/politics/item/brussels-insists-that-an-independent-catalonia-would-remain-outside-the-eu
      Oder hier: http://www.thelocal.es/20150917/independence-for-catalonia-means-leaving-bloc-warns-eu

      Ich wollte auch nie den Eindruck einer völligen Rechtssicherheit verbreiten, das ist vielleicht nicht richtig rübergekommen. Ich bin mir der Komplexität und des nicht ganz klaren Status der Frage bewusst. Tendenz geht aber stark in Richtung automatischer drop out CAT.

      1. Vielen Dank für Ihre ausführliche Antwort, Herr Dudenhöffer!
        Das was Sie schreiben klingt so, als wäre die Folge für Gesamtspanien eine Art Kettenreaktion, wenn ich das richtig verstanden habe. Kein Wunder also, welche Angst der spanische Staat hier entwickelt.
        „Natürlich könnte man noch weiter auf die möglichen Folgen diesbezüglich eingehen, das müsste aber dann in einem weiteren Text erfolgen.“
        Darüber ließe sich doch bestimmt nachdenken? ;-)

        Wie Sie richtig sagen, ist das Thema der EU-Mitgliedschaft eines potenziellen Kataloniens eine Sache für Staatsrechtler. So einer bin ich ebenso wenig wie Sie. Ich vermute allerdings, dass diese Sache nicht ganz so „sicher“ ist, wie Sie denken. Sollte diese Frage irgendwann nach einer ernsthaften, sicheren Beantwortung verlangen, werden sich wahrscheinlich noch deutlich mehr „Experten“ mit diesem Komplex beschäftigen und es könnte zu ungeahnten Ergebnissen kommen (vereinfacht gesagt sowohl in Bezug auf Rausschmiss, als auch Verbleib). Was ich von der Ansicht der Kommission halten soll, da bin ich mir nicht sicher, denn die Aussagen könnten entweder von internen „Experten“ ausgearbeitet, oder aber auch rein politischer Natur sein.

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