Israelische Sicherheitskräfte haben am vergangenen Freitag im illegal besetzten Westjordanland einen 13-jährigen Jungen erschossen, wie die palästinensische Nachrichtenagentur Wafa unter Berufung auf das palästinensische Gesundheitsministerium berichtete. Bei Protesten im Dorf Deir al-Hatab nahe Nablus im Norden Palästinas wurde der 13-jährige Mohammad Daadas in den Bauch geschossen und verstarb später im nahegelegenen Krankenhaus in Nablus.
Die israelische Militärführung begründete den Einsatz massiver Gewalt damit, demonstrierende Personen hätten Steine geworfen und sprach von „Aufständen“, die aufgelöst werden mussten. Nach Angaben des palästinensischen Roten Halbmonds feuerte die israelische Armee mit scharfer Munition, Tränengas und Gummigeschossen auf die Demonstrierenden, die sich nach dem Freitagsgebet versammelten; 71 weitere Personen wurden dabei verletzt, mindestens fünf Personen erlitten Schusswunden. Auch wurden die umliegenden Straßen abgeriegelt und Krankenwagen so der Zugang zu den Protesten versperrt.
Der getötete Mohammad Daadas lebte laut Wafa im Askar Refugee Camp vor Nablus und besuchte in Nablus eine weiterführende Schule. Askar ist eines der größten Geflüchtetenlager im Westjordanland, in denen hauptsächlich die Nachfahren der in der Nakba Vertriebenen leben – der großen „Katastrophe“, der ethnischen Säuberung, in der im Zuge der israelischen Staatsgründung im Jahr 1948 über 700.000 Palästinenser*innen aus den Gebieten des heutigen Israels von Militärs und terroristischen Milizen vertrieben wurden.
Askar sowie das Nablus-Gouvernement im weiteren Sinne waren und sind Zentren des palästinensischen Widerstands gegen die israelische Besatzung im Allgemeinen und den voranschreitenden Siedlungsbau im Speziellen. Nach der Errichtung des illegalen israelischen Außenpostens Evyatar auf besetztem palästinensischem Land kommt es im südöstlich von Nablus gelegenen Beita seit Monaten zu wöchentlichen Protesten, die vom israelischen Militär blutig niedergeschlagen werden. Mindestens sieben Palästinenser wurden dabei seit Errichtung des Außenpostens von Israelis erschossen, viele weitere verletzt.
Auch in vielen anderen Orten im Westjordanland wird wöchentlich gegen den Siedlungsbau protestiert. Der Tod des 13-jährigen Mohammad stellt die jüngste Eskalation der Gewalt israelischer Sicherheitskräfte und radikaler Siedler gegen Palästinenser*innen in den besetzten Gebieten dar, wie ein Blick auf einige Meldungen nur der letzten Tage offenbart.
Am Donnerstag zerstörten israelische Soldaten eine Moschee in Duma südlich von Nablus. In den Morgenstunden fuhren sie mit einem Bulldozer in das Dorf und machten das Gotteshaus buchstäblich dem Erdboden gleich. Am Freitagabend griffen israelische Soldaten eine Solidaritätskundgebung in Hebron mit Gummigeschossen und Tränengasgranaten an und verletzten dabei Dutzende Personen. Ebenfalls am Freitag fällten radikale Siedler in Burin 45 Olivenbäume palästinensischer Farmer*innen. Auch wurden seit der jüngst begonnenen Erntezeit mehrere Brandanschläge auf Olivenhaine dokumentiert. Anfang Oktober zerstörten radikale Siedler rund 1.000 Olivenbäume in Sebastian bei Nablus und in Yatta bei Hebron. Oliven stellen für unzählige palästinensische Familien traditionell die gesamte Lebensgrundlage dar.
Am Samstag attackierten mehrere nationalistische Siedler das Haus einer palästinensischen Familie in Burin südwestlich von Nablus. Eine Viertelstunde lang bewarfen sie vom Hügel aus das Haus mit Steinen und verletzten dabei zwei Personen. Israelisches Militär stand daneben und tat nichts, um die Angriffe zu stoppen.
Ebenfalls am Samstag besetzten rechtsradikale Siedler einen Kinderspielplatz in Susya nahe Hebron, dessen Abriss sie fordern. Auch hier griffen Sicherheitskräfte lange Zeit nicht ein, um die absurde Situation zu stoppen.
Am Sonntag wurden zwei Frauen und ein Mann in Yatta südlich von Hebron verletzt – sie wurden von 20 Siedlern in ihrem Haus mit Stöcken verprügelt. Und heute Morgen erst haben mehrere radikale Siedler – wiederum unter dem Schutz israelischer Soldaten – bei Silat ad-Dhar die Überlandstraße zwischen Nablus und Jenin blockiert und Autos von Palästinenser*innen mit Steinen angegriffen.
Allein im ersten Halbjahr 2021 hat sich die Gewalt rechtsextremer Siedler gegen Palästinenser*innen im Westjordanland im Vergleich zu den beiden Vorjahren verdoppelt. Und das israelische Militär schaut weg, ermutigt die Gewalt oder wird selbst aktiv zum Täter.
Die völkerrechtswidrigen israelischen Siedlungen im besetzten Palästina wachsen jeden Tag und sind das größte Hindernis auf dem Weg zu einem gerechten Frieden in Nahost. Sie durchschneiden das Westjordanland und ließen „Palästina“ zu einer Vielzahl verstreuter Inseln in einem israelischen Meer zusammenschrumpfen. Mittlerweile leben rund 700.000 Israelis in den von der internationalen Gemeinschaft und vom Völkerrecht als illegal angesehenen Siedlungen.
Ende Oktober genehmigte Israels rechtsextremer Ministerpräsident Naftali Bennett den Bau von 3.130 neuen illegalen Häusern in 25 Siedlungen im Westjordanland und beweist damit einmal mehr, dass die israelische Führung kein Interesse an einem Frieden hat.
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