Je mehr die westlich-liberale Ordnung zerfällt, desto verständlicher wird der Wunsch, den Planeten zu verlassen. Seit die Raumfahrt im 20. Jahrhundert technisch machbar wurde, sahen viele Denker – von Arthur C. Clarke bis Buckminster Fuller – die menschliche Kolonisierung anderer Planeten als fast schon unvermeidlich.
„Der Mensch wird nicht immer auf der Erde bleiben“, schrieb der sowjetische Raketenwissenschaftler Konstantin Tsiolkovsky, „in seinem Streben nach Licht und Raum wird er die Grenzen der Atmosphäre durchbrechen, anfangs noch vorsichtig, doch am Ende wird er den gesamten Sonnenraum erobern.
In ihrer Blütezeit untersuchten sowohl die amerikanischen als auch die sowjetischen Weltraumprogramme die Möglichkeit einer Kolonisierung des Mars und sahen darin den nächsten logischen Schritt für die Menschheit. Seit zwei Jahrzehnten jedoch knüpfen sich die Hoffnungen auf intergalaktische Reisen an private Gruppen anstelle von staatlichen Behörden.
Zeitgleich zu Obamas Privatisierung des amerikanischen Weltraumprogramms entstand eine Flut von Projekten, um den roten Planeten zu besuchen oder zu kolonisieren. Diese variieren in ihrer Machbarkeit, einige sind recht abenteuerlich: Die Inspiration Mars Foundation des ehemaligen Investors und Multimillionärs Dennis Tito sammelt private Spenden, um ein verheiratetes Paar auf einen Flug um den roten Planeten und zurück zu schicken. Mars One, ein niederländisches gemeinnütziges Unternehmen, möchte eine dauerhafte menschliche Kolonie finanzieren durch „Merchandise, Anzeigen auf Videoinhalten, Markenpartnerschaften, Vorträge, Übertragungsrechte, Spiele, Apps und Veranstaltungen.“
Am bekanntesten – und vielleicht erfolgversprechensten – ist das Projekt von Unternehmer und Ingenieur Elon Musk, Multimilliardär und Vorstand von SpaceX und Tesla Motors. Musks Entwurf seiner Marsmission zeigt nicht nur, wie problematisch der gegenwärtige Diskurs über außerirdische Kolonien und Ressourcen ist, sondern auch, wie wenig Vertrauen die meisten Menschen in die ‚irdische‘ Demokratie haben.
Interplanetarische Technokratie
Angesichts seines Rufes als Ingenieursgenie scheint Musks Vision einer Kolonisierung die glaubwürdigste aller privaten Marsmissionen zu sein. Schließlich war SpaceX 2008 das erste private Unternehmen, das erfolgreich eine Rakete in die Umlaufbahn bringen konnte. Musk hatte SpaceX mit dem Ziel gegründet, das Sonnensystem zu kolonisieren.
Im September 2016 legte Musk auf dem Internationalen Astronautischen Kongress in Guadalajara eine detaillierte Vision für sein Projekt vor, einschließlich finanzieller Schätzungen, technischer Spezifikationen für das wiederverwendbare „Interplanetarische Transit-System“ und des Preises für ein Passagier-Ticket – rund 200.000 Dollar. Musks Präsentation enthielt sogar ein computergeneriertes Video des Transitsystems in Aktion und Details über die lange Reise, mit Spielen, Restaurants und Unterhaltung für die Kolonisten.
„Es wird richtig Spass machen… ihr werdet eine gute Zeit haben“, so Musk.
Sein Ansatz ist typisch für Silicon Valley: Musk hat ein „Problem“ genommen – wie besiedelt man den Mars – und eine „Lösung“ zusammengestrickt, ein Teil Technik, ein Teil Unternehmergeist. Jetzt fehlen nur noch ein paar Investoren, und schon bauen wir Städte auf dem roten Planeten.
Zwischen den Zeilen deutet Musk an, dass seine Vision Finanzierung benötigt. Seine Rede von „Tickets“ impliziert, dass die Kolonisten wahrscheinlich für einen Großteil der Mission aufkommen müssten. Anders als bei dem Auswahlverfahren einer Weltraumbehörde, wird seine Mars-Mission nur denjenigen offen stehen, die es sich leisten können. In diesem Sinne erinnert Musks Kolonisierungsplan an einen Country-Club oder eine gesicherte Wohnanlage – oder jedes andere Modell eines Raumes, zu dem nur die Zugang haben, die genug Geld besitzen.
