Vor wenigen Wochen erschien bei Zeit-Campus in der Rubrik „Jung&Konservativ“ ein Beitrag von Diana Kinnert, Mitglied der CDU, in dem diese erklärt, dass der Feminismus sein Ziel erreicht habe. Unsere Autorin Daphne Weber, Bundessprecherin von die Linke.SDS, erklärt warum das mit der Realität wenig zu tun hat.
Es ist Wahlkampf. Die Parteien (und die Zeugen Jehovas) haben ihre Stände in der Fußgängerzone aufgebaut. Ich stehe am Linken-Stand und erkläre interessierten Menschen das Parteiprogramm, warum ein Spitzensteuersatz her muss und warum ich aus christlichen Überzeugungen Linke geworden bin. Bei uns gibt es Kaffee, der naturgemäß Menschen anzieht und es entsteht eine diverse Runde von Frauen, alle feministisch engagiert, die Hälfte migrantisch, die Hälfte lesbisch. Wir reden über Feminismus. (Oder eine andere konstruierte Situation in deren Folge sich Vertreterinnen verschiedener politischer Überzeugungen treffen werden, die sich sonst nie treffen würden, so wie bei Diana Kinnert. Um sich den Anstrich politischer Korrektheit zu geben, sind die Frauen lesbisch und migrantisch. Die Situation wird dann so erzählt, dass die Autorinnenfigur recht hat.) Helen, die CDUlerin, die mit feuerroten Nike-Air an ihrem Parteistand gerade Wahlkampf macht, sagt: „Aber wir brauchen doch gar keinen Feminismus mehr! Frauenrechte sind doch längst im Mainstream angekommen.“ Die FDPlerin Sarah, mit verschmitztem Grinsen und einem eleganten wie dezenten Style, findet: „Dankt dem Kapitalismus. Frauen können für sich selbst sorgen und unabhängig sein.“ Die beiden lächeln sich an und scheinen sich gut zu verstehen. Ich bin erstaunt, beide sehen so gar nicht konservativ aus, sondern modern, fast sogar hip. Die CDUlerin Helen trägt ein Shirt mit dem Aufdruck: I am a feminist.
14,99 bei H&M ist nicht feministisch
„14,99 Euro bei H&M. Klasse, oder?“ – „Schenk mir das zum Geburtstag, ja?“, fordert Sarah. Ich schaue auf meinen schwarzen Kapuzenpulli. Naja, man kann nicht alles sein, hip, linksradikal und evangelisch. Ich konzentriere mich also wieder auf die Inhalte meiner Gesprächspartnerinnen. Jule aus der Grünen Jugend ist skeptisch. „Nee. Ich denke nicht, dass Feminismus überholt ist. Wir werden doch total oft auf unsere Körper reduziert und nach dem Aussehen bewertet. Das merkt ihr doch selbst bei weiblichen Politikern. Es gibt außerdem viel zu wenig Frauen in hohen Positionen, weil die an eine gläserne Decke stoßen und Frauen verdienen immernoch weniger als Männer in den gleichen Berufen!“ Meine Kommilitonin Janina, bei den JuSos aktiv und engagierte Gewerkschafterin, verkündet: „Ja genau, und in Pflegeberufen arbeiten meist Frauen und das sind echt schlecht bezahlte Berufe. Aber wir haben jetzt Andrea Nahles. Auf die Fresse!“ Sie lacht, sichtlich hoffnungsvoll, dass sich einmal der linke Flügel in der SPD durchsetzen könnte (oder das, was einmal der linke Flügel der SPD war). Mir rutscht es heraus: „Und Frau Nahles darf jetzt die Scherben aufkehren, die die Männer der Partei hinterlassen haben mit ihrer verkorksten Agenda 2010? Und ja, Sarah, der Kapitalismus ist ein Fortschritt zum Feudalismus des Mittelalters. Er hat die Weiterentwicklung der Gesellschaft vorangetrieben, Motoren und moderne Medizin hervorgebracht. Aber ist das ein Grund, ein Wirtschaftssystem zu vergöttern, das Menschen ausbeutet, benachteiligt und tötet, anstatt es weiterzuentwickeln und zu überwinden?“ Ich zitiere nicht Helmut Kohl, sondern die britische Kulturwissenschaftlerin Angela McRobbie. Im Moment beobachten wir eine Vereinnahmung der Frauenbewegung von herrschenden Institutionen und der Wirtschaft. Man inszeniert sich als fortschrittlich, stellt (junge) Frauen nach vorne – so umgeht man geschickt die Kritik, die Feministinnen äußern, da man Vorzeigeobjekte vorweisen kann.
