Industrie 4.0 ist ein Begriff mit dem Wirtschaft und Regierung versuchen eine digitale Agenda durchzusetzen bei der die Beschäftigten verlieren. Rene Arnsburg hat sich in seinem neuen Buch mit linken Antworten darauf auseinandergesetzt, hier veröffentlicht er exklusiv sein etwas gekürztes Kapitel „Gegenwehr statt Co-Management“
Amazon und Zalando sind nur zwei von vielen Startups, die mittlerweile tausende Beschäftigte haben und aktives Union-Busting betreiben. Die Durchsetzung der marktradikalen Grundsätze des Neoliberalismus hat eine neue Generation von Managern hervorgebracht, die sich am Silicon Valley orientieren, wo gewerkschaftliche Organisierung als Übel gilt. Der althergebrachte sozialpartnerschaftliche Ansatz, bei dem Gewerkschaften und Betriebsräte scheinbar auf Augenhöhe mit den Kapitalisten über Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen verhandeln, ist aufgekündigt. Was dann folgte war Klassenkampf von oben, während die allgemeine gewerkschaftliche Strategie weiterhin auf ein partnerschaftliches Verhältnis mit den Chefs ausgelegt war. Daher ist es naheliegend, dass selbst weniger kämpferische Teile der Gewerkschaftsführungen solch eine Entwicklung ablehnen, da es sie ihrer traditionellen Stellung und damit möglicherweise auch Legitimation beraubt. Gleichzeitig wird es schwieriger, Beschäftigte in einem Klima der Vereinzelung und Konkurrenz zu organisieren. Wenn jeder Einzelne nur hart genug arbeiten muss, um selbst ganz groß zu werden, warum sich dann kollektiv organisieren, wo das einem doch potentiell Steine in den Weg legt? Wobei selbst hier zwischen Bereichen zu unterscheiden ist, wo Aufstiegschancen zumindest scheinbar vorhanden sind, wie im Marketing oder dem Kundenservice und Bereichen, wo der “Aufstieg” schon in der Entfristung des 6-Monatigen Arbeitsverhältnisses im Zentrallager besteht.
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Die IG-Metall selbst hat sich das Thema Industrie 4.0 zu eigen gemacht und publiziert in regelmäßigen Abständen Artikel dazu und Vertretern der Bundesebene treten als Experten auf. Es gab gemeinsame Auftritte mit dem ehemaligen Wirtschaftsminister Gabriel und dem Vorsitzenden des Bundesverbandes der deutschen Industrie (BDI), Ulrich Grillo. Ganz in der Logik des internationalen Wettbewerbs, “[kann] kein anderes Land der Welt […] von der Digitalisierung der Industrie mehr profitieren als Deutschland. Doch das bekommen wir nicht geschenkt. Politik, Wirtschaftsverbände und Gewerkschaften müssen für den Erfolg gemeinsam an einem Strang ziehen.”1 Was das konkret heißt, wird in der Praxis schnell klar:”Der Bundesminister für Wirtschaft und Energie, die Vorsitzenden und Präsidenten von BDI und IG Metall sowie weitere Partner werden Anfang 2015 die High-Level Group des Bündnisses konstituieren.”2 Es ist durchaus vorstellbar, dass in einem solchen Bündnis Schritte, die gegen die Interessen der Industrie und der herrschenden Politik gerichtet sind auf Unmut stoßen werden. Doch solche Bündnisse haben Tradition, “denn in Deutschland konnten wir gerade wegen einer starken Industrie und einer starken Sozialpartnerschaft schnell die Krise von 2009 überwinden. Wir müssen engagiert für eine breite Akzeptanz und Begeisterung in der Bevölkerung für eine vernetzte Industriewelt und für eine Modernisierung unserer Infrastruktur werben. Das ist das Ziel, das wir mit dem „Bündnis Zukunft der Industrie“ verfolgen. Das Miteinander von Politik, Gewerkschaften, Arbeitgebern und Industrieverbänden hat unser Land in der Vergangenheit stark gemacht.”3Teil dieses Bündnisses ist gleichzeitig die von allen Beteiligten unterstützte Stiftung Zukunft der Industrie, die wissenschaftliche Begleitung und PR-Abteilung zugleich sein soll.4 […] […]
