Die gefährliche Illusion der Trennung von „Netz und Betrieb“: Was Deutschland von der britischen Eisenbahn lernen kann

Die Diskussion um die Zukunft der Deutschen Bahn (DB) gewinnt an Fahrt, und die CDU hat mit ihrem Vorschlag, die Bereiche Netze, Bahnhöfe und Energie aus dem Konzern herauszulösen, einen neuen Stein ins Rollen gebracht. Ziel der Union ist es, diese Infrastruktureinheiten in eine GmbH des Bundes zu überführen und gleichzeitig auf der Strecke eine Vielzahl von privaten Bahnunternehmen rollen zu lassen. Was als sinnvoller Wettbewerb im Bahnbereich verkauft wird, könnte sich als ein erneuter Versuch einer Privatisierung der deutschen Eisenbahn entpuppen. Die Folgen könnten sich für die Steuerzahler, die Fahrgäste und natürlich auch die Beschäftigten als fatal erweisen. Die DB als dominierende Organisation wäre in jedem Fall aus dem Weg geräumt und die Strecken wären dadurch frei zugänglich für private Investoren. Letztlich ist dieses Konzept der CDU, das unter dem Titel „Trennung von Netz und Betrieb“ läuft, nichts anderes als ein neuer, gut verpackter Versuch, die Bahn in Einzelscheiben geschnitten zu privatisieren. Die Infrastruktur soll natürlich weiter der Staat bezahlen. Aber in ausgedünnter Form, wie Friedrich Merz in einem Sommer-Interview des ZDF ausführte. Nur die lukrativen Strecken sollen noch verbleiben, auf denen die Privaten dann Gewinne machen können. Hinter diesem Konzept steckt wieder einmal eine alte Strategie des Kapitalismus: Der Staat soll die Last der Infrastrukturkosten tragen, während sich private Unternehmen die profitablen Rosinen aus dem Kuchen picken können.

Die britische Katastrophe: Ein Warnsignal für Deutschland

Um die Debatte richtig einzuordnen, lohnt ein Blick nach Großbritannien, das bereits vor 30 Jahren den Weg der Trennung von „Netz und Betrieb“ beschritten hat – mit desaströsen Konsequenzen. Die konservative Regierung unter Premierminister John Major privatisierte 1993 das britische Eisenbahnsystem, indem sie das staatliche Unternehmen British Rail zerschlug. Die damalige vorgeschobene Behauptung: Privates Kapital und Wettbewerb sollten zu effizienteren Dienstleistungen, niedrigeren Fahrpreisen und einem modernen Netz führen. Doch was folgte, war das genaue Gegenteil.

Heute, nach 30 Jahren Privatisierung, ist die britische Eisenbahn sogar in einem noch desolateren Zustand als das deutsche Bahnsystem. Die Infrastruktur leidet unter massiver Vernachlässigung, während die Fahrpreise explodierten. Zugausfälle sind an der Tagesordnung, und die Verspätungen übersteigen sogar das, was deutsche Bahnreisende gewohnt sind. Gleichzeitig haben die privaten Betreiber massive Gewinne eingefahren – auf Kosten der SteuerzahlerInnen und Fahrgäste. Network Rail, der Betreiber des britischen Schienennetzes, hat über Jahre hinweg Wartungspläne gekürzt, was zu einer Zunahme von Unfällen und Infrastrukturproblemen geführt hat. Diese Entwicklungen haben nicht nur das Vertrauen der britischen Öffentlichkeit zerstört, sondern auch die Illusion, dass Privatisierung zu einer Verbesserung führen könnte.

Zersplitterung und Chaos: Keine Verbesserung durch Wettbewerb

Ein zentrales Problem der britischen Eisenbahnprivatisierung ist die organisatorische Zersplitterung. Mehrere private Betreiber konkurrieren um lukrative Strecken, während niemand die übergeordnete Verantwortung für das gesamte Netz trägt. So war es den konkurrierenden Unternehmen aufgrund von Eifersüchteleien jahrelang unmöglich, einen einheitlichen Fahrplan für zentrale Strecken einzuführen, was die Reisenden mit verlängerten Fahrzeiten und verpassten Anschlusszügen bezahlten. Statt den Service für die Kunden zu verbessern, führte die Konkurrenz der privaten Bahnkonzerne zu einem ineffizienten Flickenteppich aus Anbietern, die jeweils ihre eigenen Interessen verfolgten, ohne das Gesamtbild im Blick zu haben.