Frauen, ihr bekommt alles, vorausgesetzt ihr seid nicht arm, schwarz oder habt ein Kind
Die Frauenbewegung wurde vom Neoliberalismus vereinnahmt (und von den neoliberalen Parteien CDU und FDP): Frauen, ihr wollt Karriere? Das könnt ihr haben! Aber dann unterwerft euch dem ausbeuterischen Wirtschaftssystem und macht euch zu Komplizinnen des Patriarchats! Verkauft eure oppositionelle Haltung und ihr bekommt, was ihr wünscht. Vorausgesetzt, ihr werdet nicht krank, oder bekommt ein Kind, seid nicht arm, schwarz oder migrantisch, habt nicht Down Syndrom oder zu Hause eine kranke Tante zu pflegen. Ihr müsst den herrschenden Konsens teilen und euch ausbeuten, dann teilt man mit euch ein bisschen Mitspracherecht und Herrschaft. Diese Gesellschaft ist strukturell patriarchal. Das bedeutet nicht, dass Männer böse sind. Es bedeutet, dass wenige herrschen und viele ausgebeutet werden. Die Durchschnittsbürger*in hat nichts. Sie ist gezwungen, ihre Arbeitskraft zu verkaufen und produziert durch ihre Arbeit mehr Wert, als sie letztlich als Lohn ausgezahlt bekommt. Die Arbeitskraft wird sich angeeignet und Mehrwert abgeschöpft, der aber nicht der Arbeitnehmerin zu Gute kommt, sondern den höheren und höchsten Etagen einer Firma oder einer Institution. Um diesem Wirtschaftssystem einen sozialen Anstrich zu geben, spricht man von „Sozialer Marktwirtschaft“. Dass aber die sozialen Absicherungen, wie Gesundheitsversorgung, Mindestsicherung und Rente immer mehr ausgehöhlt wurden (zugegeben durch die SPD und nicht die CDU) und weiterhin privatisiert werden, das wird verschwiegen. Hat der Arbeitnehmer wenigstens noch einen Lohn, so kann er sich darauf verlassen, dass seine Frau zu Hause die Hausarbeit und die Kindererziehung einfach so verrichtet. Frauen sind doppelt ausgebeutet, denn sie verrichten noch immer mehrheitlich die Sorgearbeit in der kapitalistischen Gesellschaft. Sind sie Mütter, entsprechen sie meist nicht der eingeforderten Flexibilität, um eine 40h-Woche zu leisten. Sie sind dann abhängig von einem Hauptverdiener. Sind sie alleinerziehend, ist Altersarmut vorprogrammiert. Altersarmut ist ein weiblich geprägtes Phänomen, wie uns Statistiken verdeutlichen. Frauen arbeiten darüber hinaus überdurchschnittlich oft im Niedriglohnsektor, in Pflegeberufen, in Teilzeitjobs und befristeten Arbeitsverhältnissen.
Sozialistischer Feminismus schließt alle Frauen ein
Deshalb brauchen wir eine feministische Bewegung, auch in einem so hoch entwickelten Land wie Deutschland. Es geht nicht darum, sich popkulturelle Accessoires zuzulegen. Es geht um die Verteilung und Entlohnung von Arbeit. Kurz: Um Ausbeutung. Statt das Feminist-T-Shirt für 14,99 € zu kaufen, sollten wir uns fragen, wie es zu solch einem Preis überhaupt herstellt werden konnte. Sozialistischer Feminismus schließt die Näherinnen in Bangladesh ein, die Alleinerziehende, die Hartz IV-Empfängerin und die Geflüchtete. Eben all jene, die sich nicht das „freie Leben“ leisten können, was Diana Kinnert als „im Mainstream angekommen“ postuliert. Feminismus wird nie Mainstream sein, bevor nicht Ausbeutung und Lohndumping abgeschafft und alle Arbeit, auch die Kindererziehung, solidarisch verteilt sein wird – knapp gesagt: nicht, bevor der Kapitalismus als herrschende Wirtschaftsweise überwunden ist.
(dieser Text ist bewusst an den Erzählstil Diana Kinnerts angelehnt) Eigentlich sollte der Beitrag auf Zeit-Campus erscheinen, allerdings erhielt Daphne keine Antwort und die Rubrik „jung&links“ liegt brach.