Gibt es unterschiedliche Interessen im Prozess der technischen Neuerung? […] Marx schreibt im ersten Band des Kapitals darüber: “Der Kampf zwischen Kapitalist und Lohnarbeiter beginnt mit dem Kapitalverhältnis selbst. Er tobt fort während der ganzen Manufakturperiode. Aber erst seit der Einführung der Maschinerie bekämpft der Arbeiter das Arbeitsmittel selbst, die materielle Existenzweise des Kapitals. Er revoltiert gegen diese bestimmte Form des Produktionsmittels als die materielle Grundlage der kapitalistischen Produktionsweise.” Das heißt die Maschine tritt den Arbeiterinnen und Arbeitern als Konkurrenz gegenüber und nicht mehr die Aufsehern oder Kapitalisten selbst, auch wenn der Widerspruch der Interessen nicht aufgehoben ist. Das postulieren einer Betriebsgemeinschaft ist demnach genauso schädlich wie die Volksgemeinschaft. In beidem wird unterstellt, dass es ein Gesamtinteresse des Betriebes oder der Nation gäbe. Letztendlich läuft es jedoch auf das Interesse der jeweils Herrschenden hinaus.
Ist der Ausbau betrieblicher Demokratie eine wünschenswerte Lösung für diesen Interessengegensatz?
[…] Für alle, die schon einmal gezwungen waren, für ihren Lebensunterhalt eine Lohnarbeit anzunehmen, dürfte es auf der Hand liegen, dass das wirtschaftliche Regime im Kapitalismus nicht das Geringste mit Demokratie zu tun hat. Gesetzlichen Einschränkungen und Betriebsräten zum Trotz, liegen Entscheidungen über Art und Weise des Wirtschaftens und die Beschäftigung in der Hand der Privateigentümern. […]
Nichts ist autoritärer als zu entscheiden, welche Person eingestellt und welche gekündigt wird und damit ihre Lebensgrundlage verliert. Entgegen aller Behauptungen ist die moderne Formel der “flachen Hierarchien” eine Verschärfung der betrieblichen Diktatur. Wo früher Beschwerden und betriebliche Organisation der Arbeitenden bei der Teamleitung oder dem Betriebsrat lagen, sieht es heute wie folgt aus: Den Betriebsrat gibt es nicht mehr und wer sich trotz des Risikos der Kündigung noch beschwert, darf die Lösung für die Unternehmensführung gleich mit präsentieren oder bekommt Nonsenssätze wie “Think outside the box” zu hören, die nichts anderes bedeuten als “Es ist uns scheißegal, wie du es machst, solange du lieferst.” Zwischen Unternehmensentscheidungen und deren Ausführung vergrößerte sich der Graben, statt schmaler zu werden. Da sind das moderne sich Duzen und gemeinsame Ausflüge zum Team-Escape reine Propaganda, um darüber hinweg zu täuschen. Andererseits würde selbst ein möglichst großer Ausbau der betrieblichen Mitbestimmung nichts an der Grundlage ändern, dass die Firma weiterhin in Privatbesitz ist und von den Kapitalbesitzenden bestimmt wird. Letztendlich läuft die Frage nicht darauf hinaus, an welchen Punkten die Beschäftigten mit den Kapitalisten über Entscheidungen diskutieren und Kompromisse finden, sondern wie groß ihre Kontrolle und Verfügung über die Produktion selbst ist. Um dementsprechend den Kurs des Unternehmens oder den Besitz mitzubestimmen, ist ein Ausbau der Macht im Betrieb notwendig und in letzter Konsequenz kollidiert das mit den Interessen des Unternehmertums. In Zeiten relativer Ruhe und gleichmäßiger wirtschaftlicher Entwicklung erweckt ein Ausbau der betrieblichen Mitbestimmung einen erfolgversprechenden Eindruck. Doch jedes Zugeständnis ist von Unternehmergnaden oder erfolgreichem Kampf abhängig und steht bei einer unruhigeren Entwicklung oder gar wirtschaftlichem Abschwung unter Beschuss, wie momentan der Acht-Stunden-Tag, die 100-prozentige Krankschreibung5 und der Kündigungsschutz6 und neuerdings wieder die staatliche Rente.
