Salvador Alllende Statue

Die Geschichte des vergessenen elften Septembers

Es ist ein begrabenes Kapitel der Weltgeschichte: Es geht um Geheimdienste, die Supermächte im kalten Krieg und den Präsidenten eines armen Landes und seine progressive Politik. Es klingt wie ein Buch von Tom Clancy, doch seine Folgen sind für Millionen Menschen bittere Wahrheit.

Bei den Wahlen am 4. September 1970 wurde die Unidad Popular, ein Wahlbündnis Linker Parteien, mit 36,3 % der Stimmen zur stärksten Kraft und ihr Kandidat, Salvador Allende, als erster Marxist demokratisch zum Präsidenten Chiles gewählt. Trotz Millionen Dollar Hilfen für Anti-Allende-Propaganda, Unterstützung seines Gegenkandidaten Alessandri durch CIA und MI6 konnte Allende die Wahl gewinnen.

Der Unidad Popular, bestehend aus sozialistischen Christen, Sozialdemokraten, Sozialisten und Kommunisten, gelang dieser, wie Allende ihn in seiner Rede an die Nation nannte, saubere Sieg durch einen kompromisslosen Linkenkurs mit ihrem 40-Punkte-Plan, dem Aufbau einer Gegenöffentlichkeit (viele eigene Zeitungen, Gewerkschaften, Arbeit in den Kirchen ….) und der Unterstützung der größten lateinamerikanischen Persönlichkeiten. Dazu zählen Weltpersönlichkeiten wie Nobelpreisträger, Künstler oder Politiker, hinter dieser Regierung stand eine Massenbewegung.
Im ersten Jahr der neuen Regierung wird eine Landesreform durchgesetzt, es werden die Preise für Lebensmittel, Strom und der Miete festgesetzt und es werden Schlüsselindustrien verstaatlicht. Die für die Wirtschaft enorm wichtigen Minen im Norden und vor allem das Kupfer, welche sich zu großen Anteil in US-amerikanischen und englischen Privatbesitz befanden, wurden verstaatlicht. (Kennecott Corporation und Anaconda Copper) Die sozialistische Wirtschaftspolitik ließ das Bruttoinlandsprodukt alleine im ersten Jahr um 9% steigen.
Als jede legale Art Allende abzusetzen gescheitert war (Verhinderung seiner Wahl durch Stimmen der Christdemokraten im Kongress, kein Sieg der Opposition bei den Parlamentswahlen …) begannen Rechtsterroristen mit Sabotageakten und Attentate gegen die Regierung zu kämpfen. Die USA boykottierten Chile und Unternehmer in Chile versuchten ihre Waren auf dem Schwarzmarkt zu verkaufen (die Preise waren dort nicht festgesetzt) und erzeugten so einen künstlichen Mangel an Produkten. Die Gesellschaft polarisiert sich politisch, auf ein Hunderttausend auf einer Demonstration gegen die Regierung, folgen Fünfhunderttausend für die Regierung protestierend.

Unter diesem Chaos leidend wollte Allende ein Referendum abhalten; verliert er es und hat nicht die Mehrheit der Bevölkerung hinter sich, wird er zurücktreten. In jedem Fall hatte er in einer Sitzung mit seinem Kabinett vom 10. auf den 11. September 1973 Gespräche mit den Christdemokraten angekündigt und den Dialog gesucht.
Leider würde es nie dazu kommen. Am 11. September 1973 lagen drei Schiffe der US-Marine im Hafen von Valparaiso. Aus dieser Stadt sollte der Putsch gestartet und gelenkt werden. Um 10:30 beschossen Panzer den Präsidentenpalast la moneda. Um 10:15 als beinahe jede Radiostation im Land schon bombadiert worden war, meldete sich der Präsident über Radio Magallanes, eine Station im äußersten Süden des Landes. Er sprach ein letztes Mal zu seinem Volk und versprach das Mandat, das ihm übertragen wurde, nicht abzulegen, wie er es in einer Rede 1971 schon versprochen hatte.

