"2023-10-21 Free Palestine Demo in Oranienplatz (8833)" by Montecruz Foto is licensed under CC BY-SA 3.0.

Heuchler gegen Rechts?

Wenn Demos gegen Krieg mit Demos gegen die AFD konkurrieren müssen

Vor wenigen Wochen wurde die AFD-Correctiv-Recherche veröffentlicht und die deutsche Mitte reagierte erst mit Erstaunen – dann mit Mobilisierung der Massen. Seit mehr als drei Monaten strömen deutschlandweit regelmäßig Tausende von Menschen auf die Straßen, um gegen den Genozid Israels in Gaza und die deutsche Unterstützung dafür zu demonstrieren – die deutsche Mitte lässt sich dabei selten blicken.

Ein “Aufwach-Signal” für Nicht-Betroffene

Mit der Recherche deckten die Investigativ-Journalisten von Correctiv ein “Geheimtreffen” auf, das in einer Runde ausgetragen wurde, die mit bekannten Nazis, AFD-Bundestagsabgeordneten und einflussreichen Geldgebern bestückt war. Bei diesem Treffen plante man die “Remigration” — also Abschiebung — aller, die für die Beteiligten nicht “deutsch” genug seien. Unabhängig davon, ob sie die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen oder nicht. Überraschung und Aufschrei waren groß, nachdem diese Recherche veröffentlicht wurde. Hauptsächlich jedoch bei denen, die innerhalb Deutschlands nicht selbst von Rassismus betroffen sind. Diejenigen, die betroffen sind, erstaunten kaum. Tatsächlich findet man von ihnen sogar häufig komödiantische Posts oder Videos zu diesem Thema auf ihren Social Media Kanälen. Die benutzten Motive reichen von einer Checkliste für den Flug bis hin zu der Frage, ob der Plan nicht schneller umgesetzt werden könne, damit man seine Klarna-Schulden nicht mehr begleichen müsse.  Es war also keine Überraschung für Rassismus-Betroffene. Im Gegenteil, viele fühlen sich darin bestätigt, was sie sowieso schon lange befürchtet hatten: dass sie in Deutschland nicht willkommen sind.

Aber es war ein selbsternanntes “Aufwach-Signal” für Nicht-Betroffene. Man hört und liest immer wieder dieselben Aussagen: Man müsse jetzt etwas tun, bevor es zu spät sei. Man müsse sich für Minderheiten einsetzen und für diese auf die Straße gehen, um ein Zeichen zu setzen. Wie sieht dieses Zeichen aus? Es sind Demonstrationen mit Hunderttausenden, die sich teilweise über Nacht mobilisieren lassen. Alle sind dort, um ein Zeichen gegen die AFD zu setzen. Online bemängeln einige Menschen mit Migrationshintergrund, sie sähen nur wenige wie sich selbst auf diesen Demonstrationen. Andere bemerken, dass Menschen, die keinen sichtbaren Migrationshintergrund haben, sich dort Prosecco-Flaschen teilen. Es scheint, sie würden die Thematik nicht wirklich ernst nehmen.

Ein Konkurrenzkampf, den es nicht geben sollte

Zudem konkurrieren die “Demos gegen Rechts” mit den Palästina-Demonstrationen. In Düsseldorf beispielsweise finden letztere seit Oktober im Zwei-Wochen-Takt jeweils an Samstagen statt. Dennoch ruft jetzt die Organisation Düsseldorf-stellt-sich-quer zu einer eigenen “Demo gegen Rechts” an einem eben jener Samstage auf. Nach Posts über Palästina sucht man vergeblich auf ihren Social Media Kanälen. Die Palästina-Demonstration wurde mittlerweile um eine Woche verschoben — offizielle Begründung: streikende Züge. Auch in Kassel wurde eine “Demo gegen Rechts” zeitgleich mit einer Palästina-Demo angemeldet. Nur auf der Ersteren sollte auch der Bürgermeister teilnehmen. Online gab es Diskussionen, welche der beiden Demonstrationen wichtiger sei. Ein Nutzer argumentiert, ein Genozid wäre ihm wichtiger. Eine Andere ist der Meinung, dass für sie das relevant wäre, was sie direkt beträfe: die AFD. Sonst lande man ganz schnell wieder bei Zuständen wie 1933. Beide übersehen einen wichtigen Aspekt: eine Demonstration für ein freies Palästina und gegen den Krieg, ist eine Demonstration gegen Rechts. Es sollte gar keinen Konkurrenzkampf geben.

Unerwünschte Solidaritätsbekundungen und Eskalationen

Der fade Beigeschmack, der sich für Rassismus-Betroffene ausbreitet, wird bestärkt, wenn man beobachtet, dass sich von denjenigen, die auf die “Demos gegen Rechts” gehen, nur wenige in den letzten drei Monaten auf Palästina-Demonstrationen wiedergefunden haben. Auch viele Palästinasolidarische unter ihnen hatten nicht den Bedarf gegen die Eskalationen oder gegen Deutschlands finanzielle und materielle Unterstützung für diese zu demonstrieren. Es scheint auch nicht möglich, sie jetzt noch für eine Palästina-Demonstration zu mobilisieren. Da ist es naheliegend, dass Palästina-Demonstranten stattdessen an den “Demos gegen Rechts” teilnehmen. Schließlich ist der Protest gegen den von einer rechtsextremen Regierung durchgeführten Genozid auch “gegen Rechts”.