Statt zu einer Vergrößerung der Machtstellung der Arbeiterklasse in der Produktion beigetragen zu haben, hat die Einbindung von Vertreterinnen und Vertretern der Betriebsräte und Gewerkschaften im Gegenteil viel eher eine Schicht von bessergestellten Arbeiterinnen und Arbeitern geschaffen, deren Hauptberuf die Verhandlung mit den Vertretern der Gegenseite sind. Dafür werden sie zum Teil fürstlich und hochprivilegiert entlohnt und ihre eigene soziale Stellung hängt nicht zuletzt von ihren Entscheidungen ab, die für den Selbsterhalt an sich schon ein Kompromiss sein müssen – Folgen des Eindringens der Arbeitervertretern in die Organe der kapitalistischen Wirtschaft. Das betrifft freilich nicht alle Betriebsräte und Gewerkschaftern. Vor allem jene nicht, die nicht mit der Sozialpartnerschaft groß geworden sind, sondern unter den Schlägen der Bosse versuchen, erst heimlich und dann mit viel Kampfeswillen öffentlich Betriebsgruppen aufzubauen und Betriebsratswahlen durchzuführen.
Bedeutet das dann im Umkehrschluss, dass Gewerkschaften gar nicht mehr für die alltäglichen Belange der Beschäftigten eintreten sollten, da jede Errungenschaft immer wieder unter Beschuss kommt? Müssen dann Gewerkschaften, wenn sie es ernst meinen nicht gleich für eine andere Gesellschaft eintreten, statt sich mit Teilerfolgen zufrieden zu geben?
Was sicher richtig ist, ist, dass der grundlegende Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit, zwischen gesellschaftlicher Produktion und privater Aneignung, die so viele Krisen hervorruft, nicht im Kapitalismus gelöst werden kann. Daher ist es unabdingbar, eine konsequent sozialistische Perspektive zu haben, um erfolgreich zu sein. Das schließt nicht aus, dass ein Kampf mit einem Teilerfolg enden kann oder dass gar Kompromisse notwendig sind. Die Frage allerdings ist, warum Kompromisse eingegangen werden. Werden sie gemacht, weil die partnerschaftliche Beziehung zum Kapital und die eigene soziale Stellung nicht gefährdet werden soll? Oder werden sie gemacht, weil es das Kräfteverhältnis gerade nicht zulässt, mehr zu erreichen und die Arbeitenden sich besser organisieren müssen, um mehr zu bekommen? Oder wirkt die Gewerkschaftsführung durch das Vertreten von Kapitallogik und/oder Sabotage bzw. defacto Nichtorganisierung von Kämpfen aktiv daran mit, das Kräfteverhältnis zu verschleiern oder gar ungünstiger werden zu lassen?
Denn aus dieser Perspektive wird klar, dass eigentlich selbst die Frage der Tarifabschlüsse über die Lohnhöhe sich darauf reduziert, wie stark die Beschäftigten dem Kapital gegenüber treten. Die hohen Löhne der Industriearbeitenden gehen auf ihre potentielle Stärke im Betrieb zurück, nicht auf den Hinterzimmerhandschlag der Gewerkschaftsvorsitzenden, wie gern Glauben gemacht wird. Denn ohne die Mannschaftsstärke würde sich kein Chef mit ihnen an einen Tisch setzen.
Zusätzlich dazu reicht es bei weitem nicht aus, sich den Sozialismus als abstraktes Ziel auf die Fahne zu schreiben. Konkrete Schritte zur Erkämpfung dieser oder jener Verbesserung können die Ausgangsvoraussetzung für weitere Kämpfe verbessern, indem sie den ganz praktischen Wert einer eigenen Organisation bei Arbeitszeit- oder Entgeltregelungen aufzeigen und sich der Organisationsgrad um eine Auseinandersetzung herum erhöht. Bestimmte Forderungen werden für die konkrete Auseinandersetzung aufgestellt, sind also Kampfforderungen, bei denen trotzdem klar gemacht werden muss, dass sie an sich nicht das Problem lösen. Was sind also mögliche Ansätze?