Musks Vorschlag – viele technische und wirtschaftliche Details, wenig Bezug auf die philosophischen oder politischen Implikationen einer Kolonisation – ist der Inbegriff der Technokratie. Er scheint nicht interessiert an Politik und Regierung auf dem Mars, an der Arbeit, die erforderlich wäre, um eine Zivilisation von Grund neu aufzubauen, oder an den Problemen, die entstehen, wenn sich reiche Touristen selbst organisieren sollen an einem Ort, an dem die Ressourcenknappheit kommunales Denken erfordert.
Der wahre Wert des Mars
Ein paar reiche Leute auf den Mars zu schicken scheint keine schlechte Idee. Schließlich ist er wohl kaum ein Paradies, dass man zerstören könnte. Im Gegensatz zu früheren Kolonialprojekten gibt es keine Eingeborenen zum Ausbeuten, keine Tiere, die man bis zum Aussterben jagen könnte; kein Ökosystem wird radikal verändert, keine fossilen Brennstoffe aufgebraucht. Keine Sorge um das Klima: die Atmosphäre des Mars enthält bereits jetzt 96 Prozent Kohlendioxid! Warum lassen wir Musk und seine Millionärsfreunde nicht ein paar Runden Golf auf den gefrorenen Dünen spielen? Wenn sie dort bleiben, umso besser.
Aus einer humanistischen Perspektive hat aber auch eine leblose Welt wie der Mars einen unschätzbaren Wert, wissenschaftlich, pädagogisch und ökologisch. Es wäre kurzsichtig, ihn von Privatpersonen kolonisieren, terraformen oder bevölkern zu lassen, ohne diesen kollektiven Wert zu berücksichtigen.
Was die Besiedlung geht, sollten wir hoffen, dass die Menschheit aus ihren Fehlern gelernt hat und bereit ist, einen demokratischeren Weg einzuschlagen. Vielleicht entscheiden wir diesmal in einer weltweiten Diskussion, wie wir die beeindruckenden Dünen, Landschaften und Berge des Mars behandeln wollen, damit der höchste Berg des Sonnensystems nicht auch ein Müllhaufen wie der Mount Everest wird.
Staatliche Weltraumorganisationen haben immer versucht, den wissenschaftlichen und sozialen Nutzen ihrer öffentlich finanzierten Missionen zu erhalten. Deshalb macht die NASA alle ihre Missionsdaten öffentlich, und deshalb besteht sie darauf, dass Raumsonden sterilisiert werden, um zu vermeiden, dass andere Welten mit zellulärem Leben von der Erde verunreinigt werden – ein einziger terrestrischer Mikroorganismus könnte die Suche nach ausserirdischem Leben ruinieren. Die Agentur, die den pädagogischen Wert ihrer Arbeit sehr ernst nimmt, hat Experimente von Grundschulkindern in den Weltraum mitgenommen und die Namen für neu entdeckte geographische Strukturen in öffentlichen Wettbewerben entschieden. Die NASA denkt über die technischen Probleme hinaus: Sie untersucht auch die psychologischen und biologischen Auswirkungen der Raumfahrt, eine wichtige Vorbereitung für die Langstreckenflüge in zukünftigen interplanetarischen Reisen.
Private Unternehmen werden sich wohl kaum an diese Konventionen halten, das Streben nach Gewinn, Besitz und Exklusivrechten – territorialen und geistigen Inhalts – wird ihnen wichtiger sein als das Wohl der Allgemeinheit.
I Want to Believe
Die öffentlichen und medialen Reaktionen auf Musks Präsentation reflektieren- mehr als die Präsentation selbst – den Zustand unserer Politik.
„Die Stimmung auf der Konferenz war fast so schwindelerregend wie ein Rockkonzert oder die Markteinführung eines neuen Apple-Produkts, die Leute standen für die Präsentation von Herrn Musk stundenlang Schlange“, schrieb Kenneth Chang in der New York Times (1.200 Wörter!). „Elon Mosch enthüllte der Welt endlich seine Vision für die Marsbesiedlung , und es war eine unglaubliche Show!“, rief Loren Grush in einem Videobeitrag für Verge. Grusch bemerkte, dass Musk eine „wahnsinnige Menge“ anzog, und beschrieb, wie sich die Leute „in die Halle drängten, wo er seinen Vortrag hielt, um einen guten Platz zu bekommen.“
Er begann in hohen Tönen: „Ich will. . . Mars möglich erscheinen lassen. Es wahrscheinlich machen, das wir es zu unserer Lebzeit tun können.“ Diese Aussage impliziert, dass wir noch einen großen technologischen Sprung vorwärts benötigen, bevor wir uns auf dieses Abenteuer begeben, tatsächlich ist der Weg zum Mars jedoch schon seit gut einem halben Jahrhundert möglich. Wenn der politische Wille dazu da wäre, können wir bereits jetzt starten.