„Ohne eine Art von Messias zu sein werde ich keinen Schritt zurückweichen und damit ihr es wisst, man müsste mich schon mit Schüssen durchlöchern um zu verhindern, dass ich das Mandat, das mir das chilenische Volk gegeben hat, nicht in die Tat umsetze.“

Alleine 1973 im ersten Jahr der Militär-Diktatur, die auf den Putsch folgte, starben laut Amnesty International 30.000 Menschen, die US-Botschaft dagegen geht von immerhin 5.000 Toten über den gesamten Zeitraum der Diktatur aus. Während der ersten Monate waren die Gefängnisse so voll, dass das Nationalstadion zum KZ umfunktioniert werden musste. Es blieben kaum Familien ohne Opfer.
Die Neue Westfälische Zeitung jubelte in Deutschland: „Putsch in Chile ist für Banken positiv – in Südamerika kann wieder investiert werden.“ Die Frankfurter Allgemeine Zeitung veröffentlichte am 29.9.eine Anzeige: „Chile – jetzt investieren.“ und die Frau des von Genscher 1986 eingesetzten Diplomaten sagt über den Einsatzort ihres Mannes: „Aus Chile hört man nur Gutes.“
Das wohl berühmteste Opfer der Faschisten war, nach Allende selbst, Victor Jara. Der Musiker und Dichter wurde aus der Technischen Universität, wo Jara am Tag des Putsches ein Konzert zur Unterstützung der Regierung gab, am 12. September von Angehörigen des Militärs mit anderen Professoren und Studenten, ins Estadio Chile entführt (heute Estadio Victor Jara). Dort befindet sich am Ort seiner Ermordung eine Plakatte mit seinem letzten Gedicht, dort in der Gefangenschaft geschrieben und in einem Schuh aus dem Stadion ins sichere Ausland geschmmuggelt. Ähnlich wie das Estadio Nacional wurde es zum Foltergafängnis umfunktioniert. Er wurde tagelang gefoltert, gesichert sind mehreren Knochenbrüchen, Verbrennungen durch Zigaretten und simulierten Erschießungen zur psychologischen Folter. Jeder Finger wurde ihm einzeln durch die Rückseite eines Gewehrs gebrochen und Jara wurde mit der Aussage entwürdigt, er könne ja nun versuchen Gitarre zu spielen. Auf die Aufforderung seiner Peiniger am inzwischen 16. September, er solle nun etwas singen stand er auf, erhob seine Stimme und sang das Lied der Unidad Popular venceremos, wir werden siegen. Victor Jara verstarb kurz darauf nach Prügel durch die Soldaten und Maschinengewehrschüssen. In seinem Körper waren 44 Einschusslöcher.

Inwieweit die USA hier verstirckt waren blieb bis zu Sonderuntersuchung durch den Kongress 1975/76 im dunkeln als die Church-Kommission erste Untersuchungen unternahm. Erst 1999 als Präsident Bill Clinton die Akten zur Operation FUBELT öffnete wurde das ganze Ausmaß der Schuld der USA öffentlich. Die Attentäter des verfassungstreuen General Schneiders, der im Gegensatz zu seinem Nachfolger Pinochet öffentlicht aussagte, er würde nicht gegen seine Regierung putschen, wurden von der CIA mit Waffen wie Maschinenpistolen und Tränengasgranaten ausgerüstet. Die allendekritische Zeitung El Mercurio und andere chilenische Printmedien wurden massiv finanziell unterstützt, es tauchten die handschriftlichen Unterlagen von Richard Helms auf, der die Befehle von Präsident Nixon zur Organisation eines Putsches beweisen und sogar der BND war insoweit darin verstrickt, dass sie Tage vor dem Putsch informiert wurden, aber Willy Brandt nicht davon unterrichteten.
Die beiden enteigneten Firmen, die Anteile am chilenischen Kupfer hatten, bekamen von Pinochet und seiner Regierung eine Entschädigung im 9-stelligen-Bereich und alle Errungenschaften der Unidad Popular wurden Rückgängig gemacht.
Frederick H. Gareau, der als Professor für Politikwissenschaft u.a. an der Florida State University lehrte, spricht in dem Zusammenhang der Interventionen der USA in Südamerika von Staatsterrorimus. Bis heute waren weder der Diktator Augosto Pinochet noch die Initiatoren des Putschs US-Außenminister Henry Kissinger und Präsident Richard Nixon wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor Gericht.
Der US-Imperialismus hat in Chile eine stabile Demokratie ins Chaos gestürzt, Tausende Tote zu verantworten und hat ein letztes Mal bewiesen, dass es bei der interventionistischen Außenpolitik nicht um Freiheit oder Demokratie geht, sondern um knallharte wirtschaftliche Interessen. Dafür gingen Henry Kissinger und Richard Nixon über Leichen.

