Hin und hergerissen zwischen zwei schlechten Gewissen

Manchmal ist Homeoffice die beste aller Notlösung, aber eben keine gute Lösung.

Von Katja Kipping

Viele berufstätige Mütter haben immer noch einen ständigen Begleiter: Das schlechte Gewissen. Beendet Frau den Arbeitstag früh genug, um das Kind rechtzeitig aus der Kita abzuholen, meldet sich das schlechte Gewissen gegenüber dem Job. Geht der Arbeitstag länger, meldet sich das schlechte Gewissen gegenüber dem Kind, das sich beschwert, wenn es später als seine Freund*innen abgeholt wird – schon wieder.

Ich bin überzeugt, dass sich nicht jene Mütter (und Väter) entschuldigen müssen, die verschiedenes unter einem Hut bringen. Vielmehr müssen sich jene entschuldigen, die in Arbeit und Politik Standards setzen, die nur zu erfüllen sind, wenn man die Familienarbeit auf andere abwälzt. Mir hilft diese Überzeugung gegen das schlechte Gewissen. Meistens, aber nicht immer. Auch auf Grund meiner persönlichen Erfahrungen ruft die Debatte um das Recht auf Home-Office widersprüchliche Gefühle hervor.

Als Mutter einer kleinen Tochter weiß ich, dass die Möglichkeit gelegentlich von zu Hause aus zu arbeiten und sich die Arbeitszeiten flexibler über den Tag zu verteilen, helfen kann. Ja manchmal ist es die einzige mögliche Notlösung, z.B. wenn in der Schule gestreikt wird, obwohl dringend Texte verfasst werden müssen.

Auch ich habe mich gelegentlich frühmorgens dafür entschieden, eine Kanne Salbeitee zu kochen, mich  für die Bundestagssitzung zu entschuldigen und meine erkältete Tochter zu Hause zu betreuen. Nicht selten habe ich an solchen Tagen zwischendurch am Laptop gearbeitet. Oder ich habe noch Arbeit für den Abend mit nach Hause genommen, damit das Kind nicht als letztes aus der Kita abgeholt wird, aber trotzdem die Arbeit erledigt wird. Manchmal geht es nicht anders. Manchmal ist Home-Office die beste aller Notlösungen.

Aber auch die beste aller Notlösungen ist nicht automatisch eine gute Lösung. Denn Home-Office bedeutet vor allem eins: Die Zerrissenheit zwischen Verpflichtungen im Beruf und Verpflichtungen gegenüber der Familie trifft einen konzentriert in aller räumlichen Nähe. Kinder melden ihre Bedürfnisse nach Tee, Keksen, spielen oder Aufmerksamkeit unmittelbar an, ohne Rücksicht darauf, ob Mama gerade eine produktive Schreibphase hat. Und diese Unmittelbarkeit ist wunderbar, sie zieht mich jedes Mal in ihren Bann. Wenn meine Tochter ruft, oder sich auf meinen Schoß setzt, richtet sich mein ganzer Fokus sofort auf sie. Meist genieße ich dann einfach ihre Nähe und denke, so fühlt sich Glück pur an. Doch manchmal meldet sich dann nach einigen Minuten Rumalbern oder Kuscheln das schlechte Gewissen. Immerhin muss doch die Mail zu Ende geschrieben werden, wenigstens noch die nächste Aufgabe von der To-Do-Liste erledigt werden. Und schon schlägt sie in aller Härte zu: Die Zerrissenheit. Die räumliche Nähe von Familienarbeit und Erwerbsarbeit mag mal praktisch sein, sie verdichtet aber auch die verschiedenen Anforderungen. Kopf, Herz und Körper der Frau werden so schnell zum Kampfplatz widerstreitender Verpflichtungen. An sich ist beides wunderbar: sinnstiftende Arbeit im Beruf wie liebevolle Familienarbeit. Das beständige Pendeln zwischen beiden Verpflichtungen kann jedoch verdammt anstrengend sein.

Ich meine, die Vereinbarkeit sollte nicht auf dem Rücken berufstätiger Mütter ausgetragen werden, vielmehr sollte Gesellschaft so organisiert sein, dass beides gut zu vereinbaren ist.

Das Recht auf gelegentliches Homeoffice ist dafür nur eine gelegentliche Notlösung, aber wahrlich nicht der große Wurf. Wie ein großer Wurf aussehen könnte, zeigt Frigga Haug auf. Sie nennt es die Vier-in-Einem-Perspektive. Demnach sollte im Leben von Männern und Frauen gleichermaßen Zeit ist für vier gleichberechtigte Tätigkeiten: Erstens Erwerbsarbeit, zweitens Familienarbeit, drittens gesellschaftliche Einmischung und viertens auch Zeit für die eigene Weiterentwicklung, vorstellbar als Muße oder Beschäftigung mit Kunst und Kultur.

Dazu brauchen wir andere kulturelle Standards, wonach Väter wie Mütter sich gleichberechtigt die Familienarbeit teilen. Und wir brauchen kürzere Erwerbsarbeitszeiten, die mehr Raum lassen für Freunde, Familie und gesellschaftliches Engagement.

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Eine Antwort

  1. Liebe Frau Kipping, ich empfinde Ihren Artikel argumentativ als schlüssig und berechtigt kritisch. Sie fordern die gleichberechtigte Aufteilung von Sorgearbeit innerhalb der Familie, um sowohl Verwirklichungschancen als auch weitere Lasten dabei gleichmäßig zu verteilen. Leider erwähnen Sie nur einmal in Klammern, dass auch Männer von dieser Zerrissenheit betroffen sein können. Als Vater mit Hauptsorgeverantwortung finde ich es schade ähnlich systematisch ausgegrenzt zu werden wie es eben Frauen vor dem Hintergrund tradierter Geschlechterrollen zu Recht kritisieren. Es wäre schön, wenn demnach mehr auf Gendersensibilität geachtet würde um jene Rollen nicht weiter zu manifestieren. Denn es gibt auch Väter die Sorgeverantworung übernehmen und einer Erwerbsarbeit nachgehen wollen.
    Beste Grüße

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