Der Subtext von Musks Botschaft war also, dass unsere demokratischen Regierungen keine großen Wissenschafts- und Ingenieurprojekte durchführen können. Die Menschen sollten stattdessen auf private Visionen für Kolonisation und Raumfahrt vertrauen.
In der „Erdpolitik“ ist dieser Mangel an Vertrauen in demokratische Institutionen nichts Neues. Die politischen Konsequenzen dieser Idee – dass wir als Bürger keine großen öffentlichen Projekte durchführen oder irgendeine Art von echten demokratischen Entscheidungen treffen können, dass wir unsere Macht an privat finanzierte Stiftungen und technokratische „Experten“ abtreten müssen – sind bereits in vielen Ländern zu erkennen.
Soweit ich feststellen konnte, geht keine der Zeitschriften, die über Musks Rede berichten, auf dieses Metathema ein: dass ihm zufolge eine öffentliche und demokratisch organisierte Kolonisierung des Mars nie stattfinden wird. Niemand hat diese Prämisse in Frage gestellt: dass nur Milliardäre entscheiden dürfen, wie und wann wir auf den Mars gehen sollen – oder dass dies der einzige Weg ist, dorthin zu gelangen.
In Musks Kreisen wird Technologie als Synonym für Fortschritt gesehen. Infolgedessen arbeiten viele Angestellte der technischen Branche stundenlang für eine bessere Welt, ihre Arbeit erreicht jedoch vor allem, dass die Arbeitgeber noch reicher werden.
Man kann sich leicht die zermürbende Arbeit vorstellen, die erforderlich wäre, um einen unwirtlichen Planeten bewohnbar zu machen. Auf dem Mars würde der Überlebenskampf der Angestellten ihre Arbeitgeber reich machen. Solange eine Stiftung oder Unternehmer die Kolonisierungsbemühungen anführen, werden sie möglichst viel Arbeit zu möglichst niedrigen Kosten aus ihren Arbeitern herauspressen, auch aus 40 Millionen Meilen Entferntung.
Darüber hinaus ist die Frage, wer zum Mars gehen darf, genau so wichtig wie die Frage wer nicht. Wenn man, wie Musk vorschlägt, für die Reise ein „Ticket“ benötigt, das ihm zufolge später „nur noch“ 100.000 Dollar kosten wird, dann ist es wahrscheinlich, dass diejenigen, die es sich leisten können, ethnisch und politisch zum grössten Teil der herrschenden Klasse der Erde entsprechen werden. Man stelle sich vor: Der rote Planet als rassistischer Country Club.
Diese Fragen sind viel wichtiger als „Wie konstruiere ich eine Rakete“, „Wie baue ich Gewächshäuser“, „Woher kommt das Trinkwasser“. Tatsächlich hat die staatlich geförderte Forschung diese technischen Probleme bereits weitgehend gelöst – oder zumindest zu zahlreichen kreativen Vorschlägen geführt, wie man eine Mars-Kolonie autark machen könnte.
Die Marskommune
Jegliche Kolonisierungsanstrengungen auf dem Mars – auch wenn nur wenige Menschen gehen – werden große politische Herausforderungen an die Arbeits- und Persönlichkeitsrechte seiner Bürger stellen: Welche Arten von Geburtenkontrolle wird es auf einem Planeten mit knappen Ressourcen geben? Wie werden die Kolonisten Nahrung und Aktivität rationieren? Was ist mit Privatsphäre? Dürfen die Arbeiter streiken, wenn das Überleben der Kolonie von ihrer Arbeit abhängt?
Zumindest in den Anfangsjahren würde der Mars eine Knappheitswirtschaft haben – mit anderen Worten, die Ressourcen müßten wohl rationiert werden, damit das Kollektiv überleben kann. In einer privaten Kolonie wäre Gleichheit wohl kaum garantiert – wenn es einen Ticketpreis gibt, wird es sicherlich auch eine marsianische Servicewirtschaft geben, um die Weltraumtouristen zu verwöhnen. Ungleichheiten in Arbeit, Wohnraum, Nahrung und Zugang zu Ressourcen sind zu erwarten.
