Esther Brunstein ist eine Holocaustüberlebende, die mit Miriam Scharf über ihre sozialistischen Wurzeln sprach und über die Dringlichkeit den Kampf gegen Faschismus fortzusetzen.
Können Sie uns einen Überblick über Ihr Leben vor der Invasion Polens geben?
Ich hatte Glück mit meiner Erziehung. Ich war ein glückliches Kind mit einer wundervollen Familie. Meine Eltern waren treue Sozialisten, jüdische Sozialisten. Sie gehörten der Partei „Der Bund“ an. Dieses Umfeld gab mir die Möglichkeit ein Teil einer großen Bewegung zu sein. Es waren nicht nur Juden, die Teil der Partei waren. Die Bewegung arbeitete mit allen Kräften die sich gegen das faschistische Regime in Polen stellten. Ich war sehr jung und trotzdem informiert. Durch meine Schule, die Partei und die Organisation zu der meine Eltern gehörten, fühlte ich mich ein bisschen erwachsen, da ich ein Teil davon war. Mit diesem Spirit bin ich aufgewachsen.
Sie verbrachten Ihre Jugendjahre im Lodz Ghetto. Was verhalf Ihnen durch diese Jahre?
Hoffnung! – Dass es nicht für immer sein wird und dass wir, die 10 Häftlinge, ein Teil einer neuen Welt, einer besseren Welt sein werden. Als wir wussten, dass wir in das Ghetto gebracht werden, nahmen wir uns ein paar Gegenstände für den täglichen Gebrauch in einem Kinderwagen mit. Anfangs bevor der Stacheldrahtzaun es unmöglich machte, ging mein Bruder Peretz zu den Büchereien um Bücher zu holen. Wir hatten wirklich gute Büchereien in Lodz, mit Büchern auf Polnisch, Jiddisch und Deutsch.
Im Ghetto durften wir keine Bücher besitzen, weswegen wir sie versteckt von einem Haus zum Nächsten weiterleiteten. Wir hatten eine Liste für den Ausleih und die Rückgabe der Bücher. Lesen und Bildung waren sehr wichtig für uns – Ich trug Gedichte vor. Und meine Mutter war stets an meiner Seite und ermutigte mich damit, dass die Zeit vergehen wird und dass ich stark sein muss.
Können Sie beschreiben was Ihrer Familie passierte, als zur Deportation gerufen wurde?
Zu dieser Zeit waren wir nicht mehr zusammen. Schon früh wurde mein wunderbarer Vater vom „Bund“ gewarnt, dass er auf der Deportationsliste sei, weil bekannt war, dass er ein Mitglied des Bundes ist. Deshalb verließ er und mein Bruder Peretz, der als linkorientierter Journalist bekannt war, das Ghetto Richtung Sowjetunion. Man ging davon aus, dass es dort sicher sei. Da sie dort Juden nicht fürs Judensein umbrachten.
Später kam es zu vielen Deportationen und Angst breitete sich aus. Meine Mutter und ich wurden in einen Zug nach Ausschwitz verfrachtet, aber Peretz konnte entkommen. Meine Mutter war krank. Es war Unternäherung – Sie konnte nicht mehr gehen. [Esther und ihre Mutter wurden in Auschwitz voneinander getrennt. Das war das letzte Mal, dass Esther ihre Mutter sah.]
Durch meine Mutter hatte einen starken Überlebenswillen. Wir wurden zu den Arbeitslagern gebracht. Es war Sklavenarbeit. Kalt war es, denn es war Winter. Wir hatten praktisch nichts zum Anziehen. Irgendwie fanden wir einige Lumpen und wuschen sie in eiskaltem Wasser. Seife hatten wir nicht. Meine Hände waren geschwollen, meine Haut war rau und rissig.
Alles musste in 5er Gruppen verrichtet werden. Als uns erzählt wurde, dass es Stiefel gab, stellten wir uns in 5er Reihen auf. Ich wusste nicht woher all die Stiefel herkamen. Aber manche fanden Namen auf den Klamotten und waren misstrauisch.
Ich hatte Glück, als ich ausgewählt wurde in einem Raum Kartoffel zu schälen. Immerhin war es da nicht so kalt wie draußen. Ich durfte mir sogar einige Kartoffelschalen mitnehmen. Die ganze Zeit über dachte ich an warmes Essen, unmöglichen Reichtum und an Wärme.
Zur Zeit der Freilassung waren Sie krank. Sie hatten Typhus und waren in der Isolationsstation bewusstlos und dem Tod nahe. Erinnern Sie sich als Sie wieder zu Bewusstsein kamen und dann realisierten dass der Albtraum vorbei war?
Ja, denn es gab da ein Mädchen. Sie war meine Freundin. Sie rannte in die Station und das war schon merkwürdig, denn niemand hatte mehr die Kraft zu rennen. Sie schrie: „Estusha, Estusha. Steh auf! Steh auf! Wir sind frei!“ Ich war nur halb bei Bewusstsein, aber ich erinnere mich daran, dass ich dachte nun keine Angst mehr haben zu müssen. Als wir uns nach dem Krieg wiederfanden und unsere Geschichten miteinander verglichen, mussten wir beide zugeben, dass wir damals die Hoffnung schon aufgegeben hatten. Ich wollte meine Mami so dringend wiedersehen. Ich war 16 aber ich nannte sie trotzdem noch Mami. Aber ich hörte schon in frühen Jahren auf ein Kind zu sein.
Über die Jahre hinweg zu Gedenken an die Holocaust Opfer, sprachen Sie vor viele Menschenmengen. Von Schulversammlungen zu „Lehrer gegen Nazis“ Veranstaltungen bis hin zu Treffen der Vereinten Nationen. Wie wichtig ist es Ihrer Meinung nach heute, sich mit dem Holocaust zu befassen?
Extrem wichtig! Wir müssen alles Mögliche und Unmögliche dafür tun, dass so etwas niemals wieder passiert.
Das Interview wurde im englischen Orginal von Socialist Review veröffentlicht, Linda übersetzte es aus dem Englischen.
Eine Antwort
„Extrem wichtig! Wir müssen alles Mögliche und Unmögliche dafür tun, dass so etwas niemals wieder passiert.“
Bloß in Deutschland…?
I’m GAZA.
Der UN-Menschenrechtsrat übrigens auch.