 

Robert Kohl, Autor des Artikels, ist in Chile geboren und aktiv in der Solid wie in der LINKEN

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5 Antworten

  1. naja, ob Allende Marxist war ist fraglich. ein linker Sozialdemokrat mit Illusionen in das Militär, an dessen Neutralität er glaubte. so ließ er linke und arbeiter, die den putsch kommen sahen und sich zu seiner Unterstützung bewaffnen wollten, entwaffnen, während die rechten ungehindert zu seiner Ermordung aufrufen konnten. vielleicht wäre der putsch durch volksbewaffnung zu verhindern gewesen und wenn er ein paar faschos eingeperrt hätte. dann wäre zwar in der westl. welt wieder das Geschrei über eine angebl. Kommunist. Diktatur losgegangen, aber das gab es doch sowieso, obwohl Allende zeigte daß er im rahmen der bürgerl. Demokratie verblieb. dafür zahlte er- und das Volk. wobei die kP die konservativste rolle spielte, die eine Übereinkunft mit den Faschisten suchte und hauptsächlich gegen „ultralinke“ polemisierte. (gemeint war die MIR).

    1. Allende war Sozialist und hat das mit dem leben bezahlt. Nur eben auch Pazifist. Er lehnte Gewalt als Mittel der Revolution ab.

      Genau diese Aufrufe zur Bewaffnung wurden später als Begründung für den Putsch aufgeführt und den Morden an Marxisten. Ein sinnloser Bürgerkrieg oder der Pazifismus waren die einzigen Wege.

      1. hallo? es war genau dein gepriesener Pazifismus der zum „sinnlosen Bürgerkrieg“ führte. mit den Argumenten daß volksbewaffnung den putsch häte verhindern können, setzt du dich nicht auseinander. stattdessen: „diese aufrufe wurden zur Begründung des pusches herangezogen“! du glaubst jetzt nicht im ernst, dass sonst der putsch nicht gekommen wäre? was die als Begründung heranziehen ist doch austaschbar. ich kenne andere Begründungen. außerdem gab es die putschpläne schon vor dem aufruf zur Bewaffnung, die eine Reaktion darauf waren. also nicht nur daß du Ursache und Wirkung verwechselst, sondern du hast eine völlig antisozialistische, defätistische Haltung, die im grunde besagt: bei revolut. Politik kommt der putsch gleich, bei Reformist. dauert er etwas länger. mit dieser Position kommt man nie zur Revolution. die bourgeosie wird nämlich immer bewaffnet zuschlagen. und Pazifisten sich immer niederschlagen lassen oder gleich auf die andere seite übergehen (siehe die grünen). daß die Freiheitsliebe sowas oberflächliches druckt, unterstreicht nochmal deren pseudolinken Charakter. ich empfehle in „linke Zeitung“ und sonstwo im net meinen Artikel zur geschichte der MIR und der chil. linken .

      2. 28.01.13 in http://www.scharf-links.de
        Debatte, Internationales, Arbeiterbewegung

        von Günter Meisinger

        Die Geschichte der „Bewegung der revolutionären Linken“ (MIR) aus Chile

        (Nicht nur) eine Buchbesprechung

        „MIR, Die Revolutionäre Linke Chiles“ Laika Verlag, 176 Seiten, viele Fotos,
        gebunden, 19.90 E mit DVD „Calle Santa Fe“, 163min. „Bibliothek des Widersands“ 11 gutes Preis-Leistungs-Verhältnis

        Vorneweg möchte ich bemerken, daß in meinen Artikel nicht nur das zu rezensierende Buch einfließen, sondern auch andere Bücher, wie die Dokumente der MIR 1974 bei Wagenbach, „Santiago de Chile, ein Tag im Oktober“ von Carmen Castillio 1981, sowie meine eigenen jahrelangen Diskussionen mit Chilenen aller damaligen Linksparteien.