Tatsächlich wissen wir bereits, wie ein privatisierter Mars aussehen könnte: Mount Everest. Eine karge, leblose, kalte Welt, wo Kletterer Sauerstofftanks benötigen, um zu überleben. Der Preis für den Aufstieg ist so hoch wie der Berg: zwischen 30.000 und 100.000 Dollar. Kletterfahrten werden nur durch die Ausbeutung der Sherpas möglich, von denen viele an Unfällen sterben und die von westlichen Veranstaltern gerade mal 5000 Dollar pro Jahr bekommen.
Wenn wir uns jetzt dieselbe Situation 40 Millionen Meilen von der Erde entfernt vorstellen, auf einem leblosen Planeten, von dem eine Funkübertragung zur Erde fast eine Stunde dauert, wird uns bewusst, was für eine düstere Zukunft uns vielleicht erwartet.
Eine neue Hoffnung
Musk reserviert fast eine Stunde seiner Rede für die technische Seite der Marsreise : die Landungsfahrzeuge, die Raketen, die Treibstoffkosten und so weiter. Er konzentriert sich auf den technologischen Teil und geht dabei selten auf die zahlreichen sozialen Aspekte ein. Seine Rede und die kollektiven Reaktionen darauf bestätigen eine naive Phantasievorstellung darüber, wie Politik und Technik gemacht werden: durch den Geist des genialen Unternehmers, der allein den Schlüssel für die Zukunft der Menschheit hat.
Dieselbe Phantasie liess sich auch letzte Woche beobachten: Präsident Trump versuchte die Einreise aus sieben mehrheitlich muslimischen Ländern zu verbieten, daraufhin gab der Vorstand von Starbucks, Howard Schultz, seinen Plan bekannt, zehn tausend Flüchtlinge einzustellen und wurde sofort als liberaler Held gefeiert. Die Botschaft war klar: Wir können nicht hoffen, den Flüchtlingen selbst oder auf demokratischer Basis zu helfen – wir müssen uns auf die Launen der Reichen verlassen, was den sozialen Fortschritt angeht.
Leider zeigt die Reaktion auf Musks Rede auch, wie sich die öffentliche Meinung verändert hat: Wir glauben nicht mehr an die öffentliche Raumfahrt. Selbst wenn wir wissen, dass staatliche Agenturen theoretisch eine Marsmission starten könnten, glauben nur wenige, dass es jemals geschehen wird.
Das sagt nichts gutes über unser Weltbild aus. Sind also reiche Leute und ihre Stiftungen die einzigen, die uns retten können? Die Fülle privater Marsprojekte spiegelt einen Mangel an Vertrauen in die Demokratie auf der Erde wider, insbesondere in unseren demokratischen Einfluss auf die Richtung der Wissenschaft und des technischen Fortschritts. Und während der Glaube an öffentliche Institutionen an seinem Tiefpunkt angelangt ist, scheint uns der Gedanke zu trösten, dass die Reichen alles möglich machen und dass wir ihren Versprechen glauben können.
Musk ist nur einer von vielen Technokraten, die die Reise zum Mars als technologisches „Problem“ betrachten. Doch es ist kein rein technisches Problem: es ist noch nicht mal ein Problem. Die Besiedelung des Mars sollte als komplexes soziopolitisches Projekt gesehen werden, mit dermassen viel Potential für Ungleichheit und Unterdrückung, dass es aus rationaler Sicht unmöglich ohne politischen Konsens und einer Strategie für Demokratie und Gleichberechtigung angegangen werden kann.
Wir sind bereit, den Mars zu kolonisieren, wir sind es seit einem halben Jahrhundert. Doch ohne einen demokratischen Plan riskieren wir unvorstellbare Gefahren für den Planeten und die Kolonisten. Dies sollte unser sozialistischer Schlachtruf sein: Der rote Planet bleibt rot!
Der Artikel von Keith A. Spencer erschien zunächst auf Jacobinmag.com. Übersetzung aus dem Englischen von Hannes Busch.
Eine Antwort
Viele richtige und wichtige Aussagen. Nur ein Detail stört mich: Nur weil wir seid 50 Jahren Sonden zum Mars schicken können, sind wir technologisch noch lange nicht so weit, ihn zu besiedeln. Es muss schon mal viel mehr Material transportiert werden, es muss eine Wasser- und Nahrungsversorgung konzipiert werden, es müssen Reparaturen möglich gemacht werden, etc, etc. Zwar gibt es dafür viele Ansätze, aber noch lange keine startreife Technologie.
Ich stimme allerdings zu, dass die Frage nach der politischen Gestaltung des Mars in der Öffentlichkeit nicht genügend Aufmerksamkeit zukommt. Das unsere Regierungen die Steuergelder lieber für Panzer und Gewehre als solche oder andere wichtige Forschung ausgeben ist tatsächlich eine Tragödie.