Wenn die Einführung neuer Maschinen vor allem den Zweck hat, teure Lohnarbeit zu ersetzen, ist es dann nicht kontraproduktiv, für die Erhöhung von Löhnen zu kämpfen? Wie oben aufgezeigt, gehört es zur normalen kapitalistischen Entwicklung, immer günstiger zu produzieren. Selbst der Lohnverzicht wird dies nicht aufhalten. Ganz im Gegenteil – gerade diese Argumentation wird sowohl von kapitalistischer, als auch manchmal gewerkschaftlicher Seite gefahren. Um Löhne zu erhöhen, müsse erst die Produktivität erhöht werden, um sie zu rechtfertigen. Wer sich jedoch auf eine solche Argumentation einlässt, wird schnell in einer Abwärtsspirale landen und macht sich erpressbar, da für jede Lohnforderung sofort die Drohung kommt, Maschinen einzusetzen. Es ist nicht davon auszugehen ist, dass über Nacht Millionen ihre Arbeitsplätze verlieren. Selbst bei Entlassungen von Kolleginnen und Kollegen ist ein Kampf um höhere Löhne unabdingbar, um die eigene materielle Stellung zu verbessern. Gerade wenn die Gefahr besteht, dass der Niedriglohnsektor für nicht automatisierte Tätigkeiten in großem Umfang ausgebaut wird. Dennoch weist die Fragestellung auf die Beschränktheit der reinen (Mindest-)Lohnforderung hin. Gleichzeitig kann zu große Verelendung der Arbeitenden durch ihre Folgen auch die Ausgangsvoraussetzungen für den gemeinsamen Kampf verschlechtern.
Da auch das Heer der Arbeitslosen als Drohszenario auf den Kampfeswillen einwirken soll, während andere heillos überarbeitet sind, liegt die Forderungen nach einer radikalen Arbeitszeitverkürzung auf 30 Stunden und sogar weniger bei vollem Lohn- und Personalausgleich nahe. Wenn immer weniger gesellschaftliche Arbeit für die Herstellung der gleichen oder sogar besserer Güter notwendig ist, dann arbeiten die Menschen für nichts anderes, als den gesteigerten Profit der Besitzenden. Für alle anderen ein sinnloses Unterfangen. Eine solche Forderung würde nicht nur helfen, die ansonsten wegrationalisierten Kolleginnen und Kollegen im Betrieb zu behalten, sondern gleichzeitig mehr Menschen aus einem Fristen unter dem Hartz IV-Diktat zu befreien und die Basis für kollektives Handeln verbreitern.
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Zur Frage, wie die Basis für Kämpfe ausgebaut werden kann, gehört unmittelbar der gesamte Bereich der Leiharbeit und Werkverträge. Oben wurden Beispiele genannt, wie die Konkurrenz der Arbeiterinnen und Arbeitern untereinander im Betrieb oder Druckerhöhung durch Maschinen vor sich geht. Ein weiterer und sehr wirksamer Spaltkeil wird durch Ausgliederung von Betriebsteilen oder Auftragsvergabe an externe Dienstleister zwischen die Belegschaften getrieben. Auf der einen Seite wird das unternehmerische Risiko durch Werkverträge abgegeben, denn nur das Endergebnis wird bezahlt. Durch moderne Kommunikationsmittel gibt es im Internet einen Markt von Click- oder Crowdworkern, die Aufträge annehmen und als Selbstständige für deren Umsetzung verantwortlich sind. Dieses Vorgehen isoliert nicht nur die Freelancer von größeren Belegschaften und macht Organisierung extrem schwierig, da sie meist von Zuhause aus arbeiten, sondern lässt gleichzeitig die teureren Stammbelegschaften mit diesen konkurrieren. In vielen Arbeitsbereichen werden extreme Situationen erreicht, in denen mehrere Freiberufler den selben Auftrag annehmen und nur das beste Ergebnis entlohnt wird – alle anderen haben umsonst gearbeitet.7 Eine Organisation, die konsequent für die möglichst große Einheit der Beschäftigten eintritt, um deren Interessen zu vertreten kann es nicht akzeptieren, dass ein Teil schlechter als der andere gestellt ist. Das heißt, es gibt keine Situation, in der eine