Am 04. September ist der Aufruf zu #aufstehen online gegangen. Um es deutlich zu sagen: In dem Aufruf steht viel Richtiges drin, doch entscheidend ist, was der Aufruf nicht erwähnt, nämlich der konsequente Kampf gegen Rassismus und Rechtsruck. Ein Kommentar.
Die Bundespressekonferenz begann mit der richtigen Feststellung fast aller Teilnehmenden: In Deutschland existiert eine Repräsentationskrise der Demokratie. 40 Prozent der Menschen besitzen heute real weniger als vor 20 Jahren, Grüne und SPD haben sich nach rechts entwickelt und machen keine soziale Politik. So weit so gut. Doch was folgte auf die Allgemeinplätze? Wir finden recht wenig, leider.
Deutschlandweit sind in den vergangenen Wochen Menschen aufgestanden, um gegen rechte Hetze, rassistische Übergriffe und eine unmenschliche Flüchtlingspolitik zu demonstrieren. 65.000 waren es am 03. September in Chemnitz, die an #wirsindmehr teilnahmen, 16.000 beteiligten sich in Hamburg an der Seebrücke und in verschiedensten Städten gab es Demonstrationen gegen rechte Gewalt, wie zum Beispiel in Duisburg, wo 1.500 Menschen demonstrierten. Ja, auch Aufstehen geht in seinem Gründungsaufruf auf die Problematik ein: „Das Recht auf Asyl für Verfolgte gewährleisten, Waffenexporte in Spannungsgebiete stoppen und unfaire Handelspraktiken beenden, Kriegs- und Klimaflüchtlingen helfen, Armut, Hunger und Elendskrankheiten vor Ort bekämpfen und in den Heimatländern Perspektiven schaffen. Durch eine neue Weltwirtschaftsordnung die Lebenschancen aller Völker auf hohem Niveau und im Einklang mit den Ressourcen angleichen.”
Diese Punkte sind alle richtig, doch die zentralen Fragen unserer Zeit werden ausgeklammert, denn nur zu sagen, das Recht auf Asyl gelte für Verfolgte, lässt viel zu viele Fragen offen: Wer gilt als verfolgt? Was ist mit Klimaflüchtlingen aus den Sahara-Gebieten oder die, die vom Anstieg des Meeresspiegels betroffen sind? Was ist mit von Diskriminierung betroffenen Menschen aus sogenannten sicheren Herkunftsländern? So ist die Bundesregierung nicht der Meinung, dass diejenigen, die aus dem Maghreb oder dem Balkan flüchten, Verfolgte sind. Leider hat der Aufruf eine weitere Schwäche zum Thema Migration, denn er hat keinerlei positiven Bezugspunkt auf real existierende Flüchtlingsbewegungen wie die Seebrücke, die sich für ein Ende des Sterbens im Mittelmeer ausspricht.
Antirassismus ist die Achillesferse
Auch beim Kampf gegen Rassismus bleibt die Bewegung schwammig. So heißt es, jede Form von Rassismus, Antisemitismus und Fremdenhass wird abgelehnt. Doch Ablehnung reicht nicht, denn es bedarf aktiven Widerstands gegen rassistischen Hass, Hetze, Demonstrationen und Gewalt. Es bedarf einer gemeinsamen Bewegung mit den Betroffenen gegen Rassismus. Bezeichnend in diesem Kontext, dass vom Islam nur die Rede ist, wenn es um islamistische Terrorbanden geht, der antimuslimische Rassismus, als mehrheitsfähige Form des Rassismus, aber weder thematisiert noch als expliziter Gegner ausgewiesen wird. „Der Islam” wird lediglich in einem der #Aufstehen Videos im Zusammenhang mit Sicherheit erwähnt, sowie im Zusammenhang mit islamistischem Terror.
