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Die absurden Heldinnen der Pandemie

Die Welt ist vielen schon immer ein wenig absurd vorgekommen, aber die Pandemie birgt neue Höhepunkte von Absurditäten. Während Unternehmen wie die Lufthansa und der Reisekonzern TUI mit Milliarden vom Staat unterstützt werden, warten noch immer viele Pflegekräfte auf ein bisschen mehr Gehalt.

Die Regierung verteilt Finanzhilfen an Unternehmen, als würde es ein Zurück zum Alten geben. Ganz so, als gäbe es neben der weltweiten Pandemie keine Klimakatastrophe. Nebenbei entlässt die Lufthansa nach eigenen Angaben trotzdem 29.000 Beschäftigte. Während das Privatleben aufs Schärfste eingeschränkt wird, sind die öffentlichen Verkehrsmittel zu den normalen Stoßzeiten überfüllt wie vor der Pandemie. Wir sehen unsere Liebsten oft nur in Videokonferenzen, machen einsame Spaziergänge im Park und verbringen viel Zeit in Isolation, nur um dann um 8 Uhr morgens wieder gesund der Lohnarbeit nachgehen zu können. Ein Großteil der Bevölkerung leidet unter verschlechterten ökonomischen Bedingungen und die Milliardäre von Amazon, Lidl und BMW wissen nicht, wohin mit ihren Gewinnen. Der DAX ist auf einem Allzeithoch, während Millionen nicht wissen, wie sie den nächsten Monat die Miete bezahlen sollen. Der Staat hat hunderte Millionen in die Entwicklung von Impfstoffen investiert, aber diese Impfstoffe werden jetzt dafür genutzt, um Profite zu erzielen, anstatt als globales Gemeingut die Pandemie weltweit zu besiegen. Die Aufzählung ließe sich weiter fortführen.

Das Absurde dieser Zeit entsteht aus der Gegenüberstellung der Sinnsuche des Menschen während des zweiten Lockdowns und der Sinnlosigkeit, welche sich in den Geschehnissen ausdrückt. Dabei bedeutet absurd nicht, dass es logisch unmöglich ist, einen Sinn in alledem zu finden, sondern, dass es uns als Menschen höchstwahrscheinlich unmöglich ist. Wie sollen wir also reagieren, wenn uns die Absurdität bewusst wird? Dabei macht das Absurde vor niemandem halt, ob resilient – also fähig, Belastungen und negativen Einflüssen zu widerstehen und sich von negativen Ereignissen wie schweren Erkrankungen, Katastrophen, Schicksalsschlägen oder Ähnlichem wieder zu erholen – oder nicht: „Das Absurde kann jeden beliebigen Menschen an jeder beliebigen Straßenecke anspringen“ (Albert Camus – Der Mythos des Sisyphos). Die Pandemie treibt, nachvollziehbarerweise, viele Menschen in existenzielle Krisen.

Ein Phänomen, das sich im ersten Jahr der Pandemie beobachten ließ, war die Hinwendung zu quasi-religiösem, spirituellem oder abstraktem Glauben daran, dass die Pandemie nicht gefährlich sei, überhaupt nicht existieren würde oder eine Verschwörung der Eliten sei. Ob QAnon, Trumpisten, bloße Impfgegner*innen oder Rechtsradikale – was diese Gruppierungen anbieten, ist eine bloße Flucht vor der Realität. Camus nennt dies einen „philosophischen Suizid“, weswegen Leugnung keine Lösung darstellen kann. Das Absurde besteht im Erkennen der Tatsache, dass das menschliche Streben nach Sinn in der Pandemie notwendigerweise vergeblich bleiben muss. Unsere Leistung kann darin liegen, dennoch weiter zu machen. Wir sollten also die Absurdität der Pandemie annehmen und trotz Sinnlosigkeit nicht aufgeben. Ein erster Schritt besteht in der Annahme des Absurden. Der Anfang einer Lösung ist also, das Absurde zu akzeptieren und weiterhin damit zu leben, ohne zu resignieren. Sinnstiftend ist dies allerdings noch nicht.