Akzeptanz von Werkverträgen und Leiharbeit gegenüber ordentlichen Beschäftigungsverhältnissen annehmbar ist. Sich auf die Argumentation einzulassen, dass es Schwankungen in der Produktion gibt, die damit ausgeglichen werden, bedeutet, sich Lösungen für Probleme zu überlegen, die die Kapitalistenklasse hat. Die profitable Gestaltung der Produktion und Beschäftigung kann nicht Aufgabe einer Arbeiterorganisation sein. Auf einer solchen Grundlage ist es von vornherein ausgeschlossen, Kompromisse für einen Teil der Belegschaft auf Kosten des anderen zu erkaufen. Derartige Zugeständnisse sind nicht nur ein Bruch gewerkschaftlicher Solidarität, sondern zerstören das Vertrauen in und die reale Kampffähigkeit der eigenen Organisation. Bereits in der Vergangenheit hatte eine solche Vorgehensweise verheerende Folgen. Je größer jedoch der Angriff ist, desto fataler werden die Folgen sein. Wer also annimmt, im Interesse höherqualifizierter Arbeitenden gegenüber weniger qualifizierten oder verdienenden organisationspolitisch klug zu handeln und seine Mitgliedsbeiträge (und damit auch die eigene Hauptamtlichenstelle) zu retten, wird sich bald einer konservativen Ständeorganisation gegenüber sehen, die die Spaltung der Beschäftigten vertieft hat, statt sie zu überwinden. Obendrein wirkt der Druck durch prekäre Beschäftigung auch immer auf höhere Gehaltsklassen. Der Vertiefung des Grabens zwischen einer planenden und programmierenden und einer rein ausführenden Schicht von Hilfsarbeiterinnen und -arbeitern durch Industrie 4.0 muss entschlossener Widerstand entgegen gesetzt werden.
Daran schließt sich die allgemeine Forderung nach gleicher Bezahlung und gleichen Arbeitsbedingungen für gleiche Arbeit an. Rassismus und Sexismus gehören zu den stärksten Spaltungsinstrumenten, die den Herrschenden zur Verfügung stehen. Lohnunterschiede aufgrund des Geschlechts, der Herkunft oder Religion sind die materielle Manifestation dieser Spaltung. Solange Frauen oder Ausländer als Lohndrücker und Streikbrecher missbraucht werden können, schwebt jeder Kampf in der Gefahr, verloren zu gehen.
Wenn auch die öffentliche Daseinsfürsorge ebenfalls in großem Maßstab von Automatisierung betroffen sein wird, werden Massenentlassungen und Abwanderung von Betrieben in großem Maßstab eher im Dienstleistungssektor und in der Industrie zu erwarten sein. Das ist das ultimative Drohszenario der Bosse: Wenn ihren Forderungen nach Flexibilisierung und Rationalisierung nicht entsprochen wird, verlagern sie die Produktion, gründen Tochterfirmen oder entlassen viele Kolleginnen. Eine schärfere Kampfansage kann es kaum geben. Dementsprechend muss die Antwort ausfallen. Zwar gibt es in Deutschland wenige Beispiele dafür und keines war auf Dauer erfolgreich, aber die Besetzung der Produktionsstätten und Verhinderung der Demontage ist die unmittelbare Antwort. Keine Übergangsregelungen, kein Beschäftigungspool, keine Abfindungen können real Arbeitsplätze retten. Wie soll so eine besetzte Firma eigentlich weiter arbeiten? Am Willen oder der Kreativität der Beschäftigten, was und wie gearbeitet werden kann, wird es nicht scheitern. Scheitern wird es jedoch an der Kapitalgrundlage, wenn das Management mit dem Geld verschwindet. Zwar werden Genossenschaften als Gegenentwurf gesehen, aber grundlegend wird dann das unternehmerische Risiko auf alle Beschäftigten verteilt. Das heißt in Zeiten wirtschaftlichen Abschwungs dürfen sie sich selbst kündigen. Es bleibt eigentlich nur die Forderung nach einer Verstaatlichung dieses Betriebes – unter der Kontrolle und Verwaltung jener, die sie übernommen haben. Solche Firmen könnten beispielsweise aus einer öffentlichen Bank finanziert werden, wie sie beispielsweise der Labour-Vorsitzende Jeremy Corbyn in Großbritannien fordert.8
