Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch (Screenshot)

Dietmar Bartschs Spiel mit dem Feuer

Der Ko-Vorsitzende der Bundestagsfraktion der Linkspartei, Dietmar Bartsch, äußerte am Montag (27. Juni) bei einer Pressekonferenz: „Frau Merkel sollte die Vertrauensfrage stellen, um sich zu vergewissern, ob sie überhaupt eine Mehrheit im Deutschen Bundestag hat. […]. In diesen 14 Tagen [bis zur Sommerpause des Bundestages] […] muß Klarheit hergestellt werden. Es kann auch sein, daß diese Klarheit mit einem Ende der Koalition einhergeht. Dann ist das so; dann müssen die Bürgerinnen und Bürger neubefragt werden.“ (Twitter v. 26.06.2018; Min. 4:07 – 4:15 und 4:42 – 4:56)

Was wäre besser als im Moment, wenn bei einer solchen Vertrauensabstimmung das her­auskommen würde, was Bartsch vermutet oder nahelegt – nämlich daß Merkel keine Mehrheit mehr hat? Was wäre besser als im Moment, wenn sie sehr wohl eine Mehrheit bekäme?

Wenn Dietmar Bartsch ernsthaft meint, daß es in der gegenwärtigen politischen Konstella­tion – sei es im Bundestag; sei es unter den „Bürgerinnen und Bürgern“ – eine Mehrheit für eine ‚bessere’ (linkere, sozialere, emanzipatorischere – vielleicht sogar „antikapitalis­tische“ [Erfurter Programm der Linkspartei]) Politik als sie Angela Merkel betreibt, gibt, dann könnte er sich ja von seiner Fraktion als Bundeskanzler-Kandidat nominieren lassen; und diese Fraktion könnte ein konstruktives Mißtrauensvotum gegen Kanzlerin Merkel be­antragen. Wohlweißlich unternimmt Dietmar Bartsch einen solchen Vorstoß nicht.

Das heißt: Merkel aufzufordern, die Vertrauensfrage zu stellen, ist entweder reine parla­mentarisch-mediale Schaufensterpolitik oder kalkuliert auf eine Negativ-Koalition (‚Wir sind uns zwar auch nicht einig – aber alle gegen Merkel’) von AfD, FDP, Linkspartei, Unions-DissidentInnen und vielleicht auch Grünen. Was für ein Spiel mit dem Feuer…

Aber damit nicht genug – weiter führte Dietmar Bartsch (grammatikalisch etwas verun­glückt) aus:

„Die jetzige Situation, die wahrhaftig nicht in dem Streit um die Einreise an den Grenzen geht; sondern es ist ein viel grundsätzlicher Streit. Der ist entstanden, weil es 15 Jahre Politik von Angela Merkel gegeben hat, die unser Land und die auch Europa gespalten hat.“ (Twitter v. 26.06.2018; Min. 3:30 – 3:48)

Diese Behauptung nimmt weder das rassistisch-rechtsnationalistische Motiv der CSU ernst, noch trägt es dem von MarxistInnen und Feministinnen vielfach analysierten Um­stand Rechnung, daß patriarchale und Klassengesellschaften per se gespalten sind – nämlich in Geschlechtern und Klassen gespaltene Gesellschaften sind. Jedenfalls die Auf­gabe von RevolutionärInnen ist es, diese Spaltung – gegen den (wenn auch nicht gleich zu bewertenden) nationalistischen und sozialstaatlichen Kit – offenzulegen und zum revo­lutionären Bruch mit der herrschenden Ordnung zu vertiefen, statt die Einheit zu beschwö­ren oder einzuklagen. Nun ist es müßig, Bartsch vorzuwerfen, daß er das nicht ist, was er ohnehin nicht sein will: nämlich revolutionär. Aber lehrreich ist dieses Statement (und die daran von mir vorgebrachte Kritik) trotzdem: Denn es zeigt die konservative Schlagseite eines jeden Reformismus, der „Versöhnen statt Spalten“ (Johannes Rau) propagiert, ob­wohl er doch – wenn auch zaghaft verändern will; was aber nicht nach dem Motto „Allen wohl und niemandem Weh“ geht.

Bartschs Behauptung legt darüber hinaus die fatale Schlußfolgerung nahe, Merkel hätte den Positionen von AfD, Seehofer, Orbán & Co. mehr entgegenkommen sollen, um die Spaltung „unser[es] Land und […] Europas“ zu verhindern. Gemeint – aber nicht gesagt – hatte Bartsch vielleicht, Merkel hätte den ökonomisch und kulturell marginalisierten Teil der AfD-WählerInnen mit ein paar mehr sozialsstaatlichen Brosamen bei der Stange halten sollen. Aber umso mehr wird jene – auch für ReformistInnen fatale – Schlußfolgerung da­durch nahegelegt, daß Bartsch unmittelbar nach den beiden gerade zitierten Sätze – grammatikalisch unvollständig – explizit wie folgt fortsetzt:

„Und wenn die CSU sich jetzt so hinstellt als hätte sie damit nichts zu tun… – die Partei ist jetzt genauso lange in Regierungsverantwortung wie Angela Merkel.“ (Twitter v. 26.06.2018; Min. 3:49 – 3:55)

Das Problem in den Augen von Bartsch scheint also nicht zu sein, daß Merkel der CSU schon längst viel zu sehr nachgegeben hat, sondern daß sich die CSU nicht früh genug Merkel entgegenstellt hat… Paradoxe Welt oder die Logik des etatistischen Reformismus?

Ein längere Analyse des aktuellen Schlagabtauschs zwischen CSU und CDU von Detlef Georgia Schulze ist bei indymedia erschienen: An einer „historische Weggabelung“; Szenarien und Konsequenzen zur aktuellen innenpolitischen Krise in der BRD;  https://de.indymedia.org/node/22193.

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