Europäisches Großmachtstreben – Wie die EU das Friedensprojekt verspielt

Die sicherheitspolitischen Entwicklungen der EU sind fatal – Aufrüstung und Waffenexporte werden zur europäischen Staatsräson. Ein Überblick von Paul Fürst.

Der Einsatz für Frieden und Menschenrechte gehört zum Gründungsmythos der Europäischen Union (EU). Tatsächlich sind 70 Jahre Frieden1 zwischen den EU-Staaten ein in der Geschichte einmaliger und zu würdigender Erfolg, wofür die EU 2012 den Friedensnobelpreis erhalten hat. Von führenden Köpfen, wie der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU), wird immer wieder betont, dass Europa mehr Verantwortung in der Welt übernehmen muss. Mit der Forderung, die Handlungsfähigkeit der EU auszubauen, sollen Fakten geschaffen werden. Verantwortung und Handlungsfähigkeit soll hier allerdings heißen: Militärische Stärke sowie Intervention und die Beschaffung dafür nötiger Waffen. Das Friedensprojekt rüstet sich.

Schleichende Militarisierung durch PESCO, EVF & Co.

Die „Ständig Strukturierte Zusammenarbeit“ (PESCO) ist das schlagende Herz der Europäischen Verteidigungsunion (EVU) und soll neben der besseren Koordination von Streitkräften u.a. die effiziente Beschaffung neuer Rüstungsgüter regeln. 25 der 27 EU-Staaten haben sich mittlerweile der PESCO angeschlossen. Ein wesentlicher Unterschied zu anderen Formen der Zusammenarbeit besteht in der Rechtsverbindlichkeit, der von den Staaten eingegangenen 20 Verpflichtungen. Bspw. wird das 2%-Ziel der NATO (Militärausgaben auf 2% des BIP zu erhöhen) dadurch gesetzlich festgeschrieben – eine Aufrüstung per Zwang. Vorangetrieben wurde PESCO vor allem von Deutschland und Frankreich, welche neben ihren bilateralen Rüstungsprojekten auch hier starke Führungsansprüche hegen. Durch den Europäischen Verteidigungsfond (EVF) soll der Aufrüstung ein Geldtopf des EU-Haushalts zur Verfügung gestellt werden. Dieser umfasst bis 2027 für die militärische Forschung und Entwicklung ca. acht Mrd. Euro und steht in Verdacht, nicht legal zu sein.2

Waffenexport und Drohnenentwicklung für den Frieden?

Entgegen seinem Namen trägt die EU-Friedensfazilität (EFF) zu einer EU Kriegs- und Destabilisierungspolitik bei. Sie stellt Gelder für EU-Militäreinsätze bereit und fördert durch Subventionen den Verkauf und die Verbreitung von Waffen. Beispiele wie der Libyenkrieg zeigen, dass EU-Waffen zur Repression gegenüber der Zivilgesellschaft oder zur Kriegsführung zum Einsatz kommen. Die EU-Staaten sind nach den USA der zweitgrößte Rüstungsexporteur der Welt – durch den EFF soll dies weiter befeuert werden.

Daneben findet die Entwicklung von Drohnen mit Geldern der zivilen Forschungsrahmenprogramme 6 und 7 sowie Horizon 2020 statt, wovon auch die israelische und türkische Rüstungsindustrie profitiert. Beispielsweise kamen im Krieg von Bergkarabach nachweislich Drohnen des Typs Heron des israelischen Herstellers AIA zum Einsatz, welcher an den eigentlich zivilen Förderprogrammen beteiligt war.

Menschliche Sicherheit als Antwort auf zukünftige Gefahren

Die Auslegung von Sicherheit allein im militärischen Sinne knüpft an veraltete Denkmuster der Sicherheitspolitik an und untergräbt aktuelle Gefahren. Nur durch das Ende von Waffenexporten und militärischen Kriegsspielen, einer authentischen Abrüstungs- und Friedenspolitik, kann internationales Vertrauen aufgebaut werden. Dies braucht es zwingend, um die Katastrophen der Gegenwart und Zukunft – wie der globalen Pandemie und des Klimawandels – entschieden entgegenzutreten. Menschliche Sicherheit, d.h. Krisenprävention und Investitionen in das Gesundheits- und Sozialsystem sowie in die zivile Forschung und Bildung etc., vernachlässigt die EU zugunsten der milliardenschweren Aufrüstung der Festung Europa. Durch ihre miserable Migrationspolitik sind die Außengrenzen zum Massengrab geworden und durch PESCO bereitet die EU sich auf zukünftige Konflikte und Ressourcenkriege vor, anstatt diese zu verhindern. Wer, wenn nicht wir, die mitten in Europa leben, sollten wissen, dass Zeiten der Aufrüstung und des Großmachtstrebens nie zu mehr Sicherheit geführt haben – im Gegenteil. Nur ein Systemwechsel in der Innen- wie auch Außenpolitik und den internationalen Beziehungen kann die Gefahren des 21. Jahrhunderts gerecht bekämpfen.

1 gemeint ist hier das Konzept von Negativem Frieden (John Galtung) und bedeutet verkürzt die Abwesenheit von organisierter militärischer Gewaltanwendung.

2 bezieht sich auf das Rechtsgutachten zur Illegalität des Europäischen Verteidigungsfond  von Fischer-Lescano aus dem Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Bremen vom November 2018.

Dieser Artikel erschien in der neuen Ausgabe der Critica, ihr könnt sie hier herunterladen

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