Aus den oben genannten Punkten wird klar, dass einige zu den unmittelbaren Tages- oder Kampfforderungen gehören und andere viel weitergehende Fragen aufwerfen. Bestimmte Handlungsansätze fallen in den Bereich von Betriebsräten wie Lohneingruppierungen, Lage der Arbeitszeit, Arbeits- und Gesundheitsschutz, Ausbildung und Zusatzqualifikation. Andere wie Lohnhöhe, Höchstarbeitszeit und Lebensarbeitszeit sind eher tarifliche oder gar gesetzliche Themen und fallen Gewerkschaften und Parteien zu, wobei sich erstere mehr und mehr auf die Lobbyarbeit bei der Politik beschränken, als flächendeckende Tarifabschlüsse zu erkämpfen. Die Übernahme und die Verstaatlichung von Betrieben unter Belegschaftskommando ist nicht ohne eine weitergehende gesellschaftliche Bewegung durchzusetzen und erfordert mehr als einen Streik, haben ihn aber zur Voraussetzung. Letztendlich wird die Frage der Macht im Betrieb bei jedem Kampf im Kleinen gestellt, hier aber bereits in gesellschaftlichem Maßstab. Wer vor der Umwälzung des Systems zurückschreckt, wird auch vor dieser Art Kampf zurückschrecken. Grundsätzlich gilt jedoch: Egal, auf welcher Ebene die Themen angegangen werden – es geht nicht ohne Kampfeswillen, Ausbau der Organisierung der Beschäftigten und eine Re-Politisierung der gewerkschaftlichen Debatte und der Arbeit im Betrieb. Wer einen Lohnkampf auf die rein ökonomische Ebene beschränken will, bindet sich schon mal eine Hand auf den Rücken. Das heißt, dass noch ein langer Weg zu gehen ist, bis die ehemals so mächtigen und immer noch großen Arbeiterorganisationen dort angekommen sind und es bedarf einer neuen Schicht von Aktivistinnen und Aktivisten in Zusammenarbeit mit der jetzigen Mitgliedschaft, um die Gewerkschaftspolitik organisiert in diese Richtung zu verändern. Vielerorts schließt das nicht nur politische, sondern personelle Alternativen zu gewerkschaftlichen oder betrieblichen Vertretern ein, die für eine zum Scheitern verurteilte Handlungsweise stehen. Dies wiederum ist aber nur durch eine Demokratisierung der Gewerkschaften und der Kämpfe selbst möglich.
Das kapitalistische System produziert auf mehrfache Weise die Mittel für seine eigene Abschaffung. Nicht nur hat er die Produktion und alle Mitglieder der Gesellschaft soweit umfasst und systemisch eingegliedert, dass der nächste Schritt – eine geplante Wirtschaft – möglich geworden ist. Auf der einen Seite bringt er sich selbst immer wieder an den Rand des Zusammenbruchs durch reine Überproduktion und Kapitalanhäufung in den Händen einiger Weniger. Doch er zerstört Teile seiner Existenzgrundlage selbst in direkter Weise – durch die Herstellung und Einsatz von Kriegsmaterial, Zerstörung der Umwelt9, Massensterben der Menschen, also seiner Arbeitskräfte, durch Hunger und Elend und Aussaugung des Bodens zur Ressourcengewinnung.
Auf der anderen Seite schafft die Einführung neuer Technologien neue Spielräume für gewerkschaftliches Handeln. Wenn die gesamte Produktion vernetzt und im Sinne der Herstellung auf Nachfrage organisiert ist, wird sie extrem anfällig. Natürlich gibt es durch externe Server und Cloud-Computing viele Möglichkeiten der Absicherung und Datenspeicherung. Dennoch wird das Bestreiken strategisch wichtiger Punkte eine größere Rolle spielen und größere Ausmaße annehmen. Und gerade vor dem Hintergrund von externen Dienstleistungen spielt die betriebsübergreifende Solidarität eine Hauptrolle. Wenn ein Zulieferbetrieb bestreikt wird, darf der andere nicht die Rolle des Streikbrechers spielen, also muss Solidarität auch in Form von Streiks organisiert werden.