        1.: Rückblende

        Der 11. September 1973. Ich komme von der Arbeit nach Hause und die Schlagzeilen der damaligen „Abendzeitungen“ verkünden: „Allende beging Selbstmord“. Eine Lüge der „freien Presse“. Freiheit die sie meinen.
        Was war geschehen? 1970 wurde in Chile der Arzt Salvador Allende, Abgeordneter der Sozialistischen Partei, mit der relativen Mehrheit von 38% zum Präsidenten gewählt und führt eine Volksfrontregierung aus SP, KP, christl. Linke &MAPU (Arbeiter&Bauernpartei der Indios). Diese wird zwar bei den Kommunalwahlen 1971 schon mit 51% bestätigt, aber im Senat, dem Bundesparlament, bleibt Allende einer bürgerlichen Parteienmehrheit ausgeliefert, die natürlich viele seiner Gesetzesvorhaben scheitern läßt. Immer wieder werden Übereinkünfte mit den Christdemokraten gesucht. Die KP, der konservativste Teil der „Unidad Popular“ verkündet, das ABC des Marxismus auf den Kopf stellend, wer die Wahl gewonnen habe, habe die polit. Macht erobert (so damals Luis Corvalan in „Probleme des Friedens und des Sozialismus“).
        Allende scheint subjektiv ehrlich für Sozialismus zu sein, bleibt aber in seiner konkreten Politik nur ein Reformist, der fürchterliche Illusionen in die „versprochene Neutralität“ des Militärs hat und den bürgerlichen Staatsapparat nicht zerschlagen möchte, sondern glaubt, durch die Einbeziehung von Militärs ins Kabinett sowie Übereinkünfte mit den Christdemokraten könne er die Reaktion besänftigen. So räumt er denn auch seinen Gegnern ALLE Freiheiten ein, was jedoch den führenden Christdemokraten Alwyn nicht daran hindert, später von „Allendes´s marxistischer Diktatur“ zu sprechen, nicht etwa von der Diktatur Pinochets! In Wirklichkeit konnten selbst Faschisten in der Presse ungehindert dazu aufrufen, Allende zu ermorden. Allende entwaffnet nicht die Rechten, sondern die Linken.

        Von einer allgemeinen Arbeiterbewaffnung will er bis zuletzt nichts wissen. Aktionen von Gruppen links von der UP, welche die Volksmacht propagieren, Fabrik- und Landbesetzungen unterstützen, werden anfangs von allen als „linksradikales Abenteurertum“, welches nur „die Reaktionäre provoziere“ bekämpft. Später nehmen die MAPU und wesentliche Teile der SP eine differenziertere Haltung dazu ein, nur die KP hetzt weiter massiv gegen Gruppen wie die MIR, vereinzelt werden MIR-Leute sogar von KP-Bullen verhaftet oder erschossen!

        Erst Jahre nach dem Putsch arbeiten Teile der kP-Basis in der „Front Manuel Rodriguez“ mit MIRisten im bewaffneten Widerstand zusammen. Der im bombardierten Präsidentenpalast seine letzte Rundfunkansprache abhaltende Allende läßt Miguel Enriquez, Generalsekretär der MIR, und Arzt wie Allende &Che Guevara, ausrichten, bitte dort weiterzumachen wo er aufhören mußte.Als nach Miguels Tod 1974 Andres Pascal Allende die Leitung des MIR übernimmt, meldet die Presse mit der einstigen Selbstmord-Lüge: „Allendes Neffe führt jetzt Terroristenorganisation“. Freiheit die sie meinen.

        Nach dem Ende der Pinochet-Diktatur vollzog sich „der Übergang zur Demokratie“ -wie einst schon bei Franco in Spanien- aus denselben Kreisen heraus, die erst den Faschismus installierten. „Da können beide nicht wie Feuer und Wasser sein. Und nicht die Strategie der Revolte ist dann in der Wurzel angetastet, sondern das europäische Nachkriegsbewußtsein“ (Rossana Rossanda).
        In England schob eine sogenannte Demokratin, Thatcher, den inzwischen in Chile angeklagten Pinochet bei seinem London-Besuch liebevoll und sich rührend kümmernd im Rollstuhl herum.
        Franz Josef Strauß war gerngesehener Gast in der „Colonia Dignidad“ (wo die polit. Gefangenen unter seinem Bild zu Tode gefoltert wurden) die von dem Altnazi &Kinderschänder Paul Schäfer geleitet wurde.