„Das Absurde hat nur insofern einen Sinn, als man sich nicht mit ihm abfindet.“ – Albert Camus, Der Mythos des Sisyphos

Worin kann das Sich-nicht-Abfinden mit dem Absurden bestehen? Es gibt erste Ansätze wie die Kampagne #ZeroCovid. Dort heißt es, dass die Strategie, die Pandemie zu kontrollieren, gescheitert sei. „Sie hat das Leben dauerhaft eingeschränkt und dennoch Millionen Infektionen und Zehntausende Tote gebracht. Wir brauchen jetzt einen radikalen Strategiewechsel: kein kontrolliertes Weiterlaufen der Pandemie, sondern ihre Beendigung. Das Ziel darf nicht in 200, 50 oder 25 Neuinfektionen bestehen – es muss Null sein.“ Dabei sollen allerdings alle Maßnahmen „gesellschaftlich solidarisch gestaltet werden“. Die Initiatorinnen schreiben: „Es gibt keinen Gegensatz zwischen Gesundheitsschutz und Pandemiebekämpfung einerseits und der Verteidigung demokratischer Rechte und des Rechtsstaats andererseits. Demokratie ohne Gesundheitsschutz ist sinnlos und zynisch. Gesundheitsschutz ohne Demokratie führt in den autoritären Staat. Die Einheit von beidem ist der entscheidende Schlüssel zu einer solidarischen ZeroCovid Strategie.“ Doch auch kleinere Initiativen machen Hoffnung und stemmen sich mit aller Substanz gegen das Absurde. Zum Beispiel organisieren Studierende der Freien Universität Berlin eine Vollversammlung, um auf die Auswirkungen der Krise auf Studierende und Beschäftigte der Universität aufmerksam zu machen. Es soll kollektiv über Jobverlust, Isolation, Zukunftsangst, Online-Lehre und steigende Mieten diskutiert werden. Auch bei Pflegekräften und Klinikpersonal haben sich Widerstände geregt. Sie streikten trotz der Pandemie gegen die schlechte Entlohnung, miserable Arbeitsbedingungen, Personalnot und Überlastung.

In der Erfahrung des Absurden ist das Leid individuell, aber in der Bewegung der Revolte bekommt es eine kollektive Natur: „Ich empöre mich, also sind wir“ (Albert Camus – Der Mensch in der Revolte). Alle, die sich gegen das Absurde dieser Zeit auflehnen, sind Menschen in der Revolte. Sie haben erkannt, dass sie ihre Nöte mit anderen teilen und sind damit die absurden Heldinnen in der Pandemie. Das Übel, das jeder Einzelne durch die Pandemie erlitt, wird  kollektiv. Die mythologische Figur Sisyphos, die von den Göttern verdammt ist, auf ewig einen Stein den Berg hoch zu rollen, so schreibt Camus, „macht aus dem Schicksal eine menschliche Angelegenheit“. So wie Camus Sisyphos, müssen wir uns die Menschen in der Revolte als glückliche Menschen vorstellen. Sie haben erkannt, dass ihr Schicksal ihnen selbst gehört. Ohne quasi-religiöse Zwänge von Coronaleugnerinnen anzuerkennen, während sie gleichzeitig die Absurdität einer globalen Pandemie akzeptieren, geben sie ihren Leben trotzdem einen Sinn, indem sie sich nicht mit dem Absurden abfinden. Wir sollten uns ein Beispiel nehmen und die Resignation des letzten Jahrs ablegen, nicht verzagen und anfangen, uns zu organisieren. In der Revolte gegen das Absurde besteht die Lösung, denn hier kann sich der Mensch in der Pandemie selbst verwirklichen und kollektiv das größte Ausmaß seiner Freiheit erreichen. Nur wenn wir anfangen, gegen das Absurde aufzubegehren, kann es einen solidarischen Lockdown geben und Impfstoffe können globales Gemeingut werden.

Von Lukas Geisler aus der critica-Redaktion

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Eine Antwort

  1. „In der Erfahrung des Absurden ist das Leid individuell…“. Leiden ist immer individuell, das Problem des ganzen Beitrages ist die Annahme das Absurde wäre absolut, denn das suggeriert der letzte Satz in dem er diese zwei Beispiele (zeroCovid und globales gemeingut Impfstoff) unmöglich als absurd darstellt.

    Die „Revolte gegen das Absurde“ gibt es nur in der Gruppierung derer, die das gleiche Absurd finden …

    Das Absurde ist aber genauso individuell und damit löst sich die komplette Prämisse in Luft und wir stehen wieder am Anfang.

    Um Camus‘ „Sysiphos“ frei zu zitieren, der Mensch hat Freiheit, die Einschränkung liegt in der Akzeptanz der Konsequenzen seiner Handlungen.
    Die Gesellschaft, das Leben, der Nachbar schränken unsere Freiheit ein bzw. nehmen uns unsere Freiheit durch Konsequenzen, die wir nicht bereit sind anzunehmen.
    Auch individuell.
    Das ganze Leben ist individuell und völlig absurd

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