Öffentliche Subventionen für private Gewinne

Ein weiteres Argument der Privatisierungsbefürworter – dass die Eisenbahn durch private Anbieter kosteneffizienter würde – erwies sich ebenfalls als Trugschluss. Zwischen 2007 und 2011 erhielten die fünf größten Bahngesellschaften in Großbritannien fast 3 Milliarden Pfund an Subventionen. Diese Subventionen flossen jedoch nicht in den Ausbau der Infrastruktur oder in bessere Services, sondern hauptsächlich in die Taschen der Aktionäre. Das Ergebnis: Die britische Regierung musste jährlich 1,2 Milliarden Pfund mehr für das Eisenbahnnetz ausgeben, als dies unter staatlicher Kontrolle der Fall gewesen wäre. Statt Kosten zu sparen, hat die Privatisierung die britische Eisenbahn für den Steuerzahler erheblich teurer gemacht.

Während die privaten Betreiber riesige Gewinne erzielten, litten die Fahrgäste unter den höchsten Fahrpreisen in Europa. Seit dem Finanzcrash 2008 stiegen die Ticketpreise dreimal schneller als die Löhne, was den Zugang zur Bahn für viele Menschen zunehmend erschwerte.

Der Ruf nach Rückverstaatlichung wird laut

Nach jahrzehntelangen Fehlschlägen hatte die britische Bevölkerung von dem privatisierten Bahnbetrieb die Nase voll. Unter dem Druck von Gewerkschaften und zahlreichen Basisbewegungen verabschiedete die neu ins Amt gewählte Labour-Regierung im September 2024 ein Gesetz, das die Rückverstaatlichung der Eisenbahn einleiten soll. Die Bahn soll nun wieder als öffentlicher Dienst betrieben werden, statt Gewinne für private Investoren zu generieren. Gleichzeitig sollen der Bahnbetrieb und die Netzentwicklung wieder in eine Hand gelegt werden. Die Labour-Regierung machte mit diesem Schritt aber auch endgültig deutlich, dass das privatisierte Bahnsystem und die Trennung von Betrieb und Schiene komplett gescheitert sind.

Lehren für Deutschland: Finger weg von der Privatisierung!

Was bedeutet das für Deutschland? Die CDU präsentiert ihren Vorschlag als Fortschritt, doch in Wahrheit öffnet er die Tür zur Privatisierung und Refragmentierung der deutschen Bahnlandschaft. Die Erfahrungen in Großbritannien zeigen, dass die Trennung von Netz und Betrieb nicht nur ineffizient ist, sondern auch zu massiven Preissteigerungen und einem Abbau der Servicequalität führt. Wenn private Unternehmen nur die profitablen Fernverkehrsstrecken bedienen, während der Staat die unrentablen und teuren Infrastrukturkosten trägt, bleibt die Rechnung letztlich am Steuerzahler hängen.

Die Deutsche Bahn muss dringend reformiert werden, keine Frage. Ihre extrem zersplitterte Unternehmensstruktur und Katastrophenprojekte wie Stuttgart 21 zeigen den Reformbedarf. Doch anstatt Netz und Betrieb zu trennen, wie es Friedrich Merz propagiert, sollten Schritte in Richtung einer Demokratisierung und stärkeren öffentlichen Kontrolle gegangen werden. Notwendig ist eine Vergesellschaftung, die deutlich über eine klassische Verstaatlichung hinausweist. Bisher kann der bürgerliche Parteienfilz immer eine Mehrheit von Vertretern in den Aufsichtsrat der Deutschen Bahn entsenden. Das hat dazu geführt, dass hier mehrheitlich eine Riege von Ja-Sagern sitzt, die die jahrzehntelange Unterfinanzierung und die Beschädigung der Bahn immer mitgetragen hat. Eine Vergesellschaftung würde dagegen heißen, dass die Parteienfilzokratie nicht mehr die Entscheidungsgewalt hat. Sondern dass die Mehrheit der Vertreter im obersten Kontrollgremium der Bahn durch Gewerkschaften sowie Fahrgast- und Umweltverbände bestimmt wird. Das wäre ein erster Schritt in Richtung Vergesellschaftung. Es ist an der Zeit, die Deutsche Bahn zu verbessern, ohne den profitgetriebenen Kräften freien Lauf zu lassen. Der britische Albtraum sollte uns eine Mahnung sein.

Ein Beitrag von Klaus Meier (aktiv im Netzwerk-Oekosozialismus)

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