Auf der Pressekonferenz selbst distanzierten sich alle selbstverständlich von Rechts: Von Ludger Vollmer über Sahra Wagenknecht, Bernd Stegemann und Simone Lange bis zum Kommunikationswissenschaftler Hans Albers. Und die meisten riefen tatsächlich zur Demonstration nach Chemnitz auf. Trotzdem gab es den Einschub, dass nicht alle Menschen, die nun der AfD blindlings folgten, Rechte seien. Das mag stimmen, doch ignoriert diese Aussage die Sinus- und Mittestudien, die es seit Jahren gibt: Iin diesem Land existiert ein rassistischer Bodensatz an Menschen. Und diese wählen die AfD oder andere rechte Parteien nicht, obwohl sie rassistisch sind, sondern weil sie Nationalismus und Rassismus befeuern. Der Diskurs hat sich nach rechts verschoben und wer das ignoriert, begeht einen schwerwiegenden politischen Fehler. Das beste Beispiel lieferte eine Frage des Aufwachen-Podcast und ehemaligen ARD-Journalisten Hans Jessen. Auf die Frage, wer denn am Montag in Chemnitz gewesen sei, gab es verhaltene Antworten mit Ausnahme von Simone Lange, die örtliche Initiativen gegen die AfD betonte.
Widersprüche der Unterzeichnenden
Während Simone Lange in den vergangenen Wochen mit ihrer Beteiligung an der Seebrücke auf sich aufmerksam machte und sich konsequent gegen jede Form von Rassismus positionierte, fielen andere Unterstützer in dieser Frage eher negativ auf.
Prof. Dr. Peter Brandt, Sohn von Willy Brandt, publiziert bereits seit Jahrzehnten positiv über sogenannten linken Patriotismus. Dies gipfelte 2010 in einem Interview mit der rechtsaußen Wochenzeitung „Junge Freiheit”, in der er für linken Patriotismus warb. Bernd Stegemann, der allgemeinhin als Kopf hinter Aufstehen gilt, verteidigt auch gerne mal die rassistischen Ausfälle des Grünen Oberbürgermeisters Boris Palmer und bezeichnet das benennen von Rassismus, in diesem Fall, als „moralisches Getöse.” Vollmer polemisierte auf der Bundespressekonferenz gegen Grüne, die ihren „sozialen und pazifistischen Kern vergessen” hätten, stimmt. Aber war er nicht 1999 gemeinsam mit Joschka Fischer selber daran beteiligt, Deutschland in den Kosovokrieg zu führen? Der Blaupause für alle Folgenden NATO Kriege? Oskar Lafontaine behauptete erst vor kurzem, seine Asylrechtsverschärfungen hätten in den 90ern den Aufstieg der Republikaner gestoppt.
Was ist das Ziel von Aufstehen?
Glaubt man den Gründerinnen und Gründern der selbsternannten Sammelbewegung, dann wollen sie „Druck auf die Parteien ausüben, damit diese sich verändern.” Ihr Ziel sei eine linke Mehrheit im Bundestag. Es gäbe eine „natürliche Nähe von SPD, Grüne und LINKE”, so Simone Lange. Diese müsse man verbinden. Doch wo diese Nähe sein soll, erschließt sich uns nicht. In den vergangenen Jahren gehörte Sahra Wagenknecht zu den erbittersten Gegnerinnen eines Rot-Rot-Grünen Regierungsbündnisses. Wie soll so ein Bündnis aussehen? Während die Linke gegen jeden Auslandseinsatz ist, für „drastische” Erhöhungen der Sozialleistungen und eine klare Erhöhung des Mindestlohns, verhandelten Grüne mit CDU und FPD über ein Regierungsbündnis und die SPD zog in eine neue Große Koalition ein. Vielleicht fehlt uns an dieser Stelle auch einfach nur die Phantasie.
Was bedeutet Aufstehen für die Menschen, die sich engagieren wollen? Auf der Website des Projekts ist ein Umfragetool namens Polis freigeschaltet worden. Dieses soll die „Positionen” des Sammelprojekts weiter verfeinern. Bereits jetzt finden sich dort Aussagen von Unterstützenden, die eher dem politischen Mainstream zu verorten sind, als auf der linken Seite.
Erst auf Nachfragen von Journalisten erklärten die PK-TeilnehmerInnen, dass sie vorhaben, Orts- bzw. Basisgruppen aufzubauen. Mit welchen Ressourcen bleibt jedoch unklar. Des Weiteren soll es online Vernetzungsmöglichkeiten geben.
Spaltungs- oder Aufbauprojekt?