1Hofmann, Jörg; Gabriel, Sigmar und Grillo, Ulrich: Die nächste Revolution – Mehr Innovation und Investitionen (https://www.igmetall.de/joerg-hofmann-sigmar-gabriel-und-ulrich-grillo-zu-industrie-4-0-21641.htm)
2IG Metall: IG Metall bei Industriepolitik ganz nah dran (https://www.igmetall.de/buendnis-zukunft-der-industrie-aufgaben-ziele-und-struktur-14897.htm)
3Hofmann, Jörg; Gabriel, Sigmar und Grillo, Ulrich: Die nächste Revolution – Mehr Innovation und Investitionen (https://www.igmetall.de/joerg-hofmann-sigmar-gabriel-und-ulrich-grillo-zu-industrie-4-0-21641.htm)
4IG Metall: IG Metall bei Industriepolitik ganz nah dran (https://www.igmetall.de/buendnis-zukunft-der-industrie-aufgaben-ziele-und-struktur-14897.htm)
5Vorschläge von Seiten der CDU laufen darauf hinaus, aus Kosten der Arbeiter*innen die Krankenkassen zu entlasten. In den letzten Jahren sind die Kosten für das Krankengeld erheblich gestiegen. Eine Lösung soll durch Teilkrankschreibungen herbei geführt werden, wo neben reduzierter Arbeitszeit ein geringeres Entgelt durch Krankengeld ausgeglichen wird. An sich ist das nichts anderes, als eine andere Form der seit langem von Teilen der herrschenden Politik gewünschten Abschaffung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Das erhöht weiter den Druck, krank arbeiten zu gehen, statt die Hauptursachen wie gestiegene physische und psychische Belastung anzugehen, geschweige denn anzuerkennen. Vgl. Süddeutsche Zeitung: Krank sein und trotzdem arbeiten (http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/gesundheitspolitk-deutschland-koennte-die-teil-krankschreibung-bekommen-1.2771586)
6vgl, Hebel, Stephan; Baumann, Daniel. Mächtige Floskeln (http://www.fr-online.de/politik/–gute-macht-geschichten–maechtige-floskeln,1472596,33966378.html)
7vgl. EIN TAG IN DER CONTENT-HÖLLE (http://boeckler.de/64540_64702.htm, abgerufen am 12. August 2016 um 12.50 Uhr), IM RECHTSFREIEN RAUM (http://boeckler.de/64540_64700.htm, abgerufen am 12. August 2016 um 12.50 Uhr), MISTER CLOUD (http://boeckler.de/64540_64701.htm, abgerufen am 12. August 2016 um 12.50 Uhr)
8In seinem Zehn-Punkte-Plan für einen Wiederaufbau und die Transformation Britannians, mit dem er erfolgreich für den Labour-Vorsitz kandidierte, spielt die Forderung nach einem Investitionsprogrsamm über 500 Milliarden Pfund eine zentrale Rolle. Kredite sollen über eine nationale Investitionsbank mit regionalen Ablegern vergeben werden. (FULL EMPLOYMENT AND AN ECONOMY THAT WORKS FOR ALL, http://www.jeremyforlabour.com/economy)
9Ein aktuelles Beispiel ist das massive Sterben von Olivenbäume in Apulien in Süditalien, bei dem vermutet wird, dass Monsanto hinter der gezielten Streuung des veränderten “Feuerbakteriums” steckt, das sonst nur Weinreben und andere Pflanzen befiel. Zufällig stellt eine Monsanto- und BASF-Tochter Pesitizide gegen diese Krankheit her. (vgl. Reski, Petra: Die Wurzel des Übels, http://www.focus.de/magazin/archiv/politik-und-gesellschaft-die-wurzel-des-uebels_id_5297816.html und Monsanto: Monsanto Company Completes Acquisitions of CanaVialis and Alellyx