        Genau wie CIA&ITT hatten auch die Farbwerke Hoechst aus Frankfurt/Main mitgeputscht: „Endlich hat der langerwartete Eingriff der Militärs stattgefunden“ hieß es im internen Rundschreiben. „Freiheit“ die sie meinen.

        2.: Die MIR

        Die MIR (Bewegung der revolutionären Linken) entstand 1965 aus einer Linksabspaltung der SP im Zusammenschluß mit anderen Kleingruppen. Sie war, auch von der kubanischen Revolution inspiriert, für den bewaffneten Kampf und bereits kurze Zeit im Untergrund, bevor Allende an die Macht kommt. Die MIR lehnt zwar den Reformismus ab, unterstützt aber kritisch einzelne Maßnahmen Allendes, ohne sich der Volksfront anzuschließen. Daß nicht wenige MIRisten bei aller Kritik an Allende dennoch persönliche Kontakte zu ihm unterhalten, sogar seine Leibwache stellen, liegt eher daran, daß die halbe MIR-Führung mit ihm verwandt &verschwägert ist. Carmen Castillo, ex-Frau seines Neffen &dann Freundin von Miguel Enriquez, arbeitete in seinem Sekretariat. Der MIR-eigene Nachrichtendienst hatte ihn frühzeitig vor einem Putsch gewarnt.

        Nach dem Putsch beschließt die MIR als kleinste der Linksparteien, nicht ins Exil zu gehen, sondern in Chile zu bleiben und den bewaffneten Kampf gegen die Pinochet-Diktatur aufzunehmen, während die meisten Führer der UP-Parteien ins Ausland fliehen. Manche nennen das Verhalten der MIR von vornherein Selbstmord (tatsächlich verliert sie innerhalb kurzer Zeit 70-80% ihrer Kader), während die MIR angesichts Zehntausender verhafteter &ermordeter einfacher Anhänger der Linksparteien sagt: das Volk kann auch nicht ins Ausland fliehen, und wie demoralisierend muß es auf die Anhänger &die Arbeiter wirken, von allen ihren Führern im Stich gelassen zu werden? Die MIR gewinnt trotz ihrer Verluste an Einfluß und vor allem Ansehen. (Nebenbei: mir begegnete 1981 in Kalifornien ein im meikanischen Exil lebender chilenischer Sozialdemokrat, der trotz völlig anderer politischer Ansichten nur mit persönlicher Hochachtung von Miguel Enriquez sprach, mit dem er zur Schule ging.)

        Am 5.10. 1974 wird Miguel Enriquez von der chilenischen Geheimpolizei in seinem Versteck in der Calle Jose Domingo Canas aufgespürt. (Davon handelt die DVD!) Während die Bullen aufgrund des ihnen gelieferten zweistündigen Feuergefechts glauben, sie habe in dem Haus die ganze Leitung der MIR vor sich, ist es Miguel alleine, der sich da gegen die Übermacht schlägt. Bei ihm ist nur seine schwerverletzte, hochschwangere Freundin Carmen Castillo. Während Andres Pascal Allende (im folgenden abgekürzt APA) im Buch des Laika-Verlags schreibt, Miguel habe sich bis zuletzt nicht ergeben, heißt es im Buch von Carmen Castillo 1981, Miguel sei vor das Haus gekommen und habe gerufen: „nicht mehr schießen! Hier liegt eine hochschwangere verletzte Frau!“ und als Antwort sei er durchsiebt worden.