Das, was die meisten Mitglieder der Linken umtreibt, ist die Frage des Spaltungspotentials, das Aufstehen innewohnt. Die Linke ist das Ergebnis jahrelanger Anstrengungen, die damaligen Bewegungen gegen Krieg und Hartz4 mit unzufriedenen GewerkschafterInnen und der PDS zusammenzuführen. Sie ist ein Produkt zweier Wege und zweier Welten. In Zeiten des Rechtsrucks in Deutschland und Europa ist auch eine 10-Prozent-Partei links der SPD eine Burg, die es zu halten gilt und die mit ihren Strukturen widerständige Projekte unterstützen kann und muss.
Wieder kamen erst auf kluge Nachfragen von Journalisten spannende Details ans Licht. In welchem Rahmen denkt das Projekt, wenn es die Parteienlandschaft sowie die Parteien verändern möchte? Bisher gab es Spekulationen über die Europawahlen, über andere Zeitpunkte und mehr. Jetzt ist klar: der Rahmen über den man redet ist die nächste Bundestagswahl 2021. Und was genau will man erreichen? „Wenn der Druck groß genug ist, werden die Parteien, auch im Eigeninteresse, ihre Listen für unsere Ideen und Mitstreiter öffnen”, erklärte Sahra in ihrem Interview mit dem Spiegel. Auch Sevim Dagdelen will eine „linke” Mehrheit im Parlament. Gegenüber der Südwestpresse erklärte die Vizevorsitzende der Linksfraktion vor einem Monat, man wolle „unsere Parteien umkrempeln.”
Auf der Pressekonferenz kam dann die alles entscheidende Frage: Was passiert, wenn man es nicht schafft die „Parteien umzukrempeln”? Sahra Wagenknecht antwortete zuerst und erklärte, diese Frage sei „müßig und stelle sich nicht”, da das Ziel der Protagonisten erstmal das Sammeln wäre und die Aktivität in den jeweiligen eigenen Organisationen.
Hans Albers ging weiter. Er erklärte am Ende seines Statements, dass man nochmal darüber nachdenken müsse, ob ein Wahlantritt richtig wäre, wenn man die bestehende Parteienlandschaft nicht nachhaltig verändern könne. Was jedoch fehlte, war ein klares Nein zu einem möglichen Wahlantritt und einer Parteigründung des prominentesten LINKE-Mitglieds Sahra Wagenknecht. Mehr wäre nicht nötig gewesen, um Tausenden Mitgliedern der Partei die Angst zu nehmen.
Sammeln: richtige Idee, falscher Ansatz
Wenn Sahra auf der Pressekonferenz sagt, „wenn Parteien, die sich links auf die Fahne schreiben, keine Mehrheit haben, dann müssen sie was falsch gemacht haben”, hat sie nicht unrecht. Doch ihre Antwort auf das Problem ist unserer Meinung nach die falsche. Wir meinen, die Linke muss ihre Ansätze der Kampagnenorientierung, des Organizing unter Nachbarschaftsarbeit ausbauen, verstetigen und zum zentralen Werkzeug ihrer Mitglieder machen. Sie muss die Selbstemanzipation, die Selbstermächtigung der Menschen stärken oder wie es Marx bereits vor 150 Jahren schrieb: „Die Befreiung der Arbeiterklasse, kann nur das Werk der Arbeiter selbst sein.”
Leute unter einem gemeinsamen Ziel zu sammeln, um Klassenmacht aufzubauen und so einen Pol der Solidarität zu schaffen, ist ein richtiger Ansatz. Ein dritter Pol in Deutschland wäre bitter nötig, ein Pol, der die Solidarität der real existierenden Kämpfe wie Seebrücke, #wirsindmehr, Pflegestreiks – und Bündnisse sowie die Tausenden sozialen und antirassistischen Initiativen aufgreift und bündelt. Eine Sammlung die den Kampf von MigrantInnen, LGBTQI*s, Geflüchteten, FemministInnen, ÖkoaktivistInnen und Anderen nicht gegeneinander ausspielt, sondern im Kampf für eine soziale Welt mitdenkt. Man muss den nun 100.000 „Aufgestandenen” eine Alternative anbieten, die über die Stellvertretung hinausgeht.
Eine Antwort
eure Analyse ist richtig. Sowohl die Labour Party als auch Bernie Sanders mit seiner Kampagne haben auf Konsequenten Antirassimus gesetzt und waren damit erfolgreich und glaubwürdig.Nur das organisieren und sammeln von unten wird erfolgreich sein.