Verschiedene palästinasolidarische Organisationen oder Einzelpersonen rufen zur Teilnahme an diesen Demos auf — als Palästina-Block, mit der Fahne und den passenden Schildern. Allerdings machten die Demonstranten sofort eine Erfahrung, die sich deutschlandweit widerspiegelt: Sie sind auf den “Demos gegen Rechts” nicht willkommen. Es kursieren verschiedene Videos online, in denen Teilnehmer eines Palästina-Blocks verbal von Mitdemonstranten angefeindet oder ausgepfiffen werden. Luftaufnahmen von einer Demonstration in Hamburg, bei der 130.000 Teilnehmer geschätzt wurden, zeigen deutlich, dass die Menschenmenge um den Palästina-Block herum Platz lässt. Als würden sie den Demonstranten nicht zu nahe kommen wollen. Verschiedene Organisatoren haben bereits im Vorfeld Palästina-Blöcke ausgeladen. Während Israel-Flaggen erlaubt sind, sind palästinasolidarische Demonstranten kein akzeptierter Teil der Bewegung. Bei der Lenin-Liebknecht-Luxemburg-Demonstration in Berlin war der Block ein Opfer von Polizeigewalt, die so stark ausgeprägt war, dass 16 Demonstranten mit schweren Verletzungen im Krankenhaus behandelt werden mussten.

Aber auch schon auf den Palästina-Demos machen Demonstranten immer wieder die Erfahrung, dass ihre Grundrechte willkürlich seitens der Polizei oder des Staatsschutzes eingeschränkt werden. Noch heute — drei Monate später — werden sie für den Gebrauch des Wortes “Genozid” angezeigt, obwohl vor dem Internationalen Gerichtshof eine Genozidklage läuft, und auch obwohl in NRW sowohl das Verwaltungsgericht Düsseldorf als auch das Oberverwaltungsgericht Münster ein Verbot des Wortes für unzulässig erklärt haben. Mehrmals. Auf der Arbeit müssen sie mit Problemen oder gar Entlassungen rechnen, wenn sie sich israelkritisch äußern. Auf ihren eigenen Demonstrationen und im Arbeitsleben sind sie nicht sicher. Auf den “Demos gegen Rechts”, die angeblich für Menschen wie sie abgehalten werden, sind sie oder ihre Meinungen nicht willkommen.

Selbstinszenierung durch Instrumentalisierung der Betroffenen

Schon lange wächst eine Art Hoffnungslosigkeit im migrantischen Milieu Deutschlands. Rassismus-Betroffene fühlen sich zunehmend weniger Zuhause oder willkommen — nicht erst seit der AFD-Correctiv-Recherche. Die großen Parteien der Mitte machen längst rechtspopulistische Politik, während sie die AFD instrumentalisieren, um von sich selbst abzulenken. Menschen gehen gegen “Remigrationspläne” auf die Straße und ignorieren dabei, dass Politiker, die mit ihnen demonstrieren — wie Olaf Scholz und Annalena Baerbock — währenddessen ihr eigenes, neues “Abschiebegesetz” erlassen haben, das inhaltlich nicht weit von der AFD-Politik entfernt ist. Die Ampel-Regierung unterstützt aktiv den Genozid an den Palästinensern. Während vor dem Internationalen Gerichtshof eine Klage gegen Israel läuft, verlautbart die Bundesregierung ihre Intention, sich im Verfahren auf Seiten des Angeklagten zu stellen. Während der israelische Ministerpräsident Netanjahu verkündet, ein Verlust vor Gericht würde die Militäroffensive Israels im Gazastreifen nicht aufhalten, entscheidet die Bundesregierung gerade darüber, ob sie nicht noch mehr Panzermunition nach Israel schickt. Die Unterstützer einer rechtsextremen, kriegtreibenden Regierung sind auf “Demos gegen Rechts” also willkommen.

Oft wird die AFD als eine Gefahr für das Grundgesetz bezeichnet. Dass für die Demonstranten und Organisatoren der Palästina-Demos aktiv das Grundgesetz eingeschränkt wird, interessiert die Teilnehmer der “Demos gegen Rechts” allerdings nur wenig, denn sonst würden sie dafür ja auch auf die Straße gehen. Interessant ist auch, dass bekannte Persönlichkeiten wie Jürgen Todenhöfer oder Parteien wie die offen nach rechts orientierte dieBasis, Palästina-Demonstrationen benutzen, um Eigenwerbung zu machen. Diese Selbstinszenierung als Verbündeter der Unterdrückten zum eigenen Vorteil ist nicht nur Sache von Politikern. So machte das Correctiv-Kollektiv aus ihrer Recherche ein Event — in Form einer szenischen Lesung im Berliner Ensemble. Dabei wurden die Ereignisse der Recherche mit Schauspielern nachgestellt. Zwischendurch gab es immer wieder “Werbeblöcke”, bei denen Correctiv Eigenwerbung betrieb und Lob für die Durchführung der Recherche generierte.

So fragt man sich nicht nur, für wen die Teilnehmer der “Demos gegen Rechts” eigentlich demonstrieren, sondern auch für wen Todenhöfer und Co. an Palästina-Demos teilnehmen oder für wen die Correctiv-Recherche durchgeführt und publiziert wurde. Die Antwort darauf sollte folgendermaßen lauten: Für die betroffenen Minderheiten. Die Realität sieht aber anders aus. Auch weil die Betroffenen schon seit Jahrzehnten immer wieder dieselben Dinge beklagen und nicht gehört werden. Sie werden ignoriert, wenn sie die Ampel-Regierung kritisieren. Sie werden diffamiert und zensiert, wenn sie die israelische Regierung kritisieren. Immer wieder heißt es: “Die Geschichte darf sich nicht wiederholen”. Aber für wen gilt das eigentlich?

Ein Beitrag von Ela Türkgeldi.

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