        Zur gleichen Zeit werden in den KZ´s wiederholt Genoss(inn)en mit Stromstößen zu Tode gefoltert; selbst Babys werden von den Bestien im Beisein ihrer Mütter auf den Elektro-„Grill“ gelegt(!) um die Mütter zum sprechen zu bringen. Auch werden ihnen Eisen &Ratten in die Vagina eingeführt; Vergewaltigungen sind selbstverständlich. Plötzlich werfen die KZ-Wächter ihre Waffen zu Boden, alle umarmen sich. „Wir haben ihn getötet… in ein Sieb verwandelt…durchlöchert….das ist das Ende der MIR!“ Die Gefangenen, denen das Absingen der Internationale bei Todesstrafe verboten ist, fassen sich an den Händen and singen aus Beethoven´s neunter Sinfonie den Chorus „Alle Menschen werden Brüder“. Die Faschisten verstehen zwar daß dies jetzt die gleiche Funktion hat wie „die Internationale“, können aber nichs machen. So klug hatten die Gefangenen sich schon nach dem Foltertod von „Bauchi“ (Bautista van Schowen) verhalten, einem anderen Arzt aus der Leitung der MIR, dessen letzte aus dem KZ geschmuggelte Nachricht, auf hauchdünnes Zigarettenpapier geschrieben, an den geheimen Kontaktstellen weitergegeben wurde. Bauchi hatte seine Folterer bis zuletzt angeschrien: „Ihr I wißt nicht, wofür ihr foltert, aber ich weiß wofür ich sterbe!“
        Die kubanische Parteizeitung Gramma schrieb nach dem Tod von Miguel Enriquez, in ihm habe sich ein Führer der Revolution in Lateinamerika, ein zweiter Che Guevara gezeigt. Die offizielle Bruderpartei, die chilenische KP, soll intern ziemlich getobt haben.

        Zur Wertschätzung und Kritik der MIR

        Von meiner heutigen, eher trotzkistischen Position aus könnte ich die MIR einfach als „linkszentristische“ Gruppe abtun (viele Genoss(inn)en vergleichen die MIR mit der POUM im spanischen Bürgerkrieg, obwohl die MIR nie wie diese der Volksfront beigetreten ist) doch so einfach sollten wir es uns m.E. nie machen. Daß die MIRisten „bourgeoise Leute“ gewesen seien, die heute, soweit sie noch leben, „ihren Geschäften nachgehen“ wie mir mal jemand von der RIO mailte, halte ich für sterilen Unsinn. Ich habe mir eine gewisse persönliche Wertschätzung für einzelne MIR-Leute die ich kannte, bewahrt. Intern hatten einige auch Kritik am „sozialistischen Lager“, die sie jedoch aufgrund ihrer guten Beziehung zu Kuba nie öffentlich äußerten. Natürlich fand ich das immer ärgerlich. Verwunderlich, daß der hochintelligente Miguel Enriquez 1974 in einem Interview sagte: „unser einziger Fehler war, daß es uns nicht gelang, dem Reformismus die Führung der Massenbewegung zu entreißen“. Der einzige?!?

        Der lange Beitrag von APA im Laika-Buch scheint aus dem Jahre 2000 zu sein, denn er heißt „35 Jahre MIR“. Ließ´sich keine neuere Stellungnahme von ihm auftreiben? Anyway, alle Fehler die APA einräumt, sind taktischer &militärischer Natur (zu wenig Vorbereitung, zu wenig Waffen, keine Panzer) aber politisch-ideologisch wird er nicht iefschürfend. Hat auch keine Erklärung dafür, warum die MIR sich ausgerechnet beim „Übergang zur Demokratie“ in zig Einzelteile zerlegt und heute nicht mehr wirklich existent ist. Die einzige kritische Bemerkung, die ihm offensichtlich versehentlich entschlüpft, ist, daß die kurz vor dem Putsch erhofften Waffen aus Kuba ausblieben. Schlüsse zieht er keine daraus, Kuba bleibt Modell. Man könnte gerade meinen, er hätte nie was davon mitgekriegt
        -wieviele Volksfronten schon vor Chile im Auftrag Moskaus scheiterten

        -daß die KPF 1968 im Aufrag Moskaus den Pariser Mai kippte, weitere Arbeiterstreiks verhinderte, weil die UdSSR gar keine Revolution im Westen wollte, schon 1938 die in Spanien zerstörte &POUM-Führer Nin von den Sowjets zu Tode gefoltert wurde
        -daß Castro 1968 den sowj. Einmarsch in die CSSR begrüßte
        -daß Castro 1979 das Mullah-faschistische Regime in Iran unkritisch bejubelte- bis heute
        -daß Kuba die äthiopische Militärdiktatur DERG mit Soldaten &Napalm beim Annektierungs-Krieg gegen Eritrea unterstützte(!)
        -daß Castro immer wieder mal ehemalige Mitstreiter hinrichten ließ
        -daß er in den 70iger Jahren diversen Linken von Jean Paul Sartre bis Rossana Rossanda („Il Manifesto“, davor ZK der KPI) wegen Kritik fortan die Einreise nach Kuba verbot
        -in den 70iger&80iger Jahren die Schwulen als „kriminelle Konterrevolutionäre“ in Lager gesperrt wurden (wenigstens das ist jetzt ganz anders)
        um nur die schlimmsten nichtrevolutionären Schandaten zu benennen. (Für den Rest siehe meine Artikel hier „wie geistesgestört sind heutige Stalinisten?“ sowie „Lustiges Gulag-Leben bei der DKP-Zeitschrift T&P“. Letztere löschte sogar -wie alle meine Postings- einen Brief von Gramsci an das ZK der KPdSU!).

        Mit dieser Blindheit sind scheinbar nicht nur KP-Leute &ausgemachte Stalinisten geschlagen. Auch ex-RAF-Frau Inge Viett lobpreist die DDR und war auf einer Veranstaltung der DKP fröhlich-solidarisch, obwohl gerade die DKP immer die RAF als gewöhnliche Kriminelle denunzierte, Genossen mit kritischen Fragen dazu auch schonmal ausschloß sowie jede linke Konkurrenz als Verfassungsschutzagenten verleumdete. Und Che war bei der Stasi notiert als „Abenteurer“ (siehe einen Beitrag dazu von Prof. Tossdorf in „Tavira“ sowie dessen Standardwerk zur POUM). Das alles sollte man wissen, verdammt nochmal, bevor man sich in einen bewaffneten Kampf begibt, denn auch theorieloses Drauflosschlagen kann tödlich sein- ohne Theorie keine Praxis.

        Zurück zu APA, dem auch heute noch nicht auffällt, daß er immer da, wo er vom Verrat des Reformismus spricht, mit noch größerer Berechtigung vom Verrat des Stalinismus sprechen könnte/müßte. Traurig, daß ihm nicht in den Sinn kommt, daß auch die Niederlage in Chile vom stalinistischen Revisionismus in Moskau gewollt war, Und das auch Kuba nicht wirklich auf dem sozialistischen Weg ist. Genausowenig waren es die von der MIR unkritisch unterstützten Sandinisten- es hätte dort der Bildung einer eigenen revolutionären Arbeiterpartei bedurft (Ortega ist längst der beste Freund aller Kapitalisten in Nicaragua). Über nichts wird kritisch reflektiert, vielmehr gibt APA freimütig zu, daß die MIR nach „Abkürzungen auf dem Weg zum Sozialismus“ suchte, ohne daß er dies heute als Fehler benennt,. Es gibt nämlich leider keine „Abkürzungen“ und keine Alternative zur mühevollen Agitation unter der Arbeiterschaft.

        Diese aber hatte die MIR anfangs vernachlässigt, und mehr unter Studenten und landlosen Bauern agitiert. (Man soll natürlich überall agitieren wo man die Möglichkeit hat, aber Bauern &Studenten&Subproletariat können die an den Hebeln in der Industrie nicht als rev. Subjekt ersetzen. Mit der Marginalisierten-Strategie ist auch der SDS hierzulande gescheitert. Natürlich müssen wir uns auch um die kümmern. Aber nicht nur.)

        Ob APA wenigstens jenes Buch kennt, wo vor wenigen Jahren kubanische Autoren aus den Ereignissen in Chile die gleiche Lehre zogen wie einst die revisionistische, jetzt nicht mehr existierende KPI, nämlich, das Bündnis mit der Bourgeoisie noch breiter zu ziehen?
        Ich würde vorschlagen, wir sollten uns politisch kritisch, aber persönlich solidarisch (also nicht denunziatorisch) gegenüber dieser Gruppe verhalten, die sehr von Jugendlichen geprägt war und theoretische Mängel durch persönlichen Mut auszugleichen versuchte. Zumal die MIR wenigstens etwas klarer sah als die Parteien der UP, und mir auch aus der damaligen chilenischen Linken keine Gruppe einfällt, die mehr zu bieten hatte. Vermutlich gab es die, aber völlig ohne Bedeutung, während die MIR zu einem Faktor wurde.

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