Niema Movassat

Im Bundestag entfernt man sich von den Sorgen der Menschen – Im Gespräch mit Niema Movassat

Vor kurzem hat der drogenpolitische Sprecher der Linken im Bundestag, Niema Movassat, erklärt, dass er nach 12 Jahren im Bundestag nicht mehr kandidieren will. Wir haben mit ihm über seine Beweggründe dafür gesprochen.

Die Freiheitsliebe: Du hast vor kurzem bekannt gegeben, dass du nächstes Jahr, nach zwölf Jahren Bundestag, nicht mehr antreten wirst. Wie kommt es dazu?

Niema Movassat: Mir reichen zwölf Jahre Parlament am Stück. In einer Demokratie braucht es personelle Wechsel, damit es neue Impulse und Ideen gibt. Aber auch, damit keine Abhängigkeiten entstehen. Denn wer zu lange im Parlament sitzt, hat oft beruflich keine anderen Perspektiven mehr. Zudem möchte ich zurück an die politische Basis. Der Bundestag ist ein Raumschiff, in vielerlei Hinsicht abgekoppelt von den realen Interessen der Mehrheit der Bevölkerung. Wer zu lange drin ist, läuft Gefahr, abzuheben. Das wollte ich für mich persönlich vermeiden.

Die Freiheitsliebe: Was nimmst du aus deiner Zeit im Parlament mit?

Niema Movassat: Die Zeit im Bundestag war und ist unfassbar spannend. Ich habe über die Jahre viele spannende Gesprächspartner weltweit kennenlernen dürfen. Zudem hat man die Chance, für seine Position relativ viel mediales Gehör und damit Öffentlichkeit zu finden, und als Opposition die Möglichkeit, die Regierung ordentlich unter Druck zu setzen. Zudem kann man als Abgeordneter in vielerlei Hinsicht außerparlamentarischen Protest unterstützen, etwa als parlamentarischer Beobachter; auch um etwa Polizeigewalt zu verhindern.

Die Freiheitsliebe: Du hast vorhin gesagt, dass der Bundestag sich von der Mehrheit der Bevölkerung entfernt hat. Erklär das doch nochmal ein wenig konkreter?

Niema Movassat: Zum einen sind hier natürlich viele politische Themen zu nennen. Die Mehrheit der Bevölkerung lehnt Rüstungsexporte ab, dennoch werden deutsche Waffen in alle Welt verkauft. Die Mehrheit der Bevölkerung wünscht sich einen starken Sozialstaat, doch über Jahre wurde der Sozialstaat in Deutschland zerschlagen.

Daneben meine ich aber den Kosmos, in dem sich die Abgeordneten bewegen. Wer über 10.000 Euro monatlich Diät bekommt, ist ökonomisch weit entfernt von der Lebensrealität der übergroßen Mehrheit der Bevölkerung. Und ich bin der festen Überzeugung, dass je länger man zu diesem Kreis gehört, desto größer ist die Gefahr, sich von der Bevölkerung und ihren Sorgen zu entfernen. Weil man die diversen sozialen und ökonomischen Probleme persönlich nicht spürt.

Die Freiheitsliebe: Was bräuchte es, um konkret gegen diesen Entfremdungsprozess vorzugehen?

Niema Movassat: Ich neige mehr und mehr dazu, dass es Obergrenzen für die Mandatsdauer geben sollte. Ich denke, die Linke braucht eine Debatte darüber, wie lange Menschen am Stück im Parlament sein sollten. Ob das dann drei oder vier Legislaturen sind, darüber kann man diskutieren. Aber das auch unsere Partei die Möglichkeit für lebenslange Parlamentskarrieren gibt, halte ich für ein Problem.

Aber die Frage der Mandatsdauer ist hier nur ein Thema unter vielen, um Entfremdungsprozesse zu verhindern. Es braucht klare Vorgaben für Abgeordnete zur Anbindung an die Basis – viele setzen das ja auch schon um: offene Wahlkreisbüros, die auch Sozialberatung anbieten; regelmäßige Berichte über die eigene Arbeit und die der Fraktion bei Mitgliederversammlungen; Spenden an soziale Bewegungen und regelmäßiger Kontakt mit eben diesen.

Die Freiheitsliebe: In deiner Erklärung fehlt jeglicher Bezug auf die Kämpfe in der Fraktion. Haben auch diese beim Rückzug eine Rolle gespielt?

Niema Movassat: Das es in der Linksfraktion im Bundestag nicht nur harmonisch zugeht, weiß zweifellos jeder, der ab und an Spiegel, Tagesspiegel und Co. liest. Sagen wir mal so: Die Auseinandersetzungen in der Fraktion haben es mir leicht gemacht, meine Entscheidung so zu treffen, wie ich sie getroffen habe, auch wenn die Situation in der Fraktion für meine Entscheidung nicht ursächlich ist.

Die Freiheitsliebe: Was erhoffst du dir für die zukünftige Fraktion, was sollte sich verbessern?

Niema Movassat: Vier Punkte sind mir wichtig: Erstens braucht es eine gemeinsame Strategie, welche Themen gemeinsam nach vorne gestellt werden. Dabei muss es um Punkte gehen, die eine große Mehrheit der Bevölkerung interessieren und die DIE LINKE insgesamt vorwärts bringen können. Wir müssen weg von der Einzelkämpferfraktion. Zweitens braucht es mehr und intensiveren Kontakt mit Akteuren gesellschaftlicher Kämpfe. Wir müssen die sozialen Bewegungen nicht nur häufiger zu uns einladen, sondern auch solidarisch dahin gehen, wo Auseinandersetzungen stattfinden. Drittens müssen alle relevanten politischen Richtungen ansatzweise repräsentativ im Vorstand der Fraktion vertreten sein. Das verhindert Auseinandersetzung, weil sich jeder mitgenommen fühlt. Viertens wünsche ich mir, dass jeder Abgeordnete, der kandidiert, das Wahlprogramm ernstnimmt, ganz gleich ob in der Friedens- oder Migrationsfrage.

Die Freiheitsliebe: Danke dir